Baumgärtner

„Ich hätte mir eine TI gewünscht, die uns Ärzte begeistert“

Eine Digitalisierung der Praxen „quick and dirty“ und ohne Rücksicht auf Risiken – das wirft Dr. Werner Baumgärtner der Bundesregierung vor. Im Interview erläutert der Medi-Chef, warum er fürchtet, dass die Ärzte die Leidtragenden dieser Politik sind.

Von Joachim Jakobs Veröffentlicht:
Sucht juristische Klärung über die Rechtmäßigkeit von Kürzungen für Ärzte, die nicht an die TI angeschlossen sind: Dr. Werner Baumgärtner.

Sucht juristische Klärung über die Rechtmäßigkeit von Kürzungen für Ärzte, die nicht an die TI angeschlossen sind: Dr. Werner Baumgärtner.

© Horst Rudel (Archivbild)

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Baumgärtner, sind Sie mit Ihrer Praxis schon „drin“? Also an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen?

Dr. Werner Baumgärtner: (lacht) Nein, das würde ich nie machen!

Warum nicht?

Baumgärtner: Ganz einfach – wegen der Sicherheit und der Haftung. Die Kosten wären nicht der erste Grund …

Dr. Werner Baumgärtner

  • Aktuelle Position: Der Allgemeinarzt (68) ist Vorstandsvorsitzender von Medi Baden-Württemberg und Medi Geno Deutschland.
  • Werdegang: niedergelassen seit 1985; seit 2007 im Ärztehaus Zuffenhausen; von 1995 bis 2005 Vorsitzender der KV Nordwürttemberg; von 2001 bis 2004 KBV-Vorstandsmitglied

Bundesregierung und gematik sagen, die TI sei Stand der Technik – warum zweifeln Sie an der Sicherheit?

Baumgärtner: Zur Einleitung möchte ich sagen: Das, was ich inzwischen über die Technik einerseits und die Installation in den Praxen andererseits weiß, hätte ich mir nie vorstellen können und habe ich mir auch nie gewünscht. Ich war immer davon ausgegangen, dass da Profis am Werk sind, die uns eine Installation auf höchstem Niveau anbieten – dass sowohl die Technik als auch die umsetzenden Dienstleister in den Praxen zertifiziert sind.

Tatsächlich sind wir gleich am Anfang ins Stolpern gekommen, als wir festgestellt haben, dass lediglich Teile des Konnektors zertifiziert sind. Inzwischen hat die KBV das zugegeben; die gematik (Betriebsgesellschaft der TI, d. Red.) sagt aber, dass dieser Teil des Konnektors gar nicht zertifiziert werden müsse, weil bisher „nur“ Stammdaten über die TI übertragen werden.

Was ist daran falsch?

Baumgärtner: Tatsächlich sind in den Patientenstammdaten auch Gesundheitsdaten enthalten, nämlich die DMP-Teilnahmedaten. Über diesen Fehler sind wir damals eingestiegen, und das hat dazu geführt, dass wir immer weiter geprüft und gefragt und nie zufriedenstellende Antworten erhalten haben.

Jetzt haben wir eine ganze Liste von Vorbehalten und müssen feststellen: Völlig inakzeptabel! Leider wurde das vom Ministerium, dem BSI und der KBV immer beiseitegeschoben. Stattdessen wurden immer nur Behauptungen aufgestellt. Also fokussieren wir uns jetzt auf die juristischen Auseinandersetzungen.

Was sagen die anderen Verbände?

Die halten sich aus unterschiedlichen Gründen bedeckt. Zudem sind technische Prüfung und juristische Bewertung zeitaufwendig. Das können und wollen nicht alle Verbände leisten. Das wäre Aufgabe der KVen gewesen. Jetzt auf einmal kommen sie und wollen einen Pen-Test machen – nun aber sind schon 50.000 bis 60.000 Konnektoren in den Praxen installiert.

Was könnte Sie motivieren, in die TI einzusteigen?

Baumgärtner: Bisher war offenbar Ziel, die Ärzte flächendeckend dazu zu bringen, sich „quick and dirty“ etwas in die Praxen zu stellen, das sie nicht prüfen können, aber für das sie haften – nur, damit Deutschland nicht Schlusslicht in der Digitalisierung ist.

Ich hätte mir gewünscht, dass ein Produkt angeboten wird, das die Ärzte so begeistert, dass sie zugreifen wollen – so ein Gefühl zu erzeugen: „Wenn Du da nicht dabei bist, hast Du mehr Aufwand in der Praxis“; das wurde aber nicht gemacht. Das ist unser grundsätzlicher Vorwurf: Statt zu überzeugen und zu begeistern, wird gedroht und gezwungen. Das ist keine Art und Weise, mit uns umzugehen.

Was ärgert Sie insbesondere?

Baumgärtner: Die Unsicherheiten der Technik sind das Eine; hinzukommt: Viele Techniker, die installieren, sind überfordert. Es geht darum, dass die Technik in der Praxis trotz Konnektor irgendwie weiter funktioniert. Der Arzt erhält aber keine Bescheinigung darüber, dass alles korrekt und sicher installiert ist – Verantwortung und Haftung bleiben so bei ihm.

Die Praxen werden systematisch für dumm verkauft! Wenn die Arztpraxen aus der Haftung raus wären, könnten wir uns als Verband bequem zurücklehnen und sagen: „Okay – das Ding ist unsicher, aber wir warten jetzt mal ab, was kommt“. Wir wissen auch, dass Praxen schon gehackt wurden, aber das nicht melden, weil sie Angst davor haben, eine Strafe wegen der Datenschutzgrundverordnung zu bekommen.

Wie schützen Sie Ihre Daten?

Baumgärtner: Ich habe eine Firewall in der Praxis, und wir haben die Patientendaten vom Internet getrennt. Das heißt, der Praxis-PC ist nur mit der HÄVG (Hausärztliche Vertragsgemeinschaft, d. Red) und KV-Safenet verbunden. Für die, die im Internet etwas nachschauen wollen, haben wir Tablets angeschafft. Dafür nutzen die auch ein separates WLAN. Viele Praxen bemühen sich um maximale Sicherheit.

Und jetzt sollen die sich diesen unsicheren Konnektor installieren – über diese neue Tür ins Praxis-AIS werden künftig Angriffe stattfinden. Der Konnektor schützt nicht gegen Angriffe aus der TI, sondern nur die TI vor Angriffen aus der Praxis. Die Überlegung dazu ist: „In der TI haben sich alle lieb, und aus der TI heraus wird es keine Angriffe geben“.

Wie weit soll die Digitalisierung des Gesundheitssystems gehen?

Baumgärtner: Bei allem, was geschieht, hat die Freiwilligkeit oberste Priorität – es gibt Patienten, die die Telematik ablehnen, und es gibt Ärzte, die sie weder wollen noch brauchen – viele Psychotherapeuten und deren Patienten zum Beispiel. Dann brauchen wir eine Lösung ohne zentrale Datenspeicherung. Wenn überhaupt zentral gespeichert wird, müssen diese Daten auch schnell wieder gelöscht werden.

Drittens muss der höchste Sicherheitsstandard konkret vorgegeben werden – so wie das etwa beim Militär ist. Viertens darf die Kommunikation zwischen den Praxen nicht über die ePA (elektronische Patientenakte, d. Red.) laufen. Und selbstverständlich brauchen wir eine Vernetzung der Praxen – nichts ist hundertprozentig; darüber sind wir uns völlig im Klaren.

Aber der Sicherheitsstandard muss weit über dem der TI liegen. Und die Praxen müssen aus der Haftung rausgenommen werden.

Wie es geht, machen wir in einem Projekt in Baden-Württemberg vor. Freiwilligkeit, Dezentralität und Sicherheit sind uns dabei besonders wichtig: Die ePA wird dabei nicht als Kommunikationsmittel zwischen den Praxen dienen, sondern ist allein für die Patienten da. Die Kommunikation zwischen den Versorgern läuft auf einer anderen Ebene, und die Kommunikation zwischen den Praxen wird durch die teilnehmenden ärztlichen Organisationen gehostet.

Das heißt, Sie lehnen eine zentral gesteuerte telemedizinische Betreuung der Patienten grundsätzlich ab?

Baumgärtner: Ja, das würde nur zu gläsernen Patienten und gläsernen Ärzten führen!

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