Silicon Valley als Vorbild?

Biotech-Startups blicken ins Tal

Inwieweit kann und sollte die Investitionskultur der USA und speziell des Silicon Valley ein Vorbild für deutsche Health-Start-ups sein? Bei einem Diskussionsforum in Berlin gaben Experten Antworten.

Von Sarah Weckerling Veröffentlicht:
Rakete: Start-ups sind fürs Durchstarten bekannt, aber taugen deren Modelle ebenfalls in Deutschland?

Rakete: Start-ups sind fürs Durchstarten bekannt, aber taugen deren Modelle ebenfalls in Deutschland?

© Olivier Le Moal / stock.adobe.com

BERLIN. Der globale Innovationsdruck in Sachen Gesundheitswirtschaft ist groß – auch für die forschenden Biotech-Unternehmen in Deutschland. Während die Bundesregierung plant, eine steuerliche Forschungsförderung einzuführen, lohnt ein Blick an die US-amerikanische Westküste: Das dortige Silicon Valley steht schon lange als Synonym für technische Innovationskraft.

Bei einem Diskussionsforum der Robert-Bosch-Stiftung zur Medizin der Zukunft vor Kurzem in Berlin zeichnete Thomas Schulz, USA-Korrespondent des Magazins „Spiegel“, einen Überblick über die heißesten Kandidaten der US-amerikanischen Biotech-Szene.

Utopismus im Boot mit Kapitalismus

„Um herauszufinden, was das nächste große Ding ist, muss man dem Geld folgen, und das ist nun mal im Silicon Valley“, sagte er. So wurden nach seinen Angaben beispielsweise im Jahr 2015 in den USA 90 Milliarden Dollar Startkapital investiert, wovon das meiste ins Silicon Valley floss.

In Deutschland seien es im selben Zeitraum im Vergleich nur umgerechnet fünf Milliarden Dollar gewesen. „Das hat natürlich Folgen, wenn ich versuche, hier beispielsweise als Forscher an der Charité medizinische Entdeckungen voranzutreiben“, so Schulz.

Ihm zufolge ist der Schlüssel zum Erfolg des Silicon Valleys die kalifornische Ideologie – die sich zusammensetzt aus Utopismus und Kapitalismus. Utopismus ist in diesem Kontext der Glaube daran, dass Innovation immer etwas Gutes bringt, Kapitalismus die Bereitschaft, in diesen Glauben zu investieren. Insbesondere junge Unternehmen könnten sich häufig nur finanzieren, indem sich Investoren mit Eigenkapital in das Unternehmen einkaufen.

Dieses Venture-Kapital wird meist schrittweise, gekoppelt an bestimmte Meilensteine, in die Firma eingebracht. Die Investition soll möglichst nach Ablauf einer Zeitspanne von fünf bis zehn Jahren durch den Verkauf von Anteilen an größere Unternehmen oder durch einen Börsengang (IPO – „Initial Public Offering“) zu einem positiven Ergebnis für die Anleger führen.

Präventionsmedizin und Altersforschung ganz vorne

Im medizinischen Bereich haben derzeit die Präventionsmedizin und die Altersforschung im Silicon Valley die Nase vorn: Die höchste Investition mit einer Milliarde US-Dollar Startkapital liegt beim Unternehmen „Grail“, benannt nach dem Heiligen Gral, das einen Bluttest zur Krebsfrüherkennung entwickelt.

Ebenfalls mit einer Milliarde Startkapital gesegnet ist ein momentan noch geheimes Projekt von Google, das sich damit beschäftigt, die Lebensdauer des Menschen zu erhöhen. Man gehe dabei davon aus, dass in 2090 bereits ein durchschnittliches Lebensalter von 180 Jahren die Norm sein wird.

Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss, äußerte in der Diskussion Bedenken. „Wenn die Innovation so schnell voranschreitet wie hier dargestellt, was ich bezweifle, dann wird das negative Auswirkungen auf unsere Solidargemeinschaft haben“, sagte Lelgemann.

Zum Vergleich: Laut Biotechnologie-Berufsverband Bio Deutschland sammelten im Jahr 2018 private deutsche Biotech-Unternehmen 369 Millionen Euro Venture-Kapital. Den größten Anteil daran hat der Mainzer Immuntherapie-Spezialist BioNTech, der im Januar eine Finanzierungsrunde über umgerechnet 225 Millionen Euro bekannt gab – die größte bisher in Deutschland.

Im Vergleich zum letzten Rekordjahr 2017 (674 Millionen Euro) konnten deutsche Unternehmen mit 1,27 Milliarden Euro ihre Eigenkapital-Einnahmen fast verdoppeln.

Das Bundesfinanzministerium hat Mitte April den Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung vorgelegt. Ziel sei es, die Attraktivität des Unternehmensstandortes Deutschland zu stärken. Die Förderung solle unabhängig von Gewinnsituation und Größe bei allen Unternehmen gleichermaßen wirken.

Innovationskraft braucht System

In einer Stellungnahme begrüßt Bio Deutschland den Gesetzesentwurf, sieht für Start-ups aber auch Nachteile: „Wenn die Unternehmen bei der Kapitalaufnahme die Mehrheit der Stimmrechte abgeben müssen, sind sie mit den mit ihnen verbundenen Unternehmen auf die jährliche Bemessungsgrundlage von zwei Millionen Euro gedeckelt.

Das bedeutet, Unternehmen, die speziell auf eine Förderung angewiesen wären, müssen eine Verminderung der Bemessungsgrundlage hinnehmen“, heißt es.

Wie tief sollte man nun ins Silicon Valley blicken, um sich an dortigen Praktiken zu orientieren? Geschäftsführer GeWINO der AOK Nordost, Thomas P. Zahn, warnte im Diskussionsforum davor, die USA zu kopieren: „Wir haben hier in Deutschland ein System, das funktioniert, wir müssen es nur öffnen, nicht revolutionieren. Wir haben genügend Innovationskraft – sie braucht nur ein Ordnungs- und Finanzierungssystem.“

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