Regelleistungsvolumen - es zählt der Durchschnitt

Die Verlierer des neuen Vergütungssystems stehen fest: Es sind die Ärzte, die mit hohen Scheinzahlen arbeiten, und die, die nicht auf die extrabudgetären Leistungen zurückgreifen können.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:

Das Wort Regelleistungsvolumen taugt in den Augen mancher niedergelassener Ärzte dazu, zum Unwort des Jahres zu werden. Das hängt nicht nur mit der Sperrigkeit des Begriffs zusammen. Auch in der abgekürzten Version geht er vielen Kollegen nicht leichter über die Lippen.

RLV - das steht bei einigen Niedergelassenen mittlerweile für drohende Pleite, "Honorarbetrug" und "abermaliges Versagen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der KBV". So jedenfalls lesen sich die Beiträge in den Foren, die seit Ende November mit der Bekanntgabe der ersten RLV überall in der Republik entstanden sind.

Das soll reichen? Eine Frage, die sich viele Ärzte angesichts ihrer RLV stellten.

Das soll reichen? Eine Frage, die sich viele Ärzte angesichts ihrer RLV stellten.

© Foto: Bernd Leitnerwww.fotolia.de

Buchstäblich bestraft fühlen sich die Landärzte mit hohen Scheinzahlen. Das Problem: Ärzte, die mit ihren Patientenzahlen spürbar über dem Durchschnitt der Arztgruppe liegen, können nicht für jeden Patienten den vollen Fallwert in Anspruch nehmen. Leistungen, die über das Budget hinausgehen, werden zudem nur mit einem abgestaffelten Preis vergütet.

Fallwert verringert sich durch die Abstaffelung

Wieviel Geld es für die Leistungen bei der Abstaffelung geben wird, ist noch völlig unklar. Zwar müssen die KVen Rückstellungen für Leistungen bilden, die über das Regelleistungsvolumen der Ärzte hinausgehen. Je mehr Niedergelassene aber ihr Budget überschreiten, desto niedriger fällt naturgemäß das Honorar für die abgestaffelten Leistungen aus.

Die KV Berlin hat darauf reagiert und beispielsweise die Durchschnittsfallzahl bei Hausärzten großzügig auf 900 festgelegt. Der Grund: Praxen, die mit 1100 bis 1200 Patienten für Berliner Verhältnisse als groß gelten, sollen dadurch nicht abgestaffelt vergütet werden.

Praxen mit überdurchschnittlich vielen Patienten werden durch die Regelleistungsvolumen also in Richtung Durchschnitt nivelliert. "Großpraxen im ländlichen Bereich werden Probleme bekommen", sagt Detlef Haffke, Sprecher der KV Niedersachsen. Glücklich ist man nicht mit diesem System der Vereinheitlichung - wo doch schon in manchen Gebieten Unterversorgung bei den Hausärzten herrscht. "Langfristig muss man sich etwas anderes überlegen. Sonst wird man auf dem Land überhaupt keine Hausärzte mehr finden", so Haffke.

Änderungen nicht nur bei Neurologen in Sicht?

Zu den Verlierern der Regelleistungsvolumina gehören aber auch die Ärzte, die bisher nur wenige Patienten betreuten, dafür aber einen höheren Fallwert als den nun arztgruppenspezifischen RLV-Fallwert hatten. Nicht zu den Gewinnern zählen ebenso die Fachgruppen, die nicht mit extrabudgetären Leistungen ihr Honorar aufpäppeln können.

In einer solchen prekären Lage sehen sich etwa die Neurologen, Nervenärzte und Psychiater. Der Berufsverband deutscher Nervenärzte (BVDN) schlägt seit Wochen Alarm. "Wir gehören zu den Fachgruppen, die hinten runter fallen", klagt BVDN-Vorsitzender Dr. Frank Bergmann. Ein nennenswerter Teil des zur Verfügung stehenden Honorarvolumens werde für die Bezahlung extrabudgetärer Leistungen verwendet. Die Nervenärzte, Neurologen und Psychiater hätten aber kaum Möglichkeiten, an diese extrabudgetären Vergütungen zu kommen. Und die Regelleistungsvolumen seien in der Regel zu gering, um damit eine Praxis zu betreiben.

Das Trommeln hat genutzt. Inzwischen sieht die KBV dringenden Handlungsbedarf angesichts der sich abzeichnenden Honorarsituation bei den Neurologen. Mit den Kassen will die KBV nun Verhandlungen aufnehmen. Anpassungen könnten allerdings frühestens zum 1. April 2009 greifen, heißt es.

Schleswig-Holstein will am liebsten regionale Budgets testen.

Änderungen bei der Honorarverteilung wollen jetzt auch die KV Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe durchsetzen. Mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums in Kiel setzt sich Schleswig-Holstein dafür ein, dass die Arztpraxen eine Art Übergangszeitraum bekommen. Auch die Erprobung regionaler Budgets wird ins Spiel gebracht.

Eine Konvergenzphase von einem Jahr hat gleichfalls die KV Westfalen-Lippe vor Augen. So sollen die Auswirkungen der Reform zumindest abgemildert werden. "Wir prüfen zudem, ob eine differenzierte Steuerung der Versorgung dadurch möglich ist, dass einzelne für die Versorgung wichtige Leistungen aus dem RLV herausgenommen werden oder Aufschläge zum RLV für bestimmte Leistungen möglich werden", so Andreas Daniel, Sprecher der KV Westfalen-Lippe.

Fallwerte können durch Hausarztverträge sinken

Die Fallwerte zur Berechnung der Regelleistungsvolumina werden für jedes Quartal neu festgesetzt. Dabei ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Fallwerte für die weiteren Quartale des Jahres 2009 sinken werden. Änderungen könnte es besonders ab dem dritten Quartal geben. Grund: Ab Juli 2009 müssen alle Krankenkassen Hausarztverträge abgeschlossen haben. Dies hat zur Folge, dass das Honorarvolumen, das Hausärzten dann zur Verfügung steht, entsprechend bereinigt wird. "Noch können wir nicht abschätzen, welche Auswirkungen das haben wird", so Haffke.

Regelleistungsvolumen und Fallwert

Für jedes Quartal neu erhalten niedergelassene Vertragsärzte ab 2009 ein Regelleistungsvolumen zugeteilt. Dies wird berechnet, indem der arztgruppenspezifische Fallwert mit den kurativ-ambulanten Fällen des Arztes aus dem entsprechenden Vorjahresquartal multipliziert werden.

Der Fallwert variiert je nach Kassenärztlicher Vereinigung - die Spanne liegt derzeit zwischen 32 Euro (Westfalen-Lippe) und 44 Euro (Niedersachsen). Da in vielen Fällen der Fallwert schon durch die Abrechnung der Versichertenpauschale (31,50 Euro bis 35,70 Euro) nahezu ausgeschöpft wird, spielen sogenannte Verdünnerscheine wieder eine große Rolle, um ein Überschreiten des RLV-Betrags zu vermeiden.

RLV - Pflicht seit Juli 2004

Arztgruppenspezifische Regelleistungsvolumen mit festen Punktwerten sind eigentlich schon seit Juli 2004 Pflicht. Das hat der Gesetzgeber in Paragraf 85 Absatz 4 SGB V festgelegt. Dass in den Kassenärztlichen Vereinigungen jedoch nicht schon früher als 2009 überall Regelleistungsvolumen existierten, hat damit zu tun, dass der Bewertungsausschuss den KVen eine Übergangsfrist zur Umsetzung dieser Gesetzesbestimmung einräumte. Zu Unrecht, wie übrigens Anfang dieses Jahres das Sozialgericht Stuttgart feststellte. Dessen Richter stellten fest, dass der Bewertungsausschuss gar nicht befugt war, den KVen eine Übergangsfrist für die Einführung von RLV einzuräumen.

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