Hintergrund

Ein Schritt vor, zwei zurück? Das Projekt der E-Card steht vor Wochen der Wahrheit

Bei der elektronischen Gesundheitskarte plant die neue Bundesregierung zunächst eine Bestandsaufnahme. Doch egal, was mit der Karte wird: Die IT-Vernetzung im Gesundheitswesen wird weiter vorangetrieben.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Wenn Presseanfragen zu elektronischen Gesundheitskarte (eGK) kommen, dann weiß Gilbert Mohr von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein derzeit schon vorher, was gefragt wird. Seit Sommer 2009 werden die Ärzte in der Region Nordrhein mit den neuen Lesegeräten für die eGK ausgestattet. Ohne diese Lesegeräte werden sie die neuen Karten ihrer Patienten nicht einlesen können. Die entscheidende Frage ist jetzt, ob genug Ärzte die neuen Lesegeräte auch wirklich bestellen.

Einmal pro Woche veröffentlicht Mohr die aktuelle Quote auf der Webseite der KV Nordrhein. Stand 28. Oktober hatten 50,3 Prozent der niedergelassenen Ärzte ein Lesegerät bestellt. Bei den Krankenkassen stößt die ärztliche Zurückhaltung auf wenig Begeisterung. Die Situation sei optimierungsbedürftig, heißt es bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), die in diesen Tagen mit dem Versand der eGK beginnt.

Viele Versicherte haben schon ihr Foto abgegeben

Die DAK-Versicherten stehen der eGK in jedem Fall aufgeschlossen gegenüber: "Ein großer Anteil der angeschriebenen Versicherten hat bereits ein Lichtbild abgegeben", sagt Daniela Schmidt von der DAK. Nachfragen sind selten: "Nur zwei Versicherte haben ihren Unmut über das gesamte Gesundheitssystem zum Ausdruck gebracht", so Schmidt. Bei der Techniker Krankenkasse klingt das ähnlich. Hier sind die ersten Karten bereits verschickt, aber die Ausgabe läuft noch nicht auf Vollgas. Zu unklar ist nach der Bundestagswahl die politische Lage. Zu zögerlich sind die Ärzte bei der Bestellung der Lesegeräte.

Auch die Hersteller von Kartenlesegeräten beobachten die Trendkurve der KV Nordrhein verständlicherweise mit hohem Interesse. Bei der diesjährigen Medica - vom 18. bis 22. November in Düsseldorf - sind die Unternehmen erstmals mit den von der Betreiberorganisation gematik zugelassenen "eHealth BCS-Terminals" sowie mit ihren ebenfalls eGK-kompatiblen mobilen Kartenlesern präsent. Die Auswahl ist beachtlich. Ende September hatten acht Hersteller eHealth BCS-Terminals und sechs Unternehmen mobile eGK-Leser im Angebot. Die meisten Geräte verfügen dabei über einen zusätzlichen Steckplatz für den elektronischen Heilberufsausweis. Das wird relevant, wenn die Arztpraxen mit der eGK online gehen oder medizinische Funktionen wie die Speicherung von Notfalldaten nutzen möchten.

Dass die Geräte weiterentwickelt werden, um den Bedürfnissen der Ärzte entgegen zu kommen, wird schon im Vorfeld der Medica deutlich. CCV Celectronic beispielsweise wird erstmals sein CARD STAR/memo3 vorstellen, ein mobiles Lesegerät mit Display und Tastatur. Es kann auf die stationären Terminals des Herstellers nach Art einer Dockingstation aufgesetzt werden. Und auch Sagem Monétel hat ein neues mobiles Kartenterminal aus der ORGA-Reihe in Vorbereitung, das, anders als das bereits erhältliche ORGA 920 M, ein vielzeiliges Grafikdisplay bieten wird.

Interessanter mit Blick auf die Zukunft der eGK freilich sind derzeit die politischen Debatten. Und die werden bei der Medica breiten Raum einnehmen. Die Sonderschau Medica Media beispielsweise ist die erste Veranstaltung nach der Bundestagswahl, bei der sich ranghohe Vertreter von Politik und Selbstverwaltung öffentlich zur weiteren Perspektive der eGK äußern werden. Vorerst heißt es nur, dass das Projekt zunächst auf den Prüfstand gestellt werden soll.

Die Förderpauschalen sollten jetzt verhandelt werden

Stand Mitte Oktober ist, dass die Hersteller der Kartenlesegeräte ihre Preislisten an die gematik geschickt haben, damit dort in Abstimmung zwischen Krankenkassen und Ärzten die Förderpauschalen für alle anderen KV-Bezirke außer Nordrhein festgelegt werden können. Der Rollout der Karten in anderen KV-Bezirken könnte dann Anfang 2010 starten. Wo genau, das ist noch umstritten.

Parallel dazu werden die Tests für die Online-Anbindung der Ärzte weiterlaufen. Die automatische Aktualisierung der Versichertendaten ("Online-VSD") interessiert vor allem die Kassen: "In der Region Essen wird der Online-VSD im Jahr 2010 auf Herz und Nieren geprüft", gibt Gilbert Mohr einen Ausblick. Der Online-Rollout werde aber erst erfolgen, wenn die Sache bei mindestens 30 Prozent der Essener Ärzte und mindestens 30 der Praxis-EDV-Systeme erfolgreich getestet wurde. Medica-Besucher werden sich am Stand der gematik ein Bild vom Online-VSD machen können. Dort werden auch weitere eGK-Anwendungen wie Arzneidokumentation und E-Rezept zu sehen sein, für die noch kein definitiver Zeitplan existiert.

Die spannendste eGK-Anwendung bei der Medica wird freilich nicht die gematik, sondern die Knappschaft Bahn See präsentieren. In deren Versorgungsnetz "prosper" läuft seit wenigen Wochen die zweite Phase des prospeGKT-Projekts, bei dem Patienten ihren Ärzten mit einer Chipkarte Zugriff auf eine von T-Systems entwickelte E-Patientenakte verschaffen.

ProspeGKT-Projekt im Ruhrgebiet

Die elektronische Patientenakte ist die eigentliche Königsdisziplin der eGK. Auf sie vor allem richten sich viele Hoffnungen, sowohl was den ökonomischen als auch was den medizinischen Nutzen der Karteninfrastruktur im Gesundheitswesen angeht. Im Projekt ProspeGKT der Knappschaft Bahn See wird eine solche Patientenaktie getestet. Die Netzarchitektur orientiert sich an Vorgaben der gematik.

"10 000 Patienten und 50 Netzärzte wurden ausgestattet", sagt Projektmanager Christian Bauer von der Knappschaft. Über erste Rückmeldungen von Ärzten und Patienten wird er bei der Medica berichten. Was bisher nach außen sickert, hört sich gut an. Bleibt es dabei, dann ist es bei der Telematik wie so oft im Gesundheitswesen: Vieles funktioniert, solange sich die Politik zurückhält.

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