PRAXIS-KOLUMNE

KV-Restversorgung: Dreifach schlägt der Hammer zu

In KVen mit Individualbudgets erbringen viele Ärzte 20 und mehr Prozent Leistungen über der Kappungsgrenze, die nicht bezahlt werden. Macht man die Kollegen auf die kostenintensive Schlagseite der Praxen aufmerksam, so hört man meist ein "Es geht nicht anders" oder "Ich kann nicht ständig auf die Statistik gucken".

Von Dr. Ludger Beyerle Veröffentlicht:

Die Krankenkassen können ob der gratis erbrachten Leistungen dankbar sein und doch ist das Gegenteil der Fall: In etlichen Fällen versuchen sie, zusammen mit den KVen, den Arzt und seine Kollegin noch ein zweites und auch drittes Mal zur Ader zu lassen.

Fast wie im Raubtier-Kapitalismus scheint das Prinzip der Gewinnmaximierung durch "Lohndrücken" zur Agenda der Assekuranz zu gehören. Man führt gegen die Vertragsärzte nicht nur Regressverfahren bei etwaigen Medikamentenverordnungsüberschreitungen. Auch nachdem das Budget einen Leistungsüberstand der persönlichen Arbeit vorweg gekappt hat, kommt es an-schließend zur so genannten Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand statistischer Normierung.

Solange im EBM und seiner Restversorgung (neben dem Wust der Sonderverträge) das Honorar nicht völlig pauschaliert ist, kann man einzelne Leistungen und Sparten einer Abrechnung umrechnen in einen Aufwand pro Patient. Die resultierende Frequenztabelle zeigt das persönliche Arbeitsbild des Arztes und seiner Kollegin im Vergleich zur Fachgruppe. Üblicherweise kommen die individuelle Arbeitsweise und der Zustand der Klientel zum Vorschein. Die beim Vergleich mit dem Durchschnitt aller Fachgruppenärzte auftretenden Differenzen sind zwangsläufig, da niemand nach Durchschnittsvorgabe arbeiten will und kann. Aus wirtschaftlicher Sicht ergibt sich die Frage, wie groß die Abweichungen sein dürfen.

In Zeiten der nicht budgetierten Einzelleistungsvergütung waren Kappungen großer, unbegründeter Abweichungen vom statistischen Durchschnitt eine akzeptierte Kürzungsmethode. In ihrem Schematismus war sie arbeitssparend und blieb dennoch weit hinter der Aussagekraft einer Prüfung auf Plausibilität zurück. Diese wies - schwer widerlegbar - z. B. über Jahres-Verlaufskurven auf die Orientierung einer Behandlung auf neue Geräte oder besser dotierte Leistungen hin oder zeigte Schlagseiten, die nicht nachvollziehbar waren. Moderner Klassiker: Die Explosion der Akupunkturleistungen von Null auf - geschätzt - über eine halbe Milliarde Euro seit dem Angebot der extrabudgetären Bezahlung. Die Plausi-Prüfung ist als Grundlage für Honorarprüfungen Mittel der Wahl.

Dennoch regiert in den KVen weiter die statistische Kürzung im Anschluss an die Budgetlimitierung. Wenn man den Vertragsärzten als Nummer drei noch einen Medikamentenregress hinterherschickt, zwingt man sie zur Umstellung auf eine Computermedizin nach den Vorgaben der Praxis-EDV. Hier wird der Arzt "vorbildlich", wenn er die Patientenbehandlung an der Auffüllung noch freier Untersuchungsbudgets und Leistungssparten orientiert. Genau das ist stille Rationierung. Von unsichtbarer Hand gesteuert, erhält der Patient - anfangs kaum merkbar und zum Quartalsende deutlich ausschleichend - die noch freien Sub-Anteile des Budgets. Die Bedürfnisse der Klientel werden hinter den statistischen Regressdrohungen auf die Plätze verwiesen.

Die gesetzliche Assekuranz - hier in Zwangsgemeinschaft mit den KVen - scheint das nicht zu stören. Denn mit dem dreifachen Kürzungsverfahren kann man Finanzen einbehalten - und das ist ein einträgliches Tätigkeitsfeld.

Angesichts der Loblieder auf KV-freie, neue Vertragsarten mit weniger Regress-Stress darf die Vertragsärzteschaft die Gewinnmaximierungs-Mentalität der Assekuranz und ihr ebenso gewaltiges wie Jahrzehnte erprobtes Rückschlagspotenzial dennoch nicht vergessen.

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