Gastbeitrag

Smart Health: Digitalisierung verdient mehr Aufmerksamkeit

Für BDI-Präsident Dieter Kempf ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens alternativlos. Er plädiert für mehr politischen Rückhalt für Smart Health.

Von Dieter Kempf Veröffentlicht:
Hand- und Brückenschlag: Die Digitalisierung kann die Versorgung vorantreiben.

Hand- und Brückenschlag: Die Digitalisierung kann die Versorgung vorantreiben.

© Konstantin Hermann / stock.adobe.com

Die Digitalisierung verläuft im Gesundheitssektor wegen hoher Qualitätsanforderungen und Regulierungen langsamer als in anderen Branchen. Dennoch ist der tief greifende Wandel für Unternehmen und Patienten spürbar. Allerdings ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD kein starker politischer Wille zur Gestaltung eines zukunftssicheren Gesundheitssystems erkennbar. Es bleibt bei Reparaturmaßnahmen und Stückwerk.

Unser Gesundheitssystem steht vor drei zentralen Herausforderungen: Da ist erstens die demografische Entwicklung. Niedrige Geburtenraten und eine höhere Lebenserwartung führen seit Jahren zu einer steigenden Belastung für das Gesundheitssystem. Dabei geht es – zweitens – um Generationengerechtigkeit. In unseren Versicherungssystemen sollen immer weniger jüngere Erwerbstätige immer mehr ältere Menschen im Ruhestand finanzieren. Zudem müssen wir uns – drittens – auf einen stetig wachsenden Fachkräftemangel in medizinischen und pflegenden Berufen einstellen. Eine sinkende Zahl von Gesundheitspersonal muss eine immer größer werdende Gruppe von Patienten versorgen. Die Auswirkungen sehen wir heute zum Beispiel schon in der zunehmend schwieriger werdenden Facharztversorgung im ländlichen Raum.

Keines der diskutierten Finanzierungsmodelle der Gesetzlichen Krankenversicherung bietet eine Lösung. Die Antwort auf die aktuellen Herausforderungen liegt woanders: Eine zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung muss Innovationen fördern und diese schnell zur Anwendung beim Patienten bringen.

Weniger Kosten, mehr Zufriedenheit

Wichtig sind Wettbewerb, Wahlfreiheit und Transparenz im Hinblick auf Gesundheitsleistungen. Es geht um Innovationen, die Krankenkassen im Wettbewerb zueinander Vorteile bringen – zum Wohl des Versicherten.

Gerade die Digitalisierung birgt ein enormes Innovationspotenzial. Smarte digitale Technologien eröffnen zukunftsweisende Versorgungs- und Behandlungsmöglichkeiten: Prozesse, etwa in der Praxis, im Krankenhaus oder im Labor, lassen sich effizienter gestalten. Die Behandlungsqualität lässt sich flächendeckend steigern und die Verwaltung vereinfachen. Die Rolle des selbstbestimmten Patienten im Gesundheitssystem könnte gestärkt werden.

Das reduziert einerseits Kosten und erhöht andererseits die Zufriedenheit der Kunden im Gesundheitssystem. Allein die Einführung der seit vielen Jahren diskutierten elektronischen Patientenakte im Verbund mit ergänzenden Anwendungen würde laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey rund zehn Milliarden Euro einsparen – im Jahr.

Die elektronische Patientenakte ist nur ein kleiner Teil möglicher digitaler Innovationen, die Digitalisierung in der Medizin hat viele Gesichter: So könnten Sensoren in der Kleidung von Patienten deren Gesundheitswerte kontrollieren. Unregelmäßigkeiten würden Arzt oder Erkranktem per App aufs Smartphone gemeldet. In ländlichen Regionen mit wenigen Fachärzten sollte es Behandlungen per Videoübertragung geben, wie sie in vielen europäischen Staaten bereits zum Alltag gehören. Auch wenn der Mediziner nicht persönlich anwesend ist, kümmert sich Fachpersonal vor Ort um den Patienten.

Im Koalitionsvertrag heißt es, dass das einschränkende Fernbehandlungsverbot "auf den Prüfstand gestellt" werden soll. Hier wäre eine klare Positionierung für eine Abschaffung zielführend gewesen. Ein weiteres Beispiel: Digital vernetzte Rettungswagen und Unfallstationen könnten im Notfall eine schnellere Akutversorgung ermöglichen. Das spart Zeit, die bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall entscheidend ist.

Der Einsatz digitaler Technologien hat nach Meinung vieler Experten sogar mittelfristig das Potenzial, schwere Krankheiten wie Krebs oder Diabetes präventiv zu verhindern oder ganz zu besiegen. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Fähigkeit, große Datenmengen zu erheben, zu übertragen und zu verarbeiten.

Datensouveränität statt -sparsamkeit

Das überholte Prinzip der Datensparsamkeit hat ausgedient: An seine Stelle muss das Prinzip der Datensouveränität treten, das dem Patienten die technisch unterstützte Souveränität gibt, über Art und Umfang seiner zu schützenden personenbezogenen Daten anlassbezogen selbst zu entscheiden. Von besonderer Bedeutung ist daher, die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung von Gesundheitsdaten zu schaffen.

Der strenge Datenschutz wirkt kontraproduktiv, wenn er die Chancen der digitalen Medizin blockiert. Auf Untersuchungen oder Behandlungen aus Datenschutzgründen zu verzichten wäre zum Nachteil von Patienten. Eine gute Balance zwischen Datennutzung und Datenschutz muss also her: Unsere Gesellschaft sollte das Verhältnis von Datenschutz und den Chancen der digitalen Medizin neu bewerten. Der Koalitionsvertrag enthält kein Konzept, wie sich der Zugriff auf und die Verwendung von Daten zukünftig optimal regeln ließe.

Aus meiner Sicht ist klar: Allein der Patient sollte darüber rechtssicher entscheiden können, wer zu welchem Zweck und in welcher Form seine Daten nutzen darf. Dazu gehört, bestehende Bestimmungen wie die Europäische Datenschutzgrundverordnung in den Bundesländern einheitlich umzusetzen. Das ist bis heute nicht der Fall – was zu einem regelrechten Dschungel führt.

Innovationen Made in Germany

Wollen wir Deutschen bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems nicht weiter zurückfallen, sind zügige Veränderungen nötig. Zumal unsere heimischen Unternehmen der industriellen Gesundheitswirtschaft – der Pharmazeutik, der Medizintechnik sowie aus der Informations- und Kommunikationstechnik – zu den führenden Anbietern innovativer und digitaler Lösungen zählen. Sie beschäftigen hierzulande rund eine Million Mitarbeiter und erwirtschaften den Großteil ihres Umsatzes durch den weltweiten Export ihrer Gesundheitsprodukte Made in Germany.

Dieses Know-how seiner erfolgreichen Industrie sollte Deutschland dringend nutzen. Dies war Antrieb für uns im BDI, mit dem Jahresbeginn eine neue Initiative ins Leben zu rufen: Gesundheit digital. Wir wollen unseren Teil der Verantwortung tragen, das Gesundheitssystem zukunftssicher zu machen – schnell, konstruktiv und im Interesse von Patienten wie Unternehmen.

Dieter Kempf ist Präsident des Bundes-verbands der Deutschen Industrie (BDI)

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