Diesel-Urteil

Ringen um die besten Vermeidungsstrategien gegen Fahrverbote

Die Pneumologen sehen das Leipziger Diesel-Urteil als Gewinn für die Gesundheit. Industrie und Verbände konzentrieren sich in ihren Reaktionen vor allem auf Verantwortliche, Kosten und Versorgung.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
In der Einführung der blauen Plakette sehen viele Experten einen Weg zur Reduzierung der Stickoxid-Belastung in Städten.

In der Einführung der blauen Plakette sehen viele Experten einen Weg zur Reduzierung der Stickoxid-Belastung in Städten.

© Rolf Vennenbernd/dpa

LEIPZIG/BERLIN. Das Urteil zu den Diesel-Fahrverboten von Dienstag schlägt in Deutschland hohe Wellen. Dabei gibt es ein breites Spektrum an Reaktionen: Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) fordert im Nachgang zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die Kommunen auf, die Fahrverbote in den stark mit Abgasen belasteten Regionen auch umzusetzen. Die Leipziger Richter hatten grundsätzlich Grünes Licht für Diesel-Fahrverbote gegeben, allerdings auch zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gemahnt.

Die DGP verweist auf groß angelegte Studien wie die European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE). Insbesondere Feinstaub, aber auch Stickstoffdioxid als ein Maß für ein verkehrsabhängiges Schadstoffgemisch, könnten sich dabei negativ auf die Lungenfunktion auswirken. Während Experten die Schadwirkung für gesunde Erwachsene als nicht sehr hoch einschätzten, seien andere Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet. Dazu gehören laut DGP Kleinkinder und Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Asthma, COPD, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. "Das Problem ist, dass sich niemand den schädlichen Effekten von Abgasen vollständig entziehen kann", verdeutlicht DGP-Präsident Professor Klaus Rabe. "Es liegt deswegen in der Verantwortung der Kommunen, die Luftreinhaltepläne umzusetzen und zu einer besseren Luftqualität in den Ballungsgebieten beizutragen", ergänzt Rabe.

Ärzte sehen Autoindustrie am Zug

Neben den Fahrverboten als ultimative Maßnahme verweisen die Pneumologen auch auf eine Ausweitung der Umweltzonen, eine verbesserte Verkehrsorganisation zur Vermeidung des Stop-and-go-Verkehrs sowie eine attraktivere Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs als Handlungsoptionen. "Die Automobilindustrie muss durch strengere gesetzliche Auflagen dazu bewegt werden, die Emissionsrate ihrer Kraftfahrzeuge zu verbessern", lautet eine weitere Forderung der DGP.

Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), verwahrt sich gegen die Rolle seiner Branche als Schwarzer Peter in puncto Diesel und Gesundheitsbelastung. Er weist darauf hin, dass die Anstrengungen der deutschen Automobilindustrie, die Luftqualität in den Städten weiter zu verbessern, bereits zu spürbaren Erfolgen geführt hätten. Mit den beim letztjährigen Dieselgipfel vereinbarten kostenlosen Software-Updates von über 5 Millionen Euro-5- und Euro-6-Diesel-Pkw, den Umweltprämien und den Städte-Initiativen, die gemeinsam mit der Automobilindustrie gestartet wurden, könnten die NO2-Grenzwerte aller Voraussicht nach in allen Städten bis 2020 eingehalten werden, so der VDA-Präsident. "Nun liegt es in der Hand der Politik, alles zu unternehmen, um einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen in den Städten zu vermeiden", spielt Wissmann den Ball an die politischen Vertreter weiter.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät, widerspricht Wissmanns Aussagen. Mit den auf den Dieselgipfeln verabschiedeten Maßnahmen werde sich eine ausreichende Senkung der NO2-Belastungen im Sinne des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes nicht erreichen lassen. "Zu dieser Einschätzung kommt auch die Europäische Kommission, die den Druck im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen der Nichtumsetzung der Luftqualitätsrichtlinie wieder erhöht hat", so der SRU in einer Mitteilung.

Die Umweltexperten plädieren für die Weiterentwicklung der Umweltzone durch die Einführung einer blauen Plakette für Stickstoffoxide. Dafür müsste das Bundesverkehrsministerium die Bundes-Immissionsschutzverordnung ändern. "Das Ende der Dieselsubventionierung sollte in dieser Legislaturperiode ebenfalls eingeleitet werden", lautet eine weitere Forderung des SRU.

Der Verein Deutscher Ingenieure warnt, die Debatte nur auf Sanktionen und Technik zu verengen. Nach dem Urteil dürften "die Implikationen für die betroffenen Verbraucher sowie die deutsche Wirtschaft nicht unberücksichtigt bleiben", appelliert VDI-Präsident Professor Udo Ungeheuer.

Arzneiversorgung nur mit Abstrichen

Eine solche Implikation könnten nach Ansicht des Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandels PHAGRO Abstriche bei der Arzneiversorgung darstellen. "Es bleibt abzuwarten, ob Städte tatsächlich Fahrverbote verhängen. Wenn sie das tun, dann wird es je nach Länge des Fahrverbotes zu erheblichen Einschränkungen in der Arzneimittellieferung kommen.", so der PHAGRO-Vorsitzende Dr. Thomas Trümper. Aus diesem Grunde sei es sinnvoll, im Rahmen der Arzneimittellieferung über Ausnahmegenehmigungen nachzudenken – diese sind aus Sicht des Juristen Damian Steinberg von der Sozietät Busse & Miessen für viele Vertreter des Gesundheitswesens zu erwarten.

Besonders bei mehrtägigen Fahrverboten könnte es zu erheblichen Lieferproblemen kommen, warnt Trümper. Letztlich sei zu erwarten, dass der Ärger von Patienten auf dem Rücken der Apotheker ausgetragen werde – der Großhandel werde wenige Mittel haben, in jedem Fall zu helfen. Elektrofahrzeuge seien "mit Sicherheit keine Alternative, denn die Behörden versuchen gerade den Großhandel zu zwingen, trotz der in der Regel kurzen Anfahrt die Temperatur im Laderaum zu stabilisieren. Das geht bei einem Elektrofahrzeug zu Lasten der Batterieleistung."

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