Reich lebt länger

Wächst die Kluft?

Arm und Reich unterscheiden sich nicht nur im Portemonnaie, sondern auch in der Lebenserwartung. Neue Daten legen nahe, dass dieser Unterschied seit Mitte der 90er Jahre gewachsen ist.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Wer als Rentner auf Geld gebettet ist, der profitiert von der steigenden Lebenserwartung besonders stark.

Wer als Rentner auf Geld gebettet ist, der profitiert von der steigenden Lebenserwartung besonders stark.

© Ralph Peters / imago

NEU-ISENBURG. Ob Armut und Ungleichheit in Deutschland zunehmen oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung sehen Belege dafür, dass in den vergangenen 15 Jahren die Kluft in der Lebenserwartung zwischen Menschen verschiedener Sozialschichten gewachsen ist.

Dazu haben Wissenschaftler des Rostocker Instituts und der Universität Groningen (Niederlande) Daten der Deutschen Rentenversicherung ausgewertet (Journal of Epidemiology and Community Health 67 (2013), 5, S. 453-457).

Diese Daten erlauben es, den sozioökonomischen Status der Versicherten und ihre Sterblichkeit zuverlässig zu erfassen.

Dabei konzentrierten sich die Forscher auf Daten von Männern. Weil sich bei Frauen die Einkünfte teilweise aus dem Gehalt oder der Rente des Ehemannes ableiten, wurden sie nicht berücksichtigt. Gleiches gilt für Versicherte mit unvollständiger Erwerbsbiografie, so zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund.

Unterschiede haben zugenommen

Anschließend bildeten die Wissenschaftler sechs Einkommensgruppen, die nach der Zahl der Rentenentgeltpunkte gegliedert wurden. Diese zentrale Werteinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung soll die Einkommensbezogenheit der Rente gewährleisten.

Genau ein Entgeltpunkt ergibt sich, wenn ein Versicherter in einem Kalenderjahr Beiträge in Höhe des vom Gesetzgeber ermittelten durchschnittlichen Einkommens an die Rentenversicherung gezahlt hat.

Die Wissenschaftler konnten zunächst das - aus vielen anderen Studien bekannte - Ergebnis bestätigen, dass die Sterberaten zwischen der einkommensschwächsten und der wohlhabendsten Rentner-Gruppe stark variieren.

Beim Vergleich der Daten aus den Jahren 1995/96 und 2007/08 stellten die Demografen aber fest, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Einkommensgruppen um 1,5 auf 4,8 Jahre zugenommen haben. Im Osten betrug der Unterschied sogar 5,6 Jahre.

Besonders ab Mitte der 90er Jahre registrierten die Forscher, dass der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen bessergestellten und einkommensschwachen Rentnern gewachsen ist. Dieser Trend habe sich nach der Jahrtausendwende zwar verlangsamt, dennoch bezeichnen die Autoren ihre Ergebnisse als "besorgniserregend".

Die Politik nach der Wiedervereinigung habe nicht dazu geführt, dass alle sozialen Gruppen in gleichem Umfang von steigenden Gesundheitschancen profitieren konnten, so ihre Schlussfolgerung.

Beim Robert-Koch-Institut (RKI) werden die Ergebnisse zurückhaltend gewertet: "Auf Basis der vorliegenden Daten ist es aus unserer Sicht zu früh, um zu sagen, dass die Unterschiede tatsächlich zugenommen haben", sagte Dr. Thomas Lampert von der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung beim RKI der "Ärzte Zeitung".

Allerdings gebe es auch "überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Unterschiede in der Lebenserwartung verschiedener Sozialschichten verringern würden".

"Seriöser Forschungsansatz"

Lampert hält den Rückgriff auf die Daten der Rentenversicherung für einen "seriösen Forschungsansatz". In gesundheitlicher Ungleichheit würden sich die langfristigen Trends auch in der Sozialpolitik widerspiegeln.

Hier zieht er ein Fazit, das die Thesen der Demografie-Forscher stützen könnte: "In den vergangenen 20 Jahren kann man generell von einer Zunahme von Ungleichheiten sprechen, das gilt auch für die Entwicklung der Armutsrisikoquote. In diesem Kontext verfestigen sich Ungleichheiten auch im Gesundheitsverhalten."

Als Beispiel nennt Lampert den Rückgang der Raucherquote: Davon profitierten überwiegend Menschen aus mittleren und höheren Sozialschichten, berichtet er. Um diese Entwicklungen zu verfolgen, sei in den vergangenen Jahren im RKI ein Gesundheitsmonitoring aufgebaut worden.

Dessen Ziel ist die Dauerbeobachtung der gesundheitlichen Entwicklung in Deutschland. "Wir werden aber noch einige Jahre brauchen, um belastbare Aussagen über langfristige zeitliche Entwicklungen und Trends in Bezug auf die gesundheitliche Ungleichheit treffen zu können."

Konsens gebe es, welche Schritte am ehesten geeignet sind, um den sozialen Gradienten im Gesundheitsverhalten zu verringern: "Investitionen in Bildung".

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