Prävention

Nobelpreis für Anreiz-Theorie

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard H. Thaler hat sich in seinen Arbeiten mit rationalen Entscheidungen beschäftigt. Er ebnete den Weg für neue Ansätze zur verhaltensbasierten Regulierung – auch im Gesundheitswesen.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Der Nobelpreis für Wirtschaft geht in diesem Jahr an den US-Forscher Richard H. Thaler. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Gesundheitsökonomie.

Der Nobelpreis für Wirtschaft geht in diesem Jahr an den US-Forscher Richard H. Thaler. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Gesundheitsökonomie.

© Carsten Rehder/dpa

STOCKHOLM/CHICAGO. Spätestens seit diesem Montag ist der verhaltensökonomische Begriff der Nudges (Anstupser) einer breiten weltweiten Öffentlichkeit bekannt. Denn Richard H. Thaler von der University of Chicago prägte diesen im Kontext des rationalen menschlichen Handelns stehenden Begriff – am Montag hat er dafür den Wirtschaftsnobelpreis bekommen.

Der US-Ökonom beschäftigt sich unter anderem mit der Gesundheitsökonomie. In seinem 2008 erschienenen, gemeinsam mit Cass R. Sunstein verfassten Buch "Nudge: Improving Decisions about Health, Wealth, and Happiness" widmet er sich der Frage, wie man Menschen angesichts ihrer meist nicht auf Rationalität fußenden Entscheidungen dazu bringen kann, sich zum Beispiel um ihre Altersvorsorge zu kümmern, umweltbewusst zu leben oder sich gesund zu ernähren. Er setzt auf Anreize, nicht Bevormundung.

Thalers Theorem ebnete im Gesundheitswesen den Weg zu neuen Denkanstößen. So beschäftigt sich zum Beispiel die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin Lucia A. Reisch, Professorin an der Copenhagen Business School und Vorsitzende des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen, mit dem "Nudging for Health" – dem Modell der verhaltensbasierten Regulierung im Gesundheitswesen.

Laut Reisch sind Nudges – als Steuerungsinstrumente verstanden – im Sinne Thalers Verhaltensstimuli, die die Freiheit des Individuums bewahren und seine Autonomie und Wahlfreiheit sogar erhöhen. Sie seien keineswegs als Schubser, Zwang, Gesetze, Steuern, finanzielle Anreize, Strafen oder subliminale Manipulation misszuverstehen, wie sie 2016 in Bern auf dem 13. Schweizerischen Kongress für Gesundheitsökonomie und Gesundheitswissenschaften betonte.

Prävention durch Alternativen

Wie Nudges in der Realität aussehen können, zeigt ein Blick auf die Präventionsbemühungen – auch hier ist Reisch als Forscherin aktiv. Das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS hat Reisch im August einen Leibniz-Chair verliehen, um bei der Prävention die Implementationsforschung stärker zu fokussieren.

Kontraproduktiv in Thalers Sinne wäre zum Beispiel eine staatlich verordnete Salz- und Fettsteuer auf ungesunde Lebensmittel, wie sie immer wieder auch in Deutschland von ärztlicher und ernährungswissenschaftlicher Seite gefordert wird. Sie wäre eben kein Nudge, kein Anreiz für Verbraucher, sondern eine Strafe.

Die Übergewichtsprävention kann, wie Reisch publiziert hat, durch eine verhaltensbasierte Regulierung Anreize schaffen, den ungesunden Lebensstil zu ändern. Beispiele für Thalers Nudges sind hier laut Reisch Schulen und Betriebskantinen, die gesunde Ernährungsalternativen als Standard anbieten, die auf einfache Art wichtige Ernährungsinformationen mit dem Menü anbieten und damit die Essenswahl lenken.

Auf heftige Kritik der Verfechter der Nudging-Theorie Thalers in der Gesundheitsprävention dürfte hingegen Maltas Vorstoß zur Adipositas-Prävention in Europas Schulen stoßen. Denn der Inselstaat hatte während seiner EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte angesichts der zunehmenden Zahl adipöser Schüler die Qualität der Schulverpflegung in den Fokus gerückt – und präsentierte eine Blaupause für gesünderes Schulessen. Stellschraube dabei soll die Vertragsgestaltung in der öffentlichen Versorgung sein (wir berichteten). Das heißt, Cateringverträge dürften danach nur noch Anbieter bekommen, die sich einem bestimmten Anforderungskatalog an die Essenszubereitung unterwerfen – ein klassischer staatlicher Regulierungsansatz, der die Freiwilligkeit der Angebotsinanspruchnahme per se exkludiert.

Unsicherheit schlägt Ratio

Bei rationalen Entscheidungen von Verbrauchern – und das ist nach Meinung der Forscher auf Patienten durchaus übertragbar – stehen in der Verhaltensökonomik zwei Aspekte im Fokus: Entscheidungsmuster und allgemeine Verhaltenstendenzen würden in Entscheidungssituationen unter Unsicherheit aktiviert. Und das gelte gerade auch bei der Ernährung.

Dies zeige die empirische Forschung: Menschen im Konsumalltag entschieden viel weniger rational und informierten sich weit weniger umfassend, als dies das herrschende Leitbild des souveränen und aufgeklärten Konsumenten unterstelle – eben wegen dieser Unsicherheit. Thalers Nudges sollen in dieser Unsicherheit letztlich Anreize zur Orientierung geben und damit zu mehr Rationalität in den Entscheidungen führen.

Welchen Einfluss die verhaltensbasierte Regulierung à la Thaler auf die Gesundheits- und Verbraucherpolitik weltweit auf lange Sicht haben wird, steht noch in den Sternen. Fakt ist aber, dass sich immer mehr Wissenschaftler rund um den Globus mit diesem Ansatz auseinandersetzen.

Professor Richard H. Thaler

- Aktuelle Position: Der Verhaltensökonom lehrt an der University of Chicago Booth School of Business

- Auszeichnungen: 2014 Verleihung des Weltwirtschaftlichen Preises des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zusammen mit der Stadt Kiel und der Industrie- und Handelskammer Kiel; 2017 Verleihung des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften durch die Königlich-Schwedische Wissenschaftsakademie in Stockholm

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