Big Data und Künstliche Intelligenz

Mehr Durchblick im OP

Die Digitalisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin wird die Diagnostik revolutionieren, ist sich Professor Jochen Werner vom Uniklinikum Essen sicher. Knackpunkt ist für ihn dabei das Korrelieren grundlegender Muster für die Operateure.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Beim 3D-Mapping interpretieren die Kardiologen in Essen eine elektrische Landkarte der Herzoberfläche, die dank neuester Technik innerhalb weniger Minuten mehr als 20000 Datenpunkte im EPU Labor sammelt.

Beim 3D-Mapping interpretieren die Kardiologen in Essen eine elektrische Landkarte der Herzoberfläche, die dank neuester Technik innerhalb weniger Minuten mehr als 20000 Datenpunkte im EPU Labor sammelt.

© Universitätsklinikum Essen

ESSEN. Die Digitalisierung bietet für die medizinische Versorgung in Kliniken großes Potenzial. So könnten zum Beispiel durch die Digitalisierung und das algorithmengestützte Korrelieren der radiologischen, endoskopischen sowie pathohistologischen Muster Operateure bei der Diagnostik und Eingriffsplanung gezielt unterstützt werden, erläutert Professor Jochen Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Werner verweist dabei auf die positiven Erfahrungen, die Professor Michael Forsting insbesondere auch in Zusammenarbeit mit der auf die Prävention, Diagnostik und Behandlung von Lungen- und Atemwegserkrankungen spezialisierten Ruhrlandklinik mit der weitreichenden Digitalisierung seines dortigen radiologischen Instituts gesammelt habe.

 Hier sei unter Nutzung des medizinischen Wissens verschiedener Fachdisziplinen in Verbindung mit den zahlreichen, an der Klinik behandelten Spezialfällen eine sehr hohe Qualität radiologischer Daten erreicht worden.

Die Digitalisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin wird die Diagnostik revolutionieren, ist sich Werner sicher. Insgesamt sei die Medizin damit auf dem Weg, weniger invasiv zu werden und im Bereich der diagnostischen Fächer stärker zusammenzuwachsen. "Die sich dabei ergänzenden diagnostischen Verfahren nutzen Künstliche Intelligenz, allerdings noch längerfristig unter Koordination natürlicher, humaner Intelligenz", erläutert Werner seine Maxime.

Schub für Präzisionschirurgie

Das gelte auch für den Einsatz roboterassistierter OP-Systeme. Diese Systeme haben, wie Werner betont, gegenüber dem menschlichen Operateur den Vorteil, dass sie zitterfrei und millimetergenau arbeiten. Über Algorithmen werden moderne Kombisysteme aus CT/MRT und Angiografie multimodale Anwendungen bieten, die Operateuren einen Weg zum adressierten Gewebe aufzeigen – und auch in 3D darstellen. Diese KI-gestützten Navigationssysteme werden zum Beispiel Strategien zur Tumorresektion entwickeln, was die Präzisionschirurgie dramatisch vorantreibe.

Mittels KI könne dann auch anhand des Abgleichs mit den digitalisierten radiologischen und pathologischen Mustern leichter entschieden werden, wie ein analog entnommenes Tumorgewebe einzuordnen sei. In einem weiteren Schritt würden Ärzte via multimodaler Bildgebung Tumorgewebe bereits vor der Exzision zunehmend valide begutachten können.

An der Universitätsmedizin Essen haben Patienten unabhängig von ihrem Krankenversicherungsstatus Zugang zur Behandlung mit dem Da-Vinci-System, wie Werner betont – zum Beispiel für eine Prostatektomie. Für die roboterassistierten Eingriffe mit dem Da-Vinci-System seien ausschließlich medizinische Kriterien entscheidend – und das Einverständnis des jeweiligen Patienten.

"Bei solchen Eingriffen entsteht nicht selten ein finanzielles Defizit, das wir anderweitig querfinanzieren müssen", erläutert Werner die wirtschaftliche Herausforderung. An der Unimedizin Essen werden laut Werner in den vier Disziplinen Gynäkologie, HNO, Thoraxchirurgie und Urologie roboterassistierte OP-Systeme eingesetzt.

Defizite in der Medizinerausbildung

Zwei große, bisher noch eher wenig genannte Baustellen sieht Werner in puncto Digitalisierung allerdings noch: Die Medizinerausbildung und die Innovationskraft. Er moniert, dass angehende Ärzte nicht früh genug schon während des Studiums an KI-gestützte Diagnostik- und Therapieverfahren herangeführt werden. Essen will auch hier eine Vorreiterrolle einnehmen.

Die Unikliniken müssten zudem Flagge zeigen bei KI-Innovation. Werner versteht die Unikliniken als Innovationspartner der Industrie, als Wegbereiter und Treiber für KI-Lösungen bis in den Versorgungsalltag. Dem Einsatz kostenintensiver KI-Diagnoseunterstützungssysteme im Versorgungsalltag erteilt Werner aktuell eine klare Absage – zumindest für seine Einrichtung.

"Als Uniklinikum müssen wir natürlich auf die Finanzierung der Digitalisierung achten und die im eigenen Unternehmen vorhandenen innovativen Köpfe nutzen sowie aufstrebende Unternehmen auf unserem Weg zum Smart Hospital einbinden", so Werner.

Er weiß, wovon er spricht: Zu seiner Zeit als Ärztlicher Geschäftsführer des Standortes Marburg des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) bei dem privaten Krankenhausbetreiber Rhön-Klinikum AG setzte er die Gründung des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZUSE) unter Leitung des renommierten Differenzialdiagnostikers Professor Jürgen Schäfer um. Die Fokussierung auf unerkannte Erkrankungen habe eine enorme Resonanz von mehreren Tausend umfangreichen Anfragen nach sich gezogen, so Werner.

Rasch sei klar geworden, dass diese Informationsflut nicht mehr händisch bewältigt werden könne. Daraus resultierte die Kooperation des UKGM mit IBM. "Rhön hat sich als privater Klinikkonzern getraut, die Sache anzupacken und die Kosten zu tragen", so Werner. Mittlerweile ist die Zusammenarbeit mit IBM beendet, sind andere KI-Partner im Boot.

Werner ist in Essen mit der Mission angetreten, aus dem Uniklinikum ein voll digitalisiertes Smart Hospital zu machen. Dafür sind viele Investitionen und mehrere Baumaßnahmen vorgesehen. Im Fokus steht dabei nicht nur der digitale, prozessorientiert gestaltete OP, sondern auch die digitalisierte Verwaltung inklusive elektronischer Fallakte und die Anbindung der Pflege. Hierzu sei das Klinikum unter anderem mit Fraunhofer-Experten im Gespräch.

Dass der Gedanke an KI und Smart Hospital nicht nur Befürworter findet, ist Werner bewusst. Er will Belegschaft wie Bevölkerung sanft an das Thema heranführen. Diverse Maßnahmen sind hierzu bereits umgesetzt.

Auch die Patientensicht im Blick

Zwischenzeitlich ist in Essen auch ein "Institut für PatientenErleben" gegründet worden, das sich unter anderem Fragen um die Digitalisierung aus Patientensicht widmen soll. Daneben gebe es weitere Themenfelder von höchster Relevanz. Hier sei der Bereich Patientendaten und deren Nutzung von zentraler Bedeutung. Bioinformatik, rechtliche Aspekte, Genetik und Ethik – von Werner als GenEthik zusammengefasst – bekämen als Zukunftsthemen eine immer größere Bedeutung.

Die große Herausforderung: "Entsprechend qualifizierte Experten sind derzeit am Markt kaum verfügbar", bedauert Werner.

KI und Robotik in der Klinik im Fokus

Am 16. und 17. Februar veranstaltet Professor Jochen Werner in Essen den Kongress Emerging Technologies in Medicine. Im Fokus stehen dabei KI und Robotik im klinischen Versorgungsprozess.

Infos und Anmeldung unter: https://etim.uk-essen.de/

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