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"Zu viele nicht spezialisierte Kliniken in Ballungszentren"

Wie viel Erfahrung haben Kliniken in der Behandlung von Brustkrebs-Patientinnen? Wie gut versorgen sie Patienten mit Herzinfarkt? Antworten gibt der neue Qualitätsmonitor 2017 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und des Vereins Gesundheitsstadt Berlin. Dazu Fragen an den Mitautor Professor Dr. Thomas Mansky.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Professor Mansky, Sie haben am Qualitätsmonitor mitgeschrieben. Was ist Sinn und Zweck des Monitors?

Professor Thomas Mansky: Er soll Aufschluss geben, wie es um die Versorgungssituation in deutschen Krankenhäusern bei beispielhaft ausgewählten Krankheitsbildern bestellt ist. Konkret haben wir die Versorgungsqualität anhand von sechs Krankheitsbildern analysiert und dazu die Behandlungsfallzahlen, für die Behandlung wesentliche Strukturmerkmale und einige wichtige Qualitätsindikatoren näher untersucht. Da Laien und oft auch Fachleute nicht sicher wissen, wie viele Fälle bei einer bestimmten Behandlung "viel" oder "wenig" sind, haben wir die Fallzahlen nach Quartilen eingeteilt.

Das heißt?

Das heißt, dass wir das Viertel der Kliniken mit der jeweils niedrigsten beziehungsweise der höchsten Fallzahl und die Hälfte beziehungsweise zwei Viertel dazwischen ermittelt haben. Damit lässt sich die Fallzahl als Ausdruck der Behandlungserfahrung eines Krankenhauses im Vergleich zueinander einordnen. Zu den untersuchten Krankheitsbildern gehörten beispielsweise die Versorgung von Patienten mit Herzinfarkt und von Patientinnen mit Brustkrebs.

Was ist der Hintergrund der Untersuchung?

Wir haben in Deutschland ein Überangebot an Kliniken – darunter insbesondere zu viele kleine, nicht spezialisierte Anbieter in Ballungsgebieten. Strukturbereinigungen wie etwa in Dänemark, gibt es in Deutschland in viel zu geringem Umfang. In dieser Situation konkurrieren die Krankenhäuser um Patienten. Dies ist sinnvoll und kann zu besserer Qualität führen, wenn die Rahmenbedingungen angemessen gestaltet sind. Manche Krankenhäuser führen aber zum Teil auch Behandlungen durch, für die sie nach heutigem Standard nicht mehr adäquat ausgerüstet sind, beziehungsweise aufgrund zu kleiner Fallzahlen auch gar nicht adäquat ausgerüstet sein können. Für die Durchführung komplexer Behandlungen werden oft Spezialisten und Ausstattungen benötigt, die bei zu kleinen Fallzahlen nicht gewonnen oder aufgrund mangelnder Skaleneffekte nicht finanziert werden können. Das DRG-System ist prinzipiell darauf angelegt, solche Situationen zu bereinigen. Der wirtschaftliche Druck alleine kann aber die Probleme nicht lösen.

Und was hat der Vergleich mit Blick auf die Versorgung von Brustkrebs-Patientinnen ergeben?

Dass viele von ihnen nicht in Kliniken kommen, die über genügend Erfahrung und geeignete Strukturen in der Behandlung dieses Krankheitsbildes verfügen. Sehen Sie: Um eine ausreichende Erfahrung in der Behandlung von Brustkrebs sicherzustellen, empfiehlt die European Society of Breast Cancer Specialists, dass ein behandelndes Krankenhaus mindestens 150 Patientinnen pro Jahr erstversorgen sollte. OnkoZert, das Zertifizierungsinstitut der Deutschen Krebsgesellschaft, empfiehlt 100 Erstbehandlungen pro Jahr und mindestens 50 Operationen pro Operateur. In der Versorgungswirklichkeit zeigt sich aber, dass im unteren Fallzahlviertel der deutschen Kliniken weniger als acht Operationen pro Jahr durchgeführt werden. Selbst die fallzahlmäßig untere Hälfte der Krankenhäuser versorgt noch weniger als 49 Fälle pro Jahr.

Und die Schlussfolgerung daraus?

Wir alle wollen sicher keine Planwirtschaft. Der Staat muss aber als Regulator tätig werden, insbesondere dann, wenn die Sicherheit der Patienten gefährdet sein kann und diese aufgrund der Komplexität der Sachverhalte oder in einer Notfallsituation nicht in der Lage sind, selbst informierte Entscheidungen zu treffen. In diesem Sinne ist der Staat in vielen Bereichen tätig – etwa in der Lebensmittelwirtschaft, wo es Grenzwerte für bestimmte Schadstoffe in Lebensmitteln gibt. In ähnlicher Weise muss es auch "Grenzwerte", also in unserem Fall beispielsweise Mindestmengen und/oder Strukturvorgaben für die Behandlung wichtiger Krankheitsbilder geben, damit der Wettbewerb in sinnvoller Weise funktionieren kann. Gleichen Preisen im DRG-System muss ordnungspolitisch eine vergleichbare Versorgungsqualität gegenüberstehen. Die Krankenhäuser sollen um Patienten konkurrieren, aber jeweils nur bei den Krankheitsbildern, bei denen sie auch in der Lage sind, die Patienten adäquat – also entsprechend den fachlich konsentierten Mindeststandards – zu behandeln.

Das alles dürfte nicht ohne Folgen für die Versorgungslandschaft bleiben!?

Die genannten Vorgaben hätten eine Zentralisierung komplexerer Leistungen zur Folge, wie sie international derzeit in vielen Staaten umgesetzt wird. Am besten wäre es zwar, die grundlegenden Strukturprobleme im deutschen Krankenhausbereich entschieden anzugehen. Solange dies nicht geschieht, müssen wir aber zumindest sicherstellen, dass offenkundige Probleme in der Versorgungsstruktur, wie sie der Qualitätsmonitor aufzeigt, beseitigt werden.

Der Qualitätsmonitor 2017 kann auf der Homepage des WIdO kostenlosals E-Book heruntergeladen werden: www.wido.de

Prof. Thomas Mansky

Der Facharzt für Innere Medizin ist 1953 geboren und hat in Göttingen Medizin studiert. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit in der Medizinischen Informatik habilitierte er an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Lübeck.

Seit April 2010 leitet er das Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der TU Berlin.

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