Gastbeitrag

Prüfungen dürfen nicht endlos dauern

Regresse schweben über vielen Ärzten wie ein Damoklesschwert. Aus diesem Grund fragen sich Praxischefs immer wieder: Wann ist das Regressrisiko eigentlich ausgestanden?

Von Christian Dierks Veröffentlicht:

Die Frage, wann Ärzte nicht mehr mit einem Regress konfrontiert werden dürfen, hat die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt und zuletzt auch den Gesetzgeber auf den Plan gerufen.

Seit 2008 gilt für die Richtgrößenprüfung, dass die Regressfestsetzung innerhalb von zwei Jahren nach Ende des geprüften Verordnungszeitraumes erfolgen muss (Paragraf 106 Absatz 2 SGB V). Dadurch ist klargestellt, dass Richtgrößen-Regresse für das Jahr 2007 bis zum 31. Dezember 2009 festgesetzt werden müssen. Die Prüfgremien müssen also erheblich schneller arbeiten als bisher. Für die Zukunft ist die Rechtslage demnach geklärt.

Neue Zwei-Jahres-Frist gilt nicht für Altfälle

Doch was ist mit den Regressen, die vor dem Jahr 2008 festgesetzt wurden und sich jetzt noch in Widerspruchs- oder Klageverfahren befinden? Nach der wohl überwiegenden Ansicht der Sozialgerichte gilt die Zwei-Jahres-Frist für diese Verfahren nicht, weil sie vor 2008 noch keine Gültigkeit hatte. Welche Ausschlussfrist ist aber dann für Ärzte relevant? Bei welchen Regressen besteht also Hoffnung, dass sie zu spät festgesetzt wurden?

Das Bundessozialgericht hatte schon 1993 aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit gefolgert, dass das Prüfverfahren nicht endlos dauern darf, sondern eine zeitliche Grenze haben müsse. Demnach sei der Honorarkürzungsbescheid, der die Wirtschaftlichkeitsprüfung abschließt spätestens vier Jahre nach der vorläufigen Honorarabrechnung durch die KV dem Arzt zuzustellen (Az.: 14 a/6 RKa 37/91).

Später hat das Bundessozialgericht diese Ausschlussfrist auch auf die Richtgrößenprüfung erstreckt (Az.: B 6 KA 63/04 R). Die vierjährige Ausschlussfrist gilt also unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben aus rechtsstaatlichen Erwägungen heraus.

Wann die Frist zu laufen beginnt, ist noch umstritten.

Nicht endgültig geklärt ist bislang allerdings die Frage, wann die Frist zu laufen beginnt. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatte in einem Verfahren, in dem es auch um eine Richtgrößenprüfung ging, den Lauf der Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Honorarbescheids für das letzte Quartal des geprüften Jahres beginnen lassen. In dem Verfahren kam es jedoch auf die Frist nicht an, so dass diese Auffassung nicht in den Leitsatz der Entscheidung übernommen wurde (LSG Niedersachsen-Bremen, Az.: L 3 KA 39/08 ER).

Demgegenüber hat das Sozialgericht Berlin mit guten Gründen die Ausschlussfrist mit Ablauf des geprüften Zeitraumes beginnen lassen. Nur so ließe sich die gebotene Rechtssicherheit und -klarheit erreichen. Wenn auf den geprüften Zeitraum abgestellt werde, könnten alle Beteiligten klar Beginn und Ende der Frist bestimmen.

Auch würde den Krankenkassen und Prüfgremien ausreichend Zeit eingeräumt, die Wirtschaftlichkeitsprüfung vorzunehmen. Schließlich sei es auch dem geprüften Vertragsarzt möglich, mit größtmöglicher Rechtssicherheit zu disponieren.

An die Rechtssicherheit der Regressbescheide sind nach Auffassung des Gerichts auch höhere Anforderungen zu stellen als an die Prüfung von Honorarbescheiden, bei denen es um das "Behaltendürfen" von Honorar geht, während die Regresse in das Eigentum des Arztes eingreifen. Diese Ansicht überzeugt auch vor allem deshalb, weil die Überprüfung von Verordnungszeiträumen nicht an Fristen gekoppelt werden sollte, die mit der Zustellung von Honorarbescheiden zu laufen beginnen. Auf die guten Gründe des Sozialgerichts Berlin kann man sich daher bei der rechtlichen Überprüfung des eigenen Regressbescheides ohne Weiteres berufen (SG Berlin, Az.: S 83 KA 74/07, rechtskräftig).

Seit 2008 haben Prüfer nur noch zwei Jahre Zeit

Zusammenfassend ist also festzuhalten: Regresse in Richtgrößenprüfungen, die vor dem 1. Januar 2008 festgesetzt wurden, unterliegen der vierjährigen Ausschlussfrist, die das Bundessozialgericht für die Richtgrößenprüfung entwickelt hat.

Wann die Frist zu laufen beginnt, ist in der Rechtsprechung noch nicht einheitlich entschieden. Gute Gründe sprechen für den Beginn am Ende des jeweiligen Verordnungszeitraumes. Regresse, die nach dem 1. Januar 2008 festgelegt wurden, unterliegen der zweijährigen Ausschlussfrist. Diese beginnt von Gesetzes wegen am Ende des geprüften Verordnungszeitraumes.

Professor Christian Dierks ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Fachanwalt für Sozialrecht. Er ist Mitbegründer der Rechtsanwaltskanzlei Dierks & Bohle in Berlin.

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