Interview mit DGIM-Kongresspräsident

"An der digitalen Revolution müssen wir Ärzte uns beteiligen"

Die Welt wird immer digitaler - das bietet große Chancen für die medizinische Versorgung, findet Professor Hasenfuß. Der DGIM-Kongresspräsident spricht im Interview mit der "Ärzte Zeitung" über vielversprechende Entwicklungen, das Arzt-Patienten-Verhältnis der Zukunft - und nimmt dabei die Ärzte in die Pflicht.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Prof. Gerd Hasenfuß

'An der digitalen Revolution müssen wir Ärzte uns beteiligen'

© DGIM / Andreas Henn

Position: Vorsitzender des Herzforschungszentrums Göttingen, Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie am Herzzentrum Göttingen/Universitätsmedizin Göttingen Präsident des DGIM-Kongresses 2016

Werdegang: 1981 Staatsexamen, Promotion an der Uni Freiburg, Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie; 1988-90 Forschungsaufenthalt an der University of Vermont in Burlington/USA,1989 Habilitation, 1994-98 Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft,1996 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor,1998 C4-Professur, Göttingen, seit 2001 Vorsitzender des Herzzentrums Göttingen, seit 2010 Vorsitzender des Heart Research Centers Göttingen, seit 2011 Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)

Engagement: 2011 Kongresspräsident der DGK; seit 2013 Vorstandsmitglied der DGIM; Forschungsschwerpunkte: Herzinsuffizienz, Elektrophysiologie des Herzens, regenerative Medizin

Ärzte Zeitung: Herr Professor Hasenfuß, Sie sollen ein passionierter Skifahrer sein. Lieben Sie die Geschwindigkeit oder sind Sie eher ein Genussfahrer?

Professor Gerd Hasenfuß: Ich mag schon die Geschwindigkeit. Und Geschwindigkeit kann ja auch zum Genuss werden.

Zu Sport und Trainingstherapie kommen wir später noch. Um Geschwindigkeit geht es beim Internistenkongress vom 9. bis 12. April in Mannheim ja auch in ganz anderer Hinsicht, nämlich um die Rasanz medizin- und informationstechnologischer Entwicklungen. Läuft die Medizin diesen Entwicklungen hinterher?

Hasenfuß: Da möchte ich unterscheiden zwischen Medizinprodukten und Informationstechnologie. Gerade die Innere Medizin hat ja moderne technologische Entwicklungen zum Wohle der Patienten umsetzen können. Angesichts zunehmend hochbetagter Patienten mit Multimorbidität führen minimalinvasive internistische Prozeduren zu einer deutlichen Reduktion des Eingriffsrisikos, wenn ich an die kathetergestützte Implantation künstlicher Herzklappen denke oder an interventionelle Eingriffe im Bronchialsystem.

Waren bei Patienten mit Pankreaserkrankungen früher große chirurgische Eingriffe vonnöten, können wir heute viele Probleme mit endoskopischen Verfahren besser und mit wesentlich verringertem Risiko für die Patienten lösen.

Geradezu überrollt werden wir dagegen im Moment von der dramatischen Entwicklung der Informationstechnologie. Vor zehn Jahren gab es noch kein Smartphone, heute gibt es schon weit über 100.000 Gesundheits-Apps und jede Menge Internetplattformen. Die Qualität dieser Apps und Plattformen ist zum Teil erschreckend schlecht. Der Gesundheitsmarkt wird von Apple, Google und sozialen Netzwerken erobert.

Demgegenüber spielt die digitale Medizin in unserem Versorgungsalltag noch kaum eine Rolle. Seit vielen Jahren diskutieren wir über die Gesundheitskarte. Die Informationssysteme in den Krankenhäusern befinden sich auf dem Stand der 1990er-Jahre.

Wir wollen auf unserem Kongress für die Themen der digitalen Medizin sensibilisieren und die Ärzteschaft über Mobile Health, über Sensorik und Robotik in der Krankenpflege informieren. Insgesamt widmen wir elf Symposien der digitalen Medizin.

Springt die Ärzteschaft auf einen Zug auf, der nicht mehr aufzuhalten ist?

Hasenfuß: Nein, es ist die Erkenntnis, dass eine Revolution stattfindet, an der wir Ärzte uns beteiligen müssen. Digitale Medizin ist notwendig für die innovative Patientenversorgung der Zukunft. Die neuen Technologien bieten große Chancen: Neue Formen der Diagnostik und Therapie, neue Formen Medizin auszuüben werden möglich.

Dazu müssen wir uns aber wirklich einbringen in diese Entwicklung, müssen Risiken erkennen, benennen und wir müssen Qualitätsstandards setzen.

Was heißt das?

Hasenfuß: Zunächst einmal sollten wir aufgeschlossen sein. Wie nutze ich Programme für die Diagnosefindung oder zur Vermeidung von Arzneimittelinteraktionen? Wie entwickelt sich die Smartphone-Technologie zur Erfassung von Blutdruck, Blutzucker, Puls und anderem mehr? Wir wollen mitteilen, was bereits heute machbar ist, was bereits genutzt wird und welche Instrumente in Zukunft zur Verfügung stehen könnten.

Natürlich werden wir juristische Aspekte ebenso diskutieren, Stichwort Datenschutz. Es ist festzuhalten, dass viele Menschen davon ganz andere Vorstellungen haben als der Gesetzgeber. Und wir müssen feststellen, dass Datenschutz außerhalb Deutschlands teils völlig anders gesehen wird als bei uns.

In Finnland zum Beispiel stellen viele Bürger ihre Daten proaktiv der Medizin zur Verfügung. Womöglich müssen wir von solchen Ländern und Systemen lernen, unsere Vorstellungen ein Stück ändern. Datenschutz kann den Patienten auch schaden! Andererseits darf man sich von der Technik nicht zu sehr faszinieren lassen. Sie muss dort, wo es sinnvoll ist, zum Wohle der Patienten eingesetzt werden.

Könnte der technische Fortschritt bis zu einem gewissen Grade auch den latenten Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen kompensieren?

Hasenfuß: Das muss man sehen. Letztlich kann die direkte Interaktion zwischen Arzt und Patient nicht ersetzt werden. Das Arzt-Patienten-Gespräch ist ein Muss! Aber Versorgungsprozesse, insbesondere zeitaufwändige Prozesse, werden sich ändern. Dies könnte dazu führen, dass mehr Zeit als heute für die Arzt-Patienten-Interaktion zur Verfügung steht.

Erstmals gibt es bei diesem Kongress ein Wunschprogramm. Wie kam es dazu?

Hasenfuß: Wir haben im vergangenen Jahr Kongressteilnehmer und DGIM-Mitglieder gefragt, wie sie sich den Kongress vorstellen würden. Dadurch konnten wir verschiedene Schwerpunkte identifizieren, die wir verstärkt oder neu ins Programm aufgenommen haben. Dazu gehören zum Beispiel live präsentierte Fallbeispiele in den LiveCases-Sitzungen.

Sie wollen interventionelle Eingriffe live in den Kongresssaal übertragen?

Hasenfuß: Das werden in der Regel aufgezeichnete Eingriffe aus dem Operations- oder Interventionsraum kardiologischer, angiologischer, gastroenterologischer oder pneumologischer Kliniken sein. Das Spektrum reicht von Interventionen bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit über die Abtragung von Frühkarzinomen des Magens bis hin zu Eingriffen an den Gallenwegen und anderes mehr. Der Interventionalist wird vor Ort diese Videodemonstration kommunizieren.

Die Teilnehmer können die Prozedur verfolgen, auch Schwierigkeiten oder Komplikationen, die auftreten. Es können direkt zu Details der Fallpräsentation Fragen gestellt werden. Das ist eine sehr lebendige Art der Informationsvermittlung.

Minimalinvasive internistische Eingriffe sind ein Hauptthema des Kongresses. Internisten begeben sich damit oft in direkte Konkurrenz zu den Chirurgen. "Innere Medizin anstatt Chirurgie", heißt eine Sitzung. Wie wird diese Entwicklung weitergehen?

Hasenfuß: Ich sehe uns nicht als Konkurrenten. Es geht darum, bestmögliche Behandlungsformen für die Patienten zu finden. Das machen wir in der Kardiologie in Herzteams so, bestehend aus Internisten, Herzchirurgen und Anästhesisten. In ähnlicher Form finden wir das inzwischen in der Gastroenterologie und Viszeralchirurgie oder Pneumologie und Thoraxchirurgie.

Es geht ganz klar um Risikominimierung: Die Patienten werden immer älter, die Eingriffsrisiken nehmen zu. Jenes Verfahren, mit dem bei geringem Risiko die besten Ergebnisse erzielt werden können, ist das Verfahren, welches wir den Patienten anbieten sollten. Das kann eine chirurgische oder eine internistisch-interventionelle Methode sein.

Wir Internisten benötigen dazu unter Umständen die chirurgische Expertise, brauchen den Chirurgen auch im Team, um die beste Lösung für ein medizinisches Problem zu finden und umzusetzen.

Migrationsmedizin hat in den vergangenen Monaten einen ganz neuen Stellenwert bekommen.... Auch Sie und Ihre Kollegen haben bei der Gestaltung des Kongressprogramms darauf reagiert.

Hasenfuß: ... Das ist für die DGIM von sehr hoher Priorität. Wir müssen feststellen, dass wir wenig darüber wissen, was auf uns zukommt. So hat sich die Annahme nicht bestätigt, wir würden in hohem Maße mit in unseren Breiten unbekannten Infektionskrankheiten konfrontiert.

Natürlich sind infektiologische Probleme dennoch ein Thema. So wird sich die Tuberkulose-Häufigkeit in Deutschland voraussichtlich verdoppeln, auf bekanntermaßen niedrigem Niveau.

Die DGIM hat zusammen mit dem Bund Deutscher Internisten (BDI) eine Mitgliederbefragung gestartet, um von denen, die bereits Migranten behandelt haben, zu erfahren, mit welchen Erkrankungen sie bislang beschäftigt waren.

Wir haben gefragt: Was habt ihr wie häufig gesehen? Wen habt ihr behandelt? Wie lief die Interaktion mit den Patienten, gab es Verständigungsprobleme? Wie lief die Interaktion mit den Behörden? Diese Erfahrungen und die Konsequenzen daraus werden wir diskutieren.

Kommen wir auf das eingangs erwähnte Thema Sport: Seit langem werden die primär- und sekundärpräventiven Wirkungen körperlicher Aktivität diskutiert und propagiert. "Training als Therapie" ist ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses. Wie viel wissen wir heute über Sinn und Nutzen einer Trainingstherapie?

Hasenfuß: Trainingstherapie hat in den vergangenen Jahren ein wissenschaftliches Fundament bekommen. Und daraus geht hervor, dass es nicht darum gehen kann, den Hund einmal um die Ecke zu führen.

Sicher: Ein bisschen Bewegung ist besser als gar keine. Aber wir reden hier von Trainingstherapie, wir reden über Sport bei Herz-, Lungen- oder Krebserkrankungen und was damit medizinisch bewegt werden kann. Wir wissen inzwischen, dass diese Patientengruppen erheblich von angepasstem Training profitieren, und zwar nicht nur in Bezug auf Lebensqualität und die körperliche Leistungsfähigkeit. Erst kürzlich war in einer hochrangig publizierten tierexperimentellen Arbeit gezeigt worden, dass sich mit körperlichem Training selbst Tumorzellen bekämpfen lassen.

In der ganzen Breite der Inneren Medizin spielt Training eine wichtige Rolle. Hier beim Kongress wollen wir vermitteln, wie ich als Arzt dem Patienten dies empfehlen, ja rezeptieren kann. Und wir werden diskutieren, wie es gelingen kann, die Trainingstherapie in unserem gesamten Versorgungssystem zu implementieren.

Und wie bringt man die Bevölkerung dazu, sich mehr zu bewegen?

Hasenfuß: Ich finde die betriebliche Verankerung von Sportprogrammen wichtig, um auf diese Weise Prävention zu betreiben. Unternehmen und Betriebe müssen motiviert werden, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, während des Tagesablaufs in irgendeiner Form sportlich aktiv zu sein.

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