E-Health

Der Anschluss der Patienten an die Telematikinfrastruktur bleibt auf der To-do-Liste

Es war fast zu erwarten, dass vor der Bundestagswahl noch einmal Störfeuer für die Gesundheitskarte kommt. Dazu beigetragen haben sicher die weiteren Verzögerungen beim Online-Rollout der Karte – aber auch eine offene Flanke im Konzept: die Einbindung der Patienten.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:

Deutlicher kann ein Dementi kaum sein: Die Spekulationen aus Bayern über ein bevorstehendes Aus des Projekts der elektronischen Gesundheitskarte lagen kaum auf dem Tisch, da ging Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) höchstpersönlich in die Bütt und verkündete, es gebe "überhaupt keinen Anlass für Ausstiegsszenarien". Wenig später legte die Pressestelle seines Ministeriums nach: "Die Berichte entbehren jeder Grundlage. Sie sind schlicht falsch" (wir berichteten).

Die Klarheit der Aussagen kommt nicht von ungefähr: Nichts ist bei einem solchen Mammut-Projekt der Vernetzung von 200.000 Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten, 2000 Krankenhäusern, 21.000 Apotheken und 2,3 Millionen weiteren Beschäftigten im Gesundheitswesen untereinander und mit den Krankenkassen schädlicher als die Verunsicherung der Anwender in diesem Stadium. Die Hersteller werden nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die Technik für die Telematikinfrastruktur (TI) durchaus nicht veraltet sei, sondern vielmehr durch den Einsatz von zwei Karten – der eGK und des Heilberufeausweises – ganz auf Höhe der Zeit ist. Es gebe auch keine "Datenkrake", die gebaut werde. Denn die Daten in der TI werden nicht zentral auf einem Server gespeichert, sondern bleiben bei den Anwendern, also den Leistungserbringern.

Mehrwert-Anwendungen weiter verzögert?

Da aber der Zeitplan für den Anschluss aller Akteure an die Telematikinfrastruktur trotz der Verlängerung der Frist um sechs Monate (bis 31. Dezember 2018) immer noch äußerst knapp bemessen ist, könnte jedes längere Zögern der Anwender aufgrund einer Verunsicherung von außen zu weiteren Problemen führen – bis hin zu einer möglichen Kürzung des Kassenhonorars der Vertragsärzte, die die Frist nicht einhalten, um ein Prozent.

Nicht zu vergessen, dass jede weitere Verzögerung beim Online-Rollout zusätzliche Verschiebungen im Zeitplan aus dem E-Health-Gesetz automatisch zur Folge hätte. Das wiederum würde ausgerechnet die Anwendungen treffen, die Zusatznutzen für Ärzte bei der sektorübergreifenden Betreuung der Patienten versprechen – etwa Vermeidung von Doppeluntersuchungen und eine höhere Arzneimitteltherapiesicherheit bei Patienten, die drei oder mehr Arzneimittel anwenden.

Ping-Pong-Effekt der Verzögerungen

Kurzum, die Aufregung über die Aussagen aus Bayern ist verständlich. Der Minister will einen weiteren Ping-Pong-Effekt vermeiden: zuerst Verzögerungen wegen Problemen bei der Technik, dann weitere wegen der Verunsicherung bei den Anwendern, gefolgt von zusätzlichem Nachbesserungsbedarf bei der Technik etc. Wie schnell sich die Technik weiterentwickelt, zeigt sich auch daran, dass die Krankenkassen derzeit bereits die nächste Generation von Gesundheitskarten an ihre Mitglieder ausgeben. Die neuen Karten sind an den neuen Stand der Technik angepasst.

Nur gestreift wurde bei der Diskussion zu Wochenbeginn allerdings ein Thema, das der Selbstverwaltung und damit letztlich den Betreibern der Telematikinfrastruktur durchaus schwer im Magen liegen dürfte: die Anbindung der Patienten.

Es war Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, die darauf hinwies, dass die Bundesregierung mit dem E-Health-Gesetz "zu kurz gesprungen" sei, weil Patientenvertreter nie beteiligt worden seien. Der zunehmende Anspruch der Patienten, Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten zu haben, zeigt sich nicht zuletzt in den vielen Gesundheits-Apps und Fitness-Trackern, die in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen sind.

Neue Bedürfnisse der Patienten

Auch aus diesem Grund – und weil sie nicht weiter auf den sich immer länger hinziehenden Online-Rollout warten wollten, sind viele Krankenkassen mittlerweile aktiv geworden und bieten Patienten Gesundheitsakten an, in die Daten von der Krankenkasse, den Patienten und auch den Ärzten fließen können. Das Besondere daran: Die Patienten verfügen selbst über diese Daten und können entscheiden, wer sie sehen darf. Kassen können solche Akten als Satzungsleistung anbieten.

"Man kann die Patienten nicht mehr von ihren online gespeicherten Daten aussperren", betont Markus Bönig, Geschäftsführer der vitabook GmbH, die eine solche E-Akte entwickelt hat, die von Krankenkassen für ihre Versicherten genutzt werden kann. Aus Bönigs Sicht sind die Sicherheitsstandards beim Online-Banking so hoch, dass sie auch für Gesundheitsakten im Netz ausreichen.

Solche oder ähnlich, teils auch aufwändiger konzipierte Gesundheitsakten, Patientenakten unter der Hoheit der Patienten (TK) oder Gesundheitsnetzwerke (AOK) haben viele Krankenkassen in der Pipeline, oder sie stehen kurz vor der Einführung.

Ob am Ende aus solchen Projekten Konkurrenzveranstaltungen zur Telematikinfrastruktur werden oder ob die Daten doch noch über deren Leitungen laufen und vor allem den – vom BMG durchaus gewünschten – Wettbewerb der Patientenakten anheizen werden, bleibt vorerst offen. Das hängt auch ab von der Bereitschaft der Ärzte, ihre Daten und Arztbriefe mit den aktuellen Befunden der Patienten in unterschiedliche Systeme einzuspielen – und von der Technik, die so etwas erleichtern oder auch erschweren kann. Die Einbeziehung der Patienten in eine sichere IT-Infrastruktur bleibt jedenfalls auf der To-do-Liste der gematik.

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