Hintergrund

Bayerns Ärzte hadern mit den ambulanten Kodierrichtlinien

Einige Haus- und Fachärzte in Bayern haben schon die neuen ambulanten Kodierrichtlinien getestet. Vor allem die Handhabbarkeit der Kodierung im Praxisalltag wird von manchen Ärzten bezweifelt. Ein Arzt berichtet.

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Das Kodieren wird für Ärzte in Zukunft nicht leichter.

Das Kodieren wird für Ärzte in Zukunft nicht leichter.

© pressmaster / fotolia.com

Haus- und Fachärzte, die in Bayern im Juli und August die neuen Ambulanten Kodierrichtlinien (AKR) in einer Pilotphase getestet haben, berichten derzeit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) detailliert über ihre bisherigen Erfahrungen. Dabei geht es laut KVB insbesondere auch um die Bewertung der angebotenen Hilfsmittel.

Schon jetzt zeichne sich ab, dass die neuen Kodierrichtlinien bei den Hausärzten zu erheblich mehr Arbeit führen, meint der Passauer Hausarzt Wolfgang Gradel, der an der Pilot-phase zur Einführung der AKR teil-nimmt. Der Aufwand sei beim Hausarzt sicher größer als beim Facharzt, glaubt Gradel, "weil wir viel mehr verschiedene Diagnosen haben".

Außerdem stehe bei vielen Pa-tientenkontakten zunächst ein Symptom im Vordergrund. "Da fangen wir an, etwas auszuschließen, weil ein ‚Verdacht auf …‘ besteht", erläutert Gradel. "Erst am Ende haben wir dann eine Diagnose. Was soll man da kodieren?" Letztlich bestehe die Gefahr, dass durch das geänderte System die hausärztliche Medizin "falsch dargestellt wird".

Die neuen Kodierrichtlinien erfordern ein Umdenken bei der Kausali-tät, berichtet Gradel und nennt als Beispiel einen Patienten mit KHK, der einen Herzinfarkt erleidet. "Hier soll der Myocardinfarkt kodiert wer-den, obwohl doch die KHK ursäch-lich ist." Und wenn der Patient nach überstandenem Herzinfarkt im nächsten Quartal wieder in die Praxis kommt, sei die KHK wieder die wichtigste Diagnose. Bei jedem Patientenkontakt müsse also künftig neu überlegt werden, was kodiert werden soll.

Vor dem Hintergrund, dass Dauerdiagnosen nicht mehr vorgesehen sind und stattdessen behandlungs-relevante Diagnosen verschlüsselt werden sollen, ergeben sich nach Gradels bisherigen Erfahrungen ins-besondere bei der Kodierung maligner Neuerkrankungen sowie beim Diabetes mit seinen ganzen Zusatzerkrankungen immer wieder Probleme. "Das ist zu kompliziert, das muss einfacher werden", sagt der Passauer Hausarzt.

Als praxisfern empfindet Gradel auch die Ausführungen zur Umset-zung, in denen auf 161 Seiten mit elf allgemeinen und 59 speziellen Ko-dierrichtlinien die Kodierung der Diagnosen ausschließlich zur Abrechnung geregelt ist. "Das ist eher eine Enzyklopädie als eine praktische Anleitung", so sein Kommentar.

Auch die Einführungskurse, die die Teilnehmer der Pilotphase absolviert haben, seien viel zu zeitaufwändig. "Wenn den Kollegen solche Kurse angeboten werden sollten, muss sich das in einem zeitlich vertretbaren Rahmen halten", fordert Gradel prophylaktisch.

Nach den Beobachtungen der KVB hängt die Umsetzbarkeit der neuen Kodierrichtlinien offenbar stark von der jeweils genutzten Praxis-EDV ab. Die verschiedenen Softwaresysteme setzten die Richtlinien unterschiedlich um, so KVB-Vorsitzender Dr. Axel Munte. "Bei dem einen geht es leichter, bei dem anderen ist es schwieriger." Von den teilnehmenden Ärzten aller Fachrichtungen habe es aber bisher überwiegend positive Rückmeldung gegeben, so Muntes erste Zwischenbilanz.

Nach KVB-Angaben wird die Kassenärztliche Bundesvereinigung zu Beginn des vierten Quartals erste Ergebnisse veröffentlichen. Zuvor gibt es nach Ende des laufenden Quartals noch eine dritte Befragung der Testärzte, bei der es um eine mögliche Beeinflussung der Quartalsabrechnung etwa durch die Prüfung auf Falsch- oder Fehlkodierungen geht, teilte die KVB mit. Der Beschluss der KVB-Vertreterversammlung, die AKR "in der jetzigen Form" vorerst nicht einzuführen, ändere an diesem Zeitplan nichts. Bundesweit sollen die neuen Kodierrichtlinien dann ab Januar 2011 gelten.

Die KVB habe den Auftrag zur Durchführung der Testphase übernommen, um auf das Ob und Wie der bundesweit verbindlichen AKR-Einführung maßgeblich mit einwirken zu können, betonte Munte. "Dass ein Teil der Ärzte insbesondere im hausärztlichen Bereich die Einführung in der jetzigen Form ablehnt, wird einer der Punkte sein, die wir der KBV im weiteren Verlauf der Testphase zurückmelden werden", so Munte. "Jetzt ist für uns die Gelegenheit gegeben, Erfahrungen zu sammeln. Und das ist allemal besser, als etwas verfrüht scharf zu schalten und dann hinterher mit den negativen Konsequenzen leben zu müssen.

Lesen Sie dazu auch: "Die Kodierrichtlinien kommen zum 1. Januar"

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kräftemessen um Kodierrichtlinien

Mehr zum Thema

Erstmal ohne Kioske, PVZ, Studienplätze

Lauterbach speckt geplantes Versorgungsgesetz massiv ab

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Hämatologe gibt Tipps

Krebspatienten impfen: Das gilt es zu beachten

Lesetipps
Eine pulmonale Beteiligung bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) kann sich mit Stridor, Husten, Dyspnoe und Auswurf manifestieren. Sie zeigt in der Lungenfunktionsprüfung meist ein obstruktives Muster.

© Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Wenn der entzündete Darm auf die Lunge geht

Klinisch ist die Herausforderung bei der IgA-Nephropathie ihr variabler Verlauf. In den meisten Fällen macht sie keine großen Probleme. Bei einem Teil der Patienten verläuft sie chronisch aktiv, und einige wenige erleiden katastrophale Verläufe, die anderen, schweren Glomerulonephritiden nicht nachstehen.

© reineg / stock.adobe.com

Glomerulonephitiden

IgA-Nephropathie: Das Ziel ist die Null