Mütter in Deutschland

Glucken, Rabenmütter, Alleinernährer

Mütter gelten in Deutschland wahlweise als Glucken oder Rabenmütter. Das meint zumindest der oberste Bevölkerungsforscher im Land. Er fordert: Wir brauchen mehr positive Leitbilder.

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Paare in Deutschland würden sich eher für Kinder entscheiden, wenn nicht so fiel Druck auf ihnen laste, meint der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Paare in Deutschland würden sich eher für Kinder entscheiden, wenn nicht so fiel Druck auf ihnen laste, meint der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

© drubig-photo / fotolia.com

MAINZ. Der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) appelliert an Politik und Gesellschaft, keine überzogenen Erwartungen an Mütter und Väter zu stellen. "Wir müssen Druck von den Eltern nehmen", sagte Norbert F. Schneider zum Start der Europäischen Bevölkerungskonferenz am Mittwoch in Mainz.

Dann sei es für Paare einfacher, sich für Kinder zu entscheiden. Bei der Konferenz, die erstmals in Deutschland stattfindet, geht es ab Mittwoch vor allem um Fruchtbarkeit und um den Wandel der Familie.

Schneider sieht einen Zusammenhang zwischen der niedrigen Geburtenrate in Deutschland und den negativen Bildern von Müttern und Vätern in der Gesellschaft. Entweder würden Frauen als Rabenmütter klassifiziert, die arbeiten gehen und sich zu wenig um die Kinder kümmern, oder als Glucken, die von ihren Männern abhängig und unzufrieden sind. "Es gibt keine positiv besetzten Leitbilder", sagte Schneider.

Wer ernährt die Familie?

Eine Arbeitsgruppe rund um Sabine Diabaté untersuchte am BiB in Wiesbaden Familien-Leitbilder. "Die Menschen schätzen die öffentliche Meinung konservativer ein als sich selbst", sagte Diabaté. So fanden in einer repräsentativen Umfrage auf der persönlichen Ebene nur 29 Prozent, dass der Mann allein die Familie ernähren können müsse. Auf der Ebene der Allgemeinheit hingegen denken 75 Prozent der Befragten, der Mann müsse diese Versorger-Rolle einnehmen.

Institutsdirektor Schneider forderte von der Wirtschaft mehr Einsatz für weitere Teilzeitarbeitsplätze. Er plädierte für Arbeitsmodelle, die nicht nur Vollzeit, also 40 Stunden die Woche, und halbe Stellen, also 20 Stunden die Woche, kennen. "Eigentlich bräuchten wir 25 und 35, oder 27 und 33 Stunden", sagte er. Damit komme ein Paar zusammen ebenfalls auf 60 Wochenstunden. Auch Väter wollten heute mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) setzt sich ebenfalls für eine gleichmäßigere Aufgabenteilung ein. Doch einen konkreten Gesetzentwurf gibt es - auch wegen des Widerstands der Union - nicht.

Gemeinsamer Haushalt

Im Jahr 2014 lebte laut Statistischem Bundesamt fast die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands in Familien mit ledigen Kindern im Haushalt. Weitere 29 Prozent lebten in Paargemeinschaften ohne Kinder und 22 Prozent waren alleinstehend.

Die meisten Eltern, die mit ihren Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben, sind verheiratet. Nichteheliche Lebenspartner mit Kindern im Haushalt sowie alleinerziehende Elternteile kommen deutlich seltener vor. Auch bei Paargemeinschaften, die keine Kinder haben oder nicht mehr mit ihnen zusammen leben, dominiert die Lebensform der Ehe. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt allein im Haushalt.

Das mittlere Erwachsenenalter dauert heute länger

Bei den Lebensformen gibt es deutliche Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen. So ist der Anteil der Alleinlebenden umso höher, je größer der Wohnort ist. In Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern leben 28 Prozent der Bevölkerung allein im Haushalt, während der Anteil in Gemeinden mit unter 5000 Einwohnern nur halb so hoch ist.

Zudem gibt es in Großstädten mehr Alleinerziehende als auf dem Land. Familien mit Kindern im Haushalt leben generell häufiger in kleineren Gemeinden, wo das Leben ruhiger ist, mehr Platz ist und die Mieten beziehungsweise Immobilienpreise günstiger sind.

Zu der mehrtägigen Bevölkerungskonferenz in Mainz - der größten in Europa - werden 950 Teilnehmer aus 56 Nationen erwartet. Auch Alterung und Sterblichkeit werden zu den Hauptthemen gehören.

Eine alternde Bevölkerung wie die in Deutschland führe nicht notwendigerweise in die Krise, betonte Schneider. "Wir haben nicht einmal empirische Evidenz, dass die Altersphase länger wird. Vielmehr dauert das mittlere Erwachsenenalter heute länger, nämlich von 20 bis 70 statt von 20 bis 50." (dpa/eb)

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