Gipfel-Ekstase

Digital Health braucht den dauerhaften digitalen Fiebermodus

Big Data – das ist der Stoff, aus dem für die Bundesregierung Träume digitaler Gesundheit sind. Der Digital-Gipfel mit Schwerpunkt Gesundheit war als Euphorie-Spektakel inszeniert. In der Realität sind die Hürden für Digital Health weiter hoch.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Professor Thomas Neumuth (l.) vom Leipziger Unimedizin-Innovationscenter erläutert Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ressortministern beim Digital-Gipfel in Ludwigshafen am Dienstag das Modell einer computergestützten HNO-Op.

Professor Thomas Neumuth (l.) vom Leipziger Unimedizin-Innovationscenter erläutert Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ressortministern beim Digital-Gipfel in Ludwigshafen am Dienstag das Modell einer computergestützten HNO-Op.

© Uwe Anspach/dpa

Auf dem perfekt inszenierten und medial ausgiebig gewürdigten ersten Digital-Gipfel der Bundesregierung in Ludwigshafen diese Woche gaben sich neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch alle für Digital Health relevanten Kabinettsmitglieder im digitalen Fiebermodus – Gipfel-Ekstase eben. Um die (Wahl-)Bevölkerung von den Vorzügen von Big Data im Gesundheitswesen zu überzeugen, betonte Merkel in ihrer Rede, dass die Digitalisierung neue Formen der Kooperation zwischen den Akteuren ermögliche – dazu gehörten neben Ärzten und Apothekern auch Pflegekräfte und Kliniken. Darüber hinaus vereinfache E-Health den direkten Datenaustausch. Um eine mediale Bresche für die Telemedizin zu schlagen, ließen sich Merkel sowie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe – umringt von einem Pulk Fotografen und Kamerateams – von Professor Thomas Neumuth, seines Zeichens Vizechef des "Innovation Center Computer Assisted Surgery" der Unimedizin Leipzig das Modell einer computergestützten HNO-Op erläutern.

Big Data und Präzisionsmedizin sind für die Bundesregierung die beiden Hoffnungsträger für ein digitalisiertes Gesundheitswesen. Festgehalten ist dies unter anderem in der "Ludwigshafener Erklärung", in der sich die Gipfel-Teilnehmer in der Chemiestadt verpflichteten, die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben, die Zukunft der digitalen Wirtschaft mit neuen Technologien gemeinsam zu gestalten, Infrastrukturen flächendeckend auszubauen und neue Mobilität zu ermöglichen sowie die intelligente Vernetzung von Städten und Regionen zu fördern. Die vom Bundeswirtschaftsministerium organisierte Veranstaltung ist der Nachfolger des 2006 ins Leben gerufenen Nationalen IT-Gipfels.

An den Grundvoraussetzungen hapert es

"Unter dem Motto ‚Vernetzt besser leben‘ setzen wir in diesem Jahr konkrete Impulse und mobilisieren neue Kräfte, mit denen wir die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranbringen können. Die Verfügbarkeit dafür nötiger sicherer, vertrauenswürdiger und leistungsfähiger Infrastrukturen und die Nutzung der Möglichkeiten von Big Data für eine neue Präzisionsmedizin sind wichtige Schwerpunkte", heißt es in der Ludwigshafener Erklärung.

Die Leitplanken für Deutschlands Weg ins digitale Zeitalter steckt die vom Bundeskabinett im August 2014 beschlossene Digitale Agenda ab – das darin enthaltene Kapitel "Potenziale für das Gesundheitswesen erschließen" ist allerdings sehr kurz geraten.

Spätestens am Mittwoch – Tag 1 nach dem Digital-Gipfel – dürften die Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten der Realität fernab vom Ludwigshafener Präsentierteller die meisten in Digital Health involvierten Menschen wieder eingeholt haben. Denn es gibt auf dem Weg zum flächendeckenden digitalen Gesundheitswesen noch erhebliche Hindernisse zu beseitigen. So sind nach Schätzungen von Vertretern der Healthcare-IT-Branche allein bis zu einer halben Billion Euro an Investitionskosten notwendig, um ganz Deutschland flächendeckend mit Glasfaserkabeln zu versorgen – die Branche will die Mittel nicht stemmen, ob und wie sich der Bund beteiligt, ist noch offen. Eines steht aber fest: Ohne Glasfaserkabel kann Big Data nicht schnell und lückenlos von Künstlicher Intelligenz verarbeitet werden – eine Voraussetzung für die Präzisions- und Prädiktivmedizin. Auch bei telemedizinischen Konsultationen darf es nicht zu langen Latenzzeiten kommen, um einen assistierten Eingriff in Echtzeit begleiten zu können.

Siebenmeilenstiefel bleiben wohl im Schuhschrank

Sicher hat Gröhe mit dem 2016 zu Jahresstart in Kraft getretenen E-Health-Gesetz wie keiner seiner Amtsvorgänger die Weichen für die weitere, umfassende Digitalisierung im Gesundheitswesen gestellt. Doch lassen das ständige Hickhack um den Aufbau der Telematikinfrastruktur, der sicheren Datenautobahn im Gesundheitswesen, oder um zukunftsfeste Finanzierungskonzepte für die Vernetzung von Ärzten nicht darauf hoffen, dass der Weg in die digitale Gesundheitswelt in Deutschland mit Siebenmeilenstiefeln gegangen wird.

Ein Blick zurück auf den 1. Nationalen IT-Gipfel im Dezember 2006 in Potsdam, bei dem Gesundheit ebenfalls ein Schwerpunktthema war, führt fast schon zu einem Déjà-vu. "Versuche, eine stärkere Vernetzung zu erreichen, einen besseren und strukturierten Überblick zu erhalten oder auch einen evaluativen Ansatz zu realisieren, haben bisher keinen durchschlagenden Erfolg erzielen können. Die geplante Telematikinfrastruktur der eGK bietet jedoch hervorragende Grundlagen, diese Situation zu ändern, da sie Basisfunktionalitäten wie Identifizierung, Autorisierung und Datensicherheit für die gesamte Infrastruktur bereitstellt", hieß es damals im Thesenpapier der für Gesundheit zuständigen Arbeitsgruppe.

Mehr als eine Dekade liegt zwischen den Gipfeln von Potsdam und Ludwigshafen. In einer analogen Welt ist das keine sehr lange Zeitspanne, für die digitale Gesellschaft aber eine gefühlte Ewigkeit. Die Zeichen müssen weiter auf Fortschritt stehen.

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