Privat statt Kasse: Eine Dermatologin steigt um

Die Dermatologin Dr. Andrea Gräfe hat nach mehreren frustrierenden Jahren ihre Kassenzulassung an den Nagel gehangen. Jetzt ist sie Privatärztin. Geholfen haben ihr IGeL.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
Untersuchung mit einem Dermatoskop: Wer schon als Kassenarzt viele IGeL anbietet, hat es beim Umstieg in die Privatmedizin leichter.

Untersuchung mit einem Dermatoskop: Wer schon als Kassenarzt viele IGeL anbietet, hat es beim Umstieg in die Privatmedizin leichter.

© klaro

KÖLN.. Der Anfang als Kassenärztin war voller Optimismus und Tatendrang: Als sich Dr. Andrea Gräfe 2005 in Northeim bei Göttingen niederließ, war die Dermatologin, wie sie im Rückblick beschreibt, eine sehr motivierte Kassenärztin.

Sechs Jahre später sieht sie sich als sehr motivierte Privatärztin. Dazwischen waren eine erste Wachstumsphase der Kassenpraxis, erster Frust in der Kassenmedizin, die "KV-Todesspirale" und schließlich das Ruhenlassen der Kassenzulassung als folgerichtiger letzter Schritt.

Mit ihrem engagierten Vortrag zum Ausstieg aus der Kassenmedizin machte Gräfe beim 3. Bundeskongress für Privatmedizin in Köln Furore.

Mit immer wieder von Beifall unterbrochenen Aussagen zum Überdruss an der Bürokratie und zu den unmenschlichen Seiten der Kassenmedizin traf sie offenbar den Nerv vieler Besucher des Kongresses, der vom Kölner Beratungsunternehmen Frielingsdorf Consult ausgerichtet wurde.

Die Dermatologin startete 2005 mit 800 "Scheinen" und 10.000 Euro Privatumsatz im Quartal, ausgestattet mit den nötigen Krediten, auch für die Teilhabe am Praxisgebäude.

Schnell und mit hohem persönlichem Einsatz - "Ich hatte eine 80-Stunden-Woche, die Work Life-Balance geriet aus dem Ruder" - gelang Gräfe eine Steigerung der Patientenzahlen auf 1500 im Quartal.

Qualität für 13 Euro?

Der Frust kam dann bei der ersten Abrechnung: 30 Prozent der Leistungen wurden zum Restpunktwert von 0,3 Cent vergütet, hinzu kam ein Regress für Sprechstundenbedarf. Unterm Strich war das Ergebnis eine schwarze Null.

Gräfe: Endlich wieder richtig Arzt sein.

Gräfe: Endlich wieder richtig Arzt sein.

© privat

Weitere Frusterlebnisse der folgenden Jahre: die Steuernachzahlung im dritten Praxisjahr, QM-Seminare. "Wie kann man bei 13 oder 14 Euro pro Patient und Quartal noch das Wort Qualität in den Mund nehmen?", fragt die Dermatologin.

Nicht zuletzt frustrierte sie immer wieder Berichte in den Medien über "faule Ärzte, die zu wenig arbeiten".

Gräfe suchte nach Auswegen: Sie richtete eine separate Privatsprechstunde und eine IGeL-Sprechstunde ein, was zur Entspannung der finanziellen Lage führte.

Da sie aber zusätzlich durch Schwangerschaft und Stillzeit die Arbeitszeit zurückfahren musste, geriet sie in die "KV-Todesspirale", wie sie es nennt: Die RLV sanken, sie konnte immer weniger Pa tienten zum RLV- Honorar behandeln, schließlich war sie bei einem RLV von 10.000 Euro im Quartal angekommen.

Das Grundproblem der Kassenmedizin in der Dermatologie schildert die Hautärztin mit diesen Worten: "Unbegrenzte Ausgaben bei begrenzten Einnahmen, das mag bei einem Staat ein paar Jahre funktionieren, bei einer Kassenpraxis dreht die Bank nach zwei Jahren den Hahn zu."

Menschenunwürdiges System

Die Folge war, dass die Wartezeiten für Kassenpatienten auf vier Monate wuchsen - "die Beschwerden bei der KV häuften sich". Budgetferien brachten auch Ausfälle beim Privatumsatz und waren daher kontraproduktiv.

"Praxiswerbung erreicht auch Kassenpatienten", stellte die Dermatologin damals fest. Gräfe steigerte die Wochenarbeitszeit, sie behandelte 120 Patienten pro Tag, brach fast alle Sozialkontakte ab, besuchte keine Fortbildungen mehr. Sie erreichte schließlich einen Zustand der Erschöpfung.

2008 entschied sie sich, das Hautkrebs-Screening für Kassenpatienten nicht anzubieten, weil für ihr ärztliches Verständnis die Qualität der Untersuchung nicht ausreichte.

Dennoch kamen Patienten zum Screening zu ihr - "sie sind bereit, für eine bessere Qualität auch etwas zu bezahlen", so Gräfe.

Schließlich gab die Bank nach einer Patientenbefragung grünes Licht, trotz der immer noch laufenden Kredite über 450.000 Euro einen Start als Privatpraxis zu wagen. Der letzte Anlass war, dass sie bei einem Patienten nach vier Monaten Wartezeit ein malignes Melanom diagnostizierte.

"Das System ist einfach menschenunwürdig, so etwas darf eigentlich nicht passieren", so Gräfe auf dem Kongress. Sie setzte sich hin und schrieb der KV einen Brief, um das Ruhen der Zulassung nach Paragraf 26 der Zulassungsverordnung zu beantragen. Dem Antrag wurde stattgegeben, die Sicherstellung war nicht in Gefahr.

Doch würden die Kassenpatienten, die ja auch IGeL bei ihr in Anspruch nahmen, wenigstens für die Selbstzahlerleistungen tatsächlich erhalten bleiben? Sie blieben. "99 Prozent der Privatpatienten und 30 Prozent der GKV-Patienten sind der Praxis treu geblieben", so Gräfe.

40 Prozent mit IGeLn

Sie habe einen Selbstzahleranteil (IGeL) von 40 Prozent. Und: "Es gab keine Angriffe von Kollegen", stellte sie überrascht fest. Stattdessen viele Glückwünsche, "zum Teil mit sehr berührenden Worten", wie sie auf dem Bundeskongress sagte.

Das Wichtigste ist für sie jedoch: "Ich kann endlich wieder Arzt sein." Statt 100 behandele sie jetzt 30 bis 35 Patienten am Tag. Sie habe wieder Zeit für und Lust auf die Patienten und sei dadurch auch eine bessere Heilerin - weil der ärztliche Placebo-Effekt gestärkt werde.

Beim Umsatz gab es keine Ausfälle, inzwischen habe sie sogar ein kleines Plus erreicht. Alle Medizinischen Fachangestellten konnte sie behalten, "sie haben alle viel zu tun", so Gräfe. Und vor allem: "In der neuen Atmosphäre blühen die Mitarbeiterinnen auf, als wenn man sie gegossen hätte."

Gräfes Fazit fällt eindeutig aus: "Es war viel einfacher als gedacht." Die Patienten wüssten, dass die Gesundheit einen Wert hat. Die Dermatologie sei für einen solchen Schritt hin zur Privatmedizin natürlich prädestiniert, auch wegen des hohen IGeL-Anteils in vielen Kassenpraxen.

Hinzu komme, dass "eine vernünftige Medizin in der Dermatologie als Kassenarzt nicht mehr möglich ist", so Gräfe. Doch auch als Hausarzt könne man als "zuwendungsorientierte Arztpersönlichkeit" in der Privatmedizin erfolgreich sein, glaubt Gräfe.

Ihr sei wichtig, dass sie von ihrer Tätigkeit auch leben kann, ohne über alles diskutieren zu müssen und bei Patienten als IGeL-Abzockerin dazustehen.

Das sei als Privatärztin leichter möglich. Und Gräfe fühlt sich auch in bester Gesellschaft: "Viele Kollegen haben diesen Schritt inzwischen ebenfalls getan."

Von der Kassenarztpraxis zur Privatpraxis - gehen Sie niemals ungesichert vor!

54 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Österreich sind Privatärzte - eine Zwei-Klassen-Medizin sei dadurch in Österreich nicht entstanden. Mit dieser Aussage machte Hans Schaffer, Geschäftsführer der Dr. Rinner & Partner GmbH in München, den Besuchern des 3. Bundeskongresses für Privatmedizin Mut, selbst den Schritt in die Privatpraxis zu wagen.

Allerdings, so Schaffer, solle kein Vertragsarzt ungesichert seine Zulassung zurückgeben und als Privatarzt anfangen. "Privatpatienten sind auch Egoisten", sagte Schaffer. "Sie fragen: Was habe ich davon, wenn ich bei Dir Kunde bin?" Wer es schaffe, über den Auftritt der Praxis klare Antworten zu vermitteln, der sei auf dem richtigen Weg. Wer dagegen viele Jahre kaum in die Praxis investiert habe - was zwangsläufig in der Praxisausstattung sichtbar wird -, der dürfe nicht erwarten, dass er bei Privatpatienten Erfolg habe.

Schaffer empfahl, vor dem Umstieg in die Privatpraxis schrittweise vorzugehen und zunächst mit einer "Anamnese, Diagnose und Therapie der Praxisführung zu beginnen". Dazu gehörten unter anderem:

Führungscheck: Eine strukturierte Selbstbefragung zur Praxisführung, dem Führungsstil etc., hilft bei der Standortbestimmung der Praxis.

Patientenbefragung: Damit lässt sich eruieren, ob die Patienten bereit wären, den Weg in die Privatpraxis mitzugehen. Wichtig: Auch konkret danach fragen, ob Wahlleistungen der Praxis bekannt sind und ob Patienten bereit sind, Geld für ihre Gesundheit auszugeben. Positiv ist es, wenn die Praxis einen hohen IGeL-Anteil an den Umsätzen hat.

Betriebswirtschaftliche Planung, wie sich der Umstieg auf Umsatz und Gewinn auswirken wird.

Förderung: Der Umstieg in eine Privatarztpraxis ist grundsätzlich förderfähig.

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