Behandlung von Demenz

Das Rad muss nicht neu erfunden werden

Auch mit vorhandenen Instrumenten lässt sich die Situation Demenzkranker und ihrer Angehörigen deutlich verbessern. Voraussetzung: frühe Diagnose und richtige Kombination aller Optionen. Ein Modell aus der Versorgungsforschung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Bei guter Versorgung lässt sich die Belastung für Patienten und Angehörige verringern, zeigt eine aktuelle Studie.

Bei guter Versorgung lässt sich die Belastung für Patienten und Angehörige verringern, zeigt eine aktuelle Studie.

© alephnull/stock.adobe.com

Verlauf und Schweregrad von Demenz sowie die Belastung von Angehörigen können durch frühzeitige Diagnostik und komplexe, individuell abgestimmte Interventionen signifikant positiv beeinflusst werden. Das ist das Ergebnis der seit 2012 laufenden DelpHi-MV-Studie. DelpHi-MV steht für "Demenz: lebensweltorientierte und personenzentrierte Hilfen in Mecklenburg-Vorpommern" und wurde realisiert vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) unter der Leitung von Professor Wolfgang Hoffmann. Den vorläufigen Abschluss der Studie stellte Hoffmann jetzt auf dem 16. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung in Berlin vor.Die Problemlage demenzkranker Menschen und ihrer Angehörigen ist komplex: zu der in Regelfall chronisch fortschreitenden Erkrankung gesellen sich in Durchschnitt fünf bis sechs weitere Krankheiten. Aufgrund der Belastung der Familienangehörigen droht Überforderung mit dem Risiko, dadurch zu erkranken.

Umfassende Datenerhebung

Im Rahmen der Studie wurden insgesamt knapp 7000 ältere Patienten von Hausärzten daraufhin untersucht, ob es sinnvoll ist, an der Studie teilzunehmen. 634 Patienten in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Durchschnittsalter von 80 Jahren wurden eingeschlossen und in eine Verum- und eine Kontrollgruppe unterteilt. Speziell geschulte Studienschwestern starteten mit umfassenden persönlichen Interviews der Patienten und ihrer Angehörigen zur Krankheits- und Lebenssituation. Dies betrifft etwa gesundheitliche Beschwerden, Komorbidität, Medikation, Häufigkeit von Arztbesuchen, Lebensqualität, Unterstützung von Familienangehörigen, Grad der Pflegebedürftigkeit und Inanspruchnahme professioneller Dienste. Insgesamt rund 150 Parameter werden in diesen Interviews erfasst.

Die mit Tablet-PC ausgestatteten Schwestern konnten mit Hilfe einer speziell entwickelten Software konkrete Vorschläge für eine passgenaue Versorgungs- und Behandlungsplanung entwickeln. Aus 600 Variablen sind dazu mehr als 100 Handlungsoptionen möglich, von denen im Durchschnitt aller Patienten etwa acht konkret empfohlen wurden. Dazu zählen zum Beispiel:

- Die Teilnahme an Angehörigengruppen in Kooperation mit der Alzheimer-Gesellschaft; zum Teil mussten solche Selbsthilfegruppen auch gegründet werden.

- Die enge Kooperation mit dem Hausarzt und dem Hausapotheker zur Optimierung der Medikation. Festgestellt wurde, dass nahezu alle Studienteilnehmer mindestens ein Problem (etwa unerwünschte Interaktion verschiedener Arzneimittel aufgrund von Multimorbidität) hatten. Neben dem frühen und konsequenten Einsatz von Antidementiva war es das Ziel, auch die Diabetes-Therapie zu optimieren und Altersbeschwerden wie Gicht zu lindern.

- Bei 80 Prozent der Patienten wurden Compliance-Probleme festgestellt. Die Lagerung der Medikamente sei oft "abenteuerlich", so Hoffmann und auf fünf Stellen in der Wohnung verteilt. Die Verblisterung von Medikamenten werde kaum genutzt.

- Erstellung einer Task-Liste für Care-Manager, das sind speziell qualifizierte Pflegekräfte, die pflegerische Maßnahmen definieren, auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Komorbidität. Dabei zeigte sich auch, dass etwa jeder dritte Patient eine zu niedrige Pflegestufe (Pflegegrad) hatte.

Patienten in der Verum-Gruppe geht es besser

Während die Kontrollgruppe weiter konventionell betreut wurde, wurde für die Verum-Gruppe ein spezielles Dementia-Care-Management aufgelegt: ein individueller, regional angepasster Versorgungs- und Behandlungsplan, der mit dem Hausarzt und dem betreuenden Pflegedienst umgesetzt wurde. Nach sechs Monaten wiederholten die Studienschwestern Hausbesuch und Interviews und standen in der Folgezeit telefonisch beratend zur Verfügung. Sie selbst wurden nicht pflegerisch oder medizinisch tätig.

Die Ergebnisse der Studie zeigen eine beachtliche Wirksamkeitder Reorganisation der medizinischen und pflegerischen Betreuung:

- Der Anteil der Patienten, die Antidementiva erhielt, stieg in der Verumgruppe von 27 auf 40 Prozent; in der Kontrollgruppe blieb er konstant.

- Bei der ersten Status-Erhebung zeigten 53 Prozent der Patienten neuropsychiatrische Symptome wie Depression, Schlafstörungen oder Angstzustände, meist leicht bis mittel ausgeprägt. In der Verum-Gruppe wurde in der Folgezeit kein Anstieg festgestellt; in der Kontrollgruppe wuchs die Zahl der Patienten mit dieser Symptomatik.

- Bei der Lebensqualität zeigte sich in der Verum-Gruppe eine Verbesserung.

- Das Ausmaß der Angehörigenbelastung etwa durch Betreuung, Körperpflege und Aggressivität wurde (gemessen mit dem Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung) als mittel eingestuft. In der Verumgruppe zeigte sich eine signifikante Entlastung.

Aufgrund der Studienergebnisse wäre DelpHi-MV nun reif dafür, in die Regelversorgung übernommen zu werden, so Hoffmann. Nach seiner Einschätzung wäre dies auch kosteneffektiv, weil stationäre Behandlungen reduziert werden könnten.

Notwendig wäre es, dass nun eine große Krankenkasse als Vertragspartner zur Verfügung stünde. Das ist bislang noch nicht gelungen. Aber immerhin hat der GKV-Spitzenverband nach Angaben von Hoffmann seine Bereitschaft erklärt, weitere Evaluierungskosten zu übernehmen.

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