Inklusion

Ein dorniger Weg mit vielen Hindernissen

Wenn Menschen mit oder ohne Behinderung überall dabei sein können, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, dann ist das gelungene Inklusion. Sozialpädiater fordern eine ehrliche Zwischenbilanz zur Situation in Deutschland.

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BERLIN. Der Inklusionsprozess in Deutschland geht nur langsam voran. Viel zu langsam, meint die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ).

Dies führe dazu, dass auch immer noch viel zu wenige Kinder mit Behinderungen "inklusiv" betreut werden.

Diese "Exklusion" von Eltern behinderter Kinder ist sicher nicht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, stellt Dr. Ulrike Horacek, Vorstandsmitglied DGSPJ, ernüchternd fest. Und schon gar nicht im Sinne der Kinder, die doch Inklusion erleben und erfahren sollen.

Dazu allerdings sei ein ausreichendes und stabiles soziales Netzwerk im Umfeld der Familie notwendig. Generell vermissen alle an der Inklusion Beteiligten - Eltern, Lehrer, Erzieher - eine angemessene und nachhaltige Unterstützung, beklagt Horacek im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Fachberatung ausbauen!

Zunächst einmal sollte deshalb die Inklusions- und Fachberatung im Kita-Bereich ausgebaut werden, fordert die DGSPJ, um Eltern und das soziale Umfeld bereits früh für das Thema zu sensibilisieren.

Die pädagogischen Mitarbeiter benötigen hierfür jedoch besondere Unterstützung. Nicht nur die Herausforderungen mit Blick auf das Alter oder die Nationalität erweitern sich, auch die Bandbreite von Krankheiten und Behinderungen wird größer.

An den Schulen sollten multiprofessionelle Teams eingesetzt werden, für die nicht nur räumliche und sachliche Rahmenbedingungen verbessert werden müssen. Kompetenz wird auch erwartet mit Blick auf Herausforderungen im Bereich Pflege und Gesundheit, Schulpsychologie sowie Sozialarbeit.

Vor allem aber dürfe auch eine angemessene medizinische Versorgung von kranken Schülern in Regelschulen nicht zu kurz kommen, warnt die DGSPJ. Diese Versorgung umfasst häufig auch einen umschriebenen Bedarf an Grund- und Behandlungspflege oder spezieller Krankenbeobachtung, etwa bei medikamentöser Neueinstellung eines Anfallsleidens oder bei ausgeprägtem ADHS.

Plädoyer für Gesundheitsschwester

Auch der Einsatz einer schuleigenen Fachkraft mit Expertise in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege könne nützlich sein. Die DGSPJ unterstützt daher das Konzept der "Schulgesundheitsschwester" nachhaltig. Darüber hinaus müsse das bewährte Angebot niedrigschwelliger Beratung in Schulsprechstunden durch Kinder- und Jugendärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ausgebaut werden.

Dennoch dürfe man bei der Inklusion nicht sich und die Systeme überfordern. Nicht alle Kinder seien in Regelschulen gut aufgehoben. Es gebe durchaus Kinder, die besonders schutzbedürftig sind oder vor deren Aggressionspotenzial andere Schüler geschützt werden müssen.

Horacek: "Sich das einzugestehen, ist kein Zeichen von Versagen, sondern ein Zeichen von Ehrlichkeit und entideologisiertem Denken."

Inklusion ist also nicht immer und nicht um jeden Preis möglich, stellt die DGSPJ klar. Gerade Eltern sprechen sich häufig - oft nach leidvollen Erfahrungen - für den Erhalt von Förderschulen aus, die dem besonderen Bedarf ihres Kindes besser entsprechen. Dort könnte dann die "Inklusion umgekehrt" greifen, die etwa an der Betty-Hirsch-Schule in Stuttgart seit 2011 umgesetzt wird.

Diese Förderschule für seh- und hörbehinderte Schüler hat sich für nicht beeinträchtigte Kinder geöffnet. Das Zahlenverhältnis in den kleinen Klassen hat sich seitdem sogar umgedreht: Heute lernen hier 66 Prozent nicht beeinträchtigte und 33 Prozent sinnesgestörte Kinder gemeinsam.

Eine besonders gute pädagogische Versorgung sowie gute räumliche und technische Rahmenbedingungen zeichnen das Konzept dieser Schule aus. Prädikat der DGSPJ: "Zur Nachahmung empfohlen!" (ras)

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