32,48 Euro: Beim Fallwert hat Westfalen-Lippe die rote Laterne

Die Hausärzte in Westfalen-Lippe können es nicht fassen: Bei nur 32,48 Euro liegt ihr Fallwert fürs erste Quartal 2009. So gering ist er nach den bisher bekannten Berechnungen nirgends sonst in der Republik. Wo stecken eigentlich die versprochenen zehn Prozent Honorarplus, fragen sich viele.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:

Die rote Laterne - Sinnbild für den Letzten einer Gruppe.

Allgemeinarzt Dr. Hans-Christian Körner aus Lippe ist desillusioniert. "Wir hatten die Erwartungshaltung, dass wir für unsere Arbeit, die oft 60 Stunden die Woche umfasst, mehr Geld bekommen. Jetzt haben wir zwar ein höheres Honorarvolumen. Das können wir aber nur abgreifen, wenn wir mehr arbeiten", sagt Körner.

Nach dem Erhalt des Bescheids über das Regelleistungsvolumen haben er und sein Kollege nachgerechnet. Auch wenn die Leistungen mit eingerechnet werden, die ab dem kommenden Jahr außerhalb des Regelleistungsvolumens bezahlt werden, "verlieren wir 10 000 Euro pro Quartal", erzählt Körner. "Wenn wir das Hautkrebsscreening ordentlich pushen und die Psychosomatik ausweiten, können wir das Defizit verringern. Aber das ist keine Erhöhung des Honorars!"

Zeit für noch mehr Arbeit gibt es in Landpraxen nicht

Besonders ärgert sich Körner, der auch Geschäftsführer des Ärztenetzes Lippe ist, über die Zusatzbudgets, die unter anderem für Psychosomatik, Sonografie, Chirotherapie und Spirometrie eingeführt werden. "In unserer 1000-Scheine-Praxis müssten wir 225 Sonos, 160 Spirometrien oder 150 Chirotherapien machen, um diese Budgets abgreifen zu können. Aber dafür haben wir gar keine Zeit - von der medizinischen Indikation mal ganz zu schweigen", so Körner.

Der niedrige Fallwert ist für den Hausarzt unbegreiflich, auch wenn er für ihn wegen des zehnprozentigen Aufschlags für fachgleiche Gemeinschaftspraxen bei rund 35 Euro liegt. Schon allein mit der Abrechnung der Versichertenpauschale, die je nach Alter des Patienten zwischen 31, 50 Euro und 35,70 Euro liegt, sei der Fallwert nahezu oder ganz ausgeschöpft. Weitere Leistungen würden dann wegen der Abstaffelung fast gar nicht mehr vergütet. Für einen Hausbesuch (01410) bleibe dann wohl kaum was von den regulären 15,40-EBM-Euro übrig.

Ärzten fehlt bei der Reform die Transparenz

Hans-Christian Körner und sein Praxis-Partner setzen nun erst mal auf das Prinzip Hoffnung. Darauf, dass sich in der Honorarverteilung vielleicht doch noch etwas zum Vorteil der Hausärzte ändern wird. Der erste Reflex nach dem Erhalt des RLV-Bescheids war, "am Personal zu sparen", gibt Körner zu. "Aber wenn man sieht, wie sich die Arzthelferinnen mit uns krumm machen, kann man das nicht machen."

Dem Hausarzt fehlt bei der Honorarreform die Transparenz. Wo ist denn das versprochene Honorarplus geblieben? Und hätte es nicht vielleicht Möglichkeiten für die KV Westfalen-Lippe gegeben, sich schon vorher auf die neue Honorarsystematik einzustellen - "uns Schafe darauf vorzubereiten?" wie es Körner formuliert. Der KV Niedersachsen mit ihrem hohen Fallwert sei dies ja offenbar gelungen.

Fallwert in Niedersachsen liegt bei 44 Euro

Die KV Niedersachsen gehört eindeutig und auch nach eigener Einschätzung zu den Gewinnern der Honorarreform. Nicht nur 10,6 Prozent wie in Westfalen-Lippe, sondern gleich 16 Prozent mehr Honorar bekommen die Ärzte in Niedersachsen im kommenden Jahr im Vergleich zu 2007. Der Fallwert für Hausärzte beträgt hier 44 Euro. Nach Ansicht von Experten sind die Budgets so hoch, dass einige Hausärzte sie teilweise gar nicht ausfüllen können.

Ein Vergleich mit der KV Niedersachsen kann erklären, warum die Fallwerte in den einzelnen KVen so unterschiedlich hoch ausfallen. Entscheidend dafür ist zum einen natürlich das Geld, das den Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verteilung an die Ärzte zur Verfügung steht. Zum anderen spielen die Fallzahlen eine große Rolle.

Die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung, die die KVen erhalten, richtet sich in erster Linie nach dem so genannten Leistungsbedarf des Jahres 2007 - also nach den Punkten, die damals von den Ärzten abgerechnet wurden. Der so ermittelte Leistungsbedarf ist in Westfalen-Lippe geringer ausgefallen als in Niedersachsen.

Nicht alle Leistungen wurden dokumentiert

Ein Grund dafür liegt in den unterschiedlichen Honorarverteilungsverträgen, die in den beiden KVen bis dato existierten. Ohne Mengenbegrenzungen bei der Abrechnung ging es zwar auch in Niedersachen nicht. Im Vergleich zu anderen Kassenärztlichen Vereinigungen konnten die niedergelassenen Ärzte hier aber wesentlich mehr Leistungen innerhalb ihres Individualbudgets abrechnen. Dafür bekamen die Praxischefs diese jedoch nur mit einem niedrigen Punktwert bezahlt - im Schnitt mit 2,9 bis 3,2 Cent.

Die KV in Westfalen-Lippe dagegen gehörte zu den Selbstverwaltungen, die bei knappen Mitteln versuchten, den Punktwert für die Ärzte hochzuhalten. Der Preis für Punktwerte um die 3,8  und 3,9 Cent: Rigorose Mengenbegrenzungen bei den Punktzahlgrenzvolumen, die dazu führten, dass die Ärzte nicht mehr alle erbrachten Leistungen abrechneten oder dokumentierten.

Die Auswirkungen sind offensichtlich: Die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung im ersten Quartal 2009 beträgt in Westfalen-Lippe 563 Millionen Euro, in Niedersachsen 630 Millionen Euro. Nach Abzug des Vergütungsanteils für die antrags- und genehmigungspflichtige Psychotherapie geht in Westfalen-Lippe das verbleibende Honorarvolumen zu 45,98 Prozent (244,6 Millionen Euro) an die Hausärzte und zu 54,02 Prozent an die Fachärzte.

Niedersachsen sieht sich jetzt belohnt

Bei der Berechnung des arztgruppenspezifischen Fallwertes spielen die Fallzahlen eine wichtige Rolle. Je höher diese sind, desto geringer fällt logischerweise der Fallwert aus. In Westfalen-Lippe sind die Hausärzte offensichtlich gut beschäftigt. Die durchschnittliche Fallzahl der Allgemeinärzte, hausärztlichen Internisten und praktischen Ärzte liegt bei 982, in Niedersachsen bei 938.

Im Nachhinein fühlt sich die KV Niedersachsen jetzt natürlich in ihrer Honorarpolitik bestätigt, für die sie früher viele Prügel der Niedergelassenen einstecken musste. Die KV Westfalen-Lippe dagegen sieht sich seit Bekanntwerten der Regelleistungsvolumen und Fallwerte mit dem Zorn vieler ihrer Mitglieder konfrontiert. "Wir bekommen jetzt die Prügel", sagt KV-Sprecher Andreas Daniel. Für die neue Honorarsystematik könne die KV jedoch nichts. "Hätten wir das vorher geahnt, hätten wir bei der Honorarverteilung schon früher etwas geändert", so Daniel.

Sind einige Probleme hausgemacht?

Verärgert ist die KV jedoch über Äußerungen von KBV-Chef Dr. Andreas Köhler, die Probleme in manchen Kassenärztlichen Vereinigungen seien hausgemacht. Manche KV-Spitze, hatte Köhler auf einer Pressekonferenz anlässlich der KBV-Vertreterversammlung gesagt, habe unnötig hohe Rückstellungen zum Beispiel für die Fallwertzuschläge und andere, außerhalb der RLV vergütete Leistungen gebildet. Das verringere natürlich das zu verteilende Finanzvolumen stark. "Nach Schätzungen unserer Honorarabteilung werden unsere Rückstellungen knapp reichen", sagt KV-Sprecher Daniel. Noch geringere Rückstellungen seien deshalb gar nicht möglich gewesen.

Wo bleiben aber nun die im Vergleich zu 2007 angekündigten 10,6 Prozent mehr Honorar für Westfalen-Lippe? Fünf Prozent dieser Steigerung seien schon in diesem Jahr an die Ärzte geflossen durch die Erhöhung der Leistungsbewertung im EBM 2008, bei der Prävention oder in Form von Strukturverträgen.

Für 2009 gebe es deshalb faktisch nur noch ein Honorarplus von fünf Prozent. Und dieses Geld, so Andreas Daniel, verteile sich durch die Honorarreform höchst unterschiedlich auf die Ärzte. "Es gibt viele Gewinner, aber auch Verlierer, sowohl bei den Fachgruppen, als auch bei den Ärzten innerhalb einer Arztgruppe."

Ein generelles Problem sieht auch die KV Niedersachsen in den pauschalen Aussagen über den Honorarzuwachs. Die "16-Prozent-Legende", so Sprecher Detlef Haffke, führe dazu, "dass jeder erwartet, dass er einen Honorarzuwachs kriegt". Aber auch in Niedersachsen gibt es enttäuschte Verlierer.

Lesen Sie dazu auch: KBV will Stellschrauben nachjustieren DAS SAGEN ÄRZTE Verlierer bei den Fachärzten

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