Berufskrankheiten

Heißes Eisen

Für die Anerkennung einer Berufskrankheit und das Auslösen eines Leistungsbezugs müssen betroffene Arbeitnehmer oft dicke Bretter bohren. Ein Jamaika-Bündnis im Bundestag dürfte die rechtliche Baustelle mit Sicherheit meiden.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Der Nachweis eines durch Asbest verursachten Mesothelioms des Rippenfells als Berufskrankheit ist kein leichtes Unterfangen.

Der Nachweis eines durch Asbest verursachten Mesothelioms des Rippenfells als Berufskrankheit ist kein leichtes Unterfangen.

© LianeM / Fotolia

BERLIN. "Wollte man auf den Nachweis der allgemeinen und individuellen Tatsachen und Ursachenzusammenhänge verzichten, wäre eine Abgrenzung zwischen beruflich und privat erworbenen Erkrankungen nicht mehr möglich und damit die Haftung der Arbeitgeber nicht zu rechtfertigen." Mit deutlichen Worten hat die Große Koalition in einer Antwort der Bundesregierung vom 8. September auf eine kleine Anfrage der Linken einen Reformbedarf bei der Anerkennung von Berufskrankheiten (BK) verneint.

Die Linke wollte unter anderem wissen, inwiefern es die Bundesregierung für gerechtfertigt hält, "dass sehr strenge Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis gelten, wie die monokausale Verursachung einer BK und den Vollbeweis." Nun stehen die Zeichen für Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Jamaika-Koalition. Was heißt das für die Zukunft der Anerkennungspraxis einer BK?

Unfallversicherung mahnt zur Reform

Das Thema birgt durchaus eine gewisse Brisanz. So ist zum Beispiel die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im vergangenen Jahr mit ihrem Weißbuch "Berufskrankheitenrecht 2016" vorgeprescht. Darin plädiert sie für wesentliche Änderungen im betreffenden Recht, darunter den Wegfall des Unterlassungszwangs. Denn mit der obligatorischen Berufsaufgabe ende oft auch ein Erwerbsleben. Wie die DGUV hinweist, erlaubten es aber mittlerweile gezielte Präventionsangebote betroffenen Berufstätigen, trotz Vorliegens einer Berufskrankheit in ihrem Job weiterzuarbeiten.

Der Unterlassungszwang greift neun der insgesamt 77 in der Berufskrankheiten-Verordnung definierten Berufskrankheiten: Hier müssen betroffene Arbeitnehmern für die BK-Anerkennung im juristischen Sinne – und damit die Auslösung eines Rentenanspruchs – nicht nur nachweisen, dass die Erkrankung beruflich verursacht worden ist.

Darüber hinaus müssen sie zusätzlich nachweisen, dass sie alles unterlassen haben, was zu einer Verschlimmerung oder zum Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein könnte – zum Beispiel bei onkologischen BK-Indikationen mit dem Rauchen aufgehört haben. Diesen Nachweis konnten allein im Jahr 2014 insgesamt 20.642 Betroffene, deren Leiden als BK anerkannt worden war, nicht erbringen. Wie DGUV-Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Breuer betont, sollten die Rechtsänderungen aber nicht für Wildwuchs sorgen. Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit bleibe, dass die Arbeit Ursache der Erkrankung sei. "Wir wollen das bestehende Recht anpassen, nicht ersetzen", verdeutlichte Breuer damals bei der Vorstellung des DGUV-Weißbuches. Neben der Abschaffung des Unterlassungszwangs konzentrieren sich die Vorschläge des Weißbuches auf die vier weiteren Themenbereiche Ursachenermittlung, Rückwirkung, Forschung und Ärztlicher Sachverständigenbeirat im Bundesarbeitsministerium.

Wie aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht, dauerte das BK-Anerkennungsverfahren im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 14,9 Monaten bei der Nr. 2107 – Abrissbrüche der Wirbelfortsätze – am längsten, gefolgt von der Nr. 1109 – Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen – mit 12,3 Monaten und der Nr. 1315 – Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – mit 11,1 Monaten.

Auf die Frage der Linken, ob die Bundesregierung wegen der Bearbeitungszeiten Handlungsbedarf sieht, verweist die Große Koalition auf die Rahmenbedingungen. "Vor dem Hintergrund der oft aufwändigen medizinischen und technischen Ermittlungen bei der Anerkennung einer Berufskrankheit und der überschaubaren Verfahrensdauer sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf", heißt es in der Antwort.

Motivation dieser Frage ist das im SGB I verankerte Recht der Versicherten, "die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig" zu erhalten.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Berufskrankheiten, die besonders lange Bearbeitungszeiten haben, in der Regel relativ selten seien, das heißt, pro Berufskrankheit erfolgten häufig deutlich weniger als 25 Anzeigen pro Jahr insgesamt.

In keinem Wahlprogramm erwähnt

Angesichts ihrer kleinen, aber sehr detailliert-kritischen Anfrage hätte man vielleicht erwarten können, dass sich die Linke – unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit – im Bundestagswahlkampf auf dem Feld des Berufskrankheitenrechts mit scharfen Forderungen positioniert. Doch ließ die Partei den Themenkomplex im Wahlkampf außen vor.

In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl sucht man vergeblich nach der Erwähnung des Wortes Berufskrankheit. Dasselbe gilt übrigens auch für die Alternative für Deutschland – sowie für die einzelnen Programme der potenziellen Jamaika-Koalitionäre CDU/CSU, FDP und Grüne. Für die DGUV ist das keine komfortable Situation.

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