Medizin im Strafvollzug

Gefängnis-Arzt dringend gesucht

Sucht, psychische Erkrankungen und unbehandelte Leiden sind bei Häftlingen keine Seltenheit. Menschen, die Gefängnis-Arzt werden wollen, sind jedoch in vielen Regionen nicht leicht zu finden.

Von Ira Schaible Veröffentlicht:
Es scheint ein bundesweiter Trend zu sein, dass sich Anstaltsärzte nur sehr schwer bis gar nicht finden lassen.

Es scheint ein bundesweiter Trend zu sein, dass sich Anstaltsärzte nur sehr schwer bis gar nicht finden lassen.

© Marcus Führer / dpa

FRANKFURT/NEUMÜNSTER. Simone Dorn braucht für das Gespräch mit ihren Patienten oft Hände und Füße. Manchmal hilft auch das Skelett im Untersuchungszimmer bei der Verständigung. Die Medizinerin arbeitet im Frankfurter Gefängnis, ihre Patienten kommen aus aller Welt. "80 Prozent der Kommunikation läuft nicht verbal", sagt die quirlige Frau, die mehrere Sprachen spricht. Zuweilen wird auch gemalt.

Dorn arbeitet gern im Knast: "Es ist extrem spannend, kein Tag ist langweilig, und man weiß nie, was kommt", berichtet die Allgemeinmedizinerin. Nachwuchssorgen hat das Ärzte-Team im Knast nicht, wie der Leiter der Haftanstalt Frankfurt I, Frank Lob, sagt. Damit gehört Frankfurt in Deutschland jedoch zu den Ausnahmen.

Bezahlung gut, aber in der Klinik besser

"Es ist ein bundesweiter Trend, dass sich Anstaltsärzte nur sehr schwer bis gar nicht finden lassen", berichtet die zweite Vorsitzende der Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Justizvollzug, Yvonne Radetzki. Die Chefin des Gefängnisses in Neumünster in Schleswig-Holstein suchte lange händeringend einen Mediziner.

"Viele wissen nicht, was sich dahinter verbirgt", nennt Radetzki einen der Gründe. Zudem sei die Bezahlung im Gefängnis nach dem Tarif im öffentlichen Dienst zwar gut, an Kliniken wegen der Schichtarbeit aber besser. Einige Mediziner hätten zudem offensichtlich Angst, sich in dem Job mit niemandem absprechen zu können.

In Neumünster mit seinen 598 Haftplätzen gibt es nur einen Anstaltsarzt. Allerdings könne sich dieser problemlos mit den Kollegen in den anderen Gefängnissen im Land und dem Psychiater im eigenen Haus austauschen.

In Frankfurt arbeiten sechs Mediziner auf 5,5 Stellen – darunter auch ein Zahnarzt. Sie sind zusammen mit mehr als 30 Krankenpflegern für rund 1400 Gefangene zuständig. Zudem gibt es Vertragsärzte, die bei den bis zu 30 Zugangsuntersuchungen von Häftlingen pro Tag helfen.

"Viele junge Kollegen machen aus Interesse stundenweise mit", berichtet Abteilungsleiterin Bettina Schwarz. Dabei profitiere das Gefängnis sicherlich auch von der Universitätsklinik in der Stadt.

"Wir können viel selbst lösen und haben auch keinen Ärger mit der Kassenärztlichen Vereinigung", zählt Dorn weitere Vorteile ihres Jobs auf. Da Nacht- und Wochenenddienste wegfielen, sei die Arbeit zudem besonders familienverträglich.

Der Öffentliche Dienst biete Vorteile für die Rente, ergänzt Schwarz. Das Land als Arbeitgeber sei zudem sehr großzügig bei der Bewilligung von Fortbildungen, sagt Lob.

Versorgung von 51 Betten

Zu dem medizinischen Zentrum gehören auch Krankenhausbetten: 33 für Männer und 18 für Frauen. Dort werden Diabetiker eingestellt, Frischoperierte versorgt sowie Alkohol- und Drogenentzüge gemacht. Auch gebrechliche und pflegebedürftige Gefangene kommen auf der Station unter. Für Patienten mit Rollator sind die Justizvollzuganstalten in Frankfurt-Preungesheim nicht ausgelegt.

Zu den häufigsten ambulanten Aufgaben gehören Blutuntersuchungen, Ohrenspülungen, die Versorgung von Wunden, Verbände wechseln und Ultraschalluntersuchungen, wie die Ärztinnen sagen. Internistische Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes seien am häufigsten.

Anders als viele andere Gefängnis-Ärzte haben die Frankfurter auch Patientinnen. Etwa 40 Prozent der inhaftierten Frauen hätten Suchtprobleme, sagt Internistin Schwarz. Dieser Anteil sei deutlich höher als bei den Männern.

Patienten haben oft alte Brüche und Wunden

Psychische Erkrankungen seien bei beiden Geschlechtern im Gefängnis oft zu finden. Deren Behandlung unterstützten externe Psychiater.

"Viele Patienten sind eher aus den Randgruppen der Gesellschaft", sagt Dorn. Manche haben alte Brüche, andere offene, unversorgte Wunden oder katastrophale Diabetes-Werte, wie Schwarz berichtet.

"Wir sind auch eine der größten Substitutionspraxen in Frankfurt", sagt sie mit Blick auf die Drogenabhängigen, die Methadon bekommen. Morgens ab 7.00 Uhr wird der Heroin-Ersatzstoff für Suchtkranke ausgegeben, "die draußen auch legal im Substitutionsprogramm waren". Das sind etwa 60 bis 70 Männer und ebenso viele Frauen. "Alle anderen Drogenabhängigen werden entgiftet."

"Wir haben nicht die freundliche Oma", sagt Dorn über ihre Patienten. Viele Gefangenen seien beim Arzt fordernd, auf sich fixiert oder sehr ungeduldig. Dazu kommt: "In anderen Teilen der Welt gibt es ein anderes Krankheitsverständnis." So mancher Südländer lobe und schimpfe sehr schnell und gehe mit seinen Beschwerden extrovertiert um.

Kein ruhiges Fahrwasser

Das andere Extrem beschreibt Dorn so: "Wenn ein Russe ruhig ist und einen Notfall meldet, renne ich." Viele türkische Patienten hätten kein Verständnis für psychische Erkrankungen. Andere Häftlinge wollten nur Tabletten, und würden aggressiv, wenn sie die nicht bekämen. "So was lernt man an der Uni nicht", sagt Dorn, die dennoch die Abwechslung in ihrem Job liebt. "Wenn man ruhige Fahrwasser mag, landet man nicht im Knast." (dpa)

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