Diabetes

Telemedizin zur Prävention - lohnt das?

In einer Studie macht Allgemeinarzt Dr. Johannes Arens aus Brüggen gerade Erfahrungen damit, wie Patienten mittels Telemedizin noch vor Ausbruch eines Diabetes zu Änderungen im Lebensstil motiviert werden können. Der Erfolg kann sich sehen lassen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Hausarzt Dr. Johannes Arens: Mit ein bisschen Technik wird die Motivation der Patienten gesteigert.

Hausarzt Dr. Johannes Arens: Mit ein bisschen Technik wird die Motivation der Patienten gesteigert.

© Ilse Schlingensiepen

BRÜGGEN. Wenn Ärzte einem Patienten mit Diabetesrisiko erklären, wie wichtig mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung sind, dann bleibt das für den Patienten oft graue Theorie. Der Ratschlag geht ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder heraus.

Anders kann sich die Sache verhalten, wenn der Patient mit Hilfe einer App mit eigenen Augen sieht, wie sich die Verhaltensänderung auf das Gewicht und den Blutzucker auswirkt - Self-Tracking, wie der Trendbegriff zum Verfolgen der eigenen Gesundheitsdaten heißt, aber mit Begleitung des Arztes.

"Es ist erstaunlich, wie sehr man mit ein bisschen technischer Unterstützung die Menschen motivieren kann", sagt Dr. Johannes Arens.

Der Hausarzt aus dem niederrheinischen Brüggen nimmt an einer Studie von Roche Diagnostics zum neuen Programm "Accu-Chek® View" des Unternehmens teil (wir berichteten). Beteiligt an dem Projekt sind auch das Software-Unternehmen SAP und die Techniker Krankenkasse.

Zielgruppe Risikopatienten

Das Programm richtet sich an Patienten, die nicht insulinpflichtig sind, bei denen sich der Diabetes auch noch nicht manifestiert hat, bei denen aber aufgrund eines metabolischen Syndroms ein hohes Risiko besteht, an Diabetes zu erkranken.

Das zentrale Instrument ist eine App, die verschiedene medizinische Parameter erfasst: den Blutzucker, die zurückgelegte Schrittzahl, den Blutdruck, das Gewicht, den Bauchumfang und die Medikation.

Sobald sich die Patienten zur Teilnahme an der Studie bereit erklärt haben, erhalten sie in der Praxis ein Willkommenspaket mit Informationsmaterialien, einem Handy mit integriertem Schrittzähler, einem Blutzuckermessgerät sowie einem Maßband zur Messung des Bauchumfangs.

Arens hat im März damit begonnen, Menschen mit einem metabolischen Syndrom in das Programm einzuschreiben. Es nehmen bereits 30 Patienten teil, die zwischen 35 und 60 Jahre alt sind.

Handy für Patienten kein Problem

Der Einsatz von Handy und App sei bislang für keinen einzigen Patienten ein Hindernis gewesen, berichtet der Hausarzt. "Viele haben ohnehin schon ein Smartphone."

Das einzige Problem ist zurzeit, dass die App bei Apple-Handys noch nicht läuft. Deshalb machen einige Interessenten nicht mit, da sie neben dem Dienst- und dem Privathandy nicht noch ein weiteres Mobil-Telefon nutzen wollen.

"Wenn ein Patient aufgenommen wird, legen wir gemeinsam mit ihm fest, welche Lebensstil-Änderungen er erreichen kann und möchte", erläutert Arens. Ob er dabei Fortschritte macht, kann der Patient selbst kontrollieren. Er gibt regelmäßig seine Werte ein, ein Kurvendiagramm zeigt ihm die Entwicklung.

Grafische Darstellung überzeugt

"Das ist es, was die Patienten am meisten überzeugt: die grafische Darstellung ihres eigenen Verhaltens." Wenn jemand sehen kann, dass sein Gewicht langsam sinkt, erhöht das die Disziplin beim Essen.

Der Blick auf den Schrittzähler motiviert dazu, mehr zu laufen, als man es normalerweise tun würde. "Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Adhärenz mit diesen einfachen Mitteln verbessern lässt", sagt der Hausarzt.

Über das Online-Portal Akku-Chek® Connect haben auch Arens oder die Diabetesassistentin Gaby Janssen Zugriff auf die Daten. Darin hat der Patient mit der Einschreibung eingewilligt.

Anderen Parteien sind die Informationen dagegen nicht zugänglich. Weder Roche Diagnostics noch die beteiligten Krankenkassen oder das Unternehmen SAP, das die App programmiert hat, kommen an die Daten.

"Viele Patienten glauben, dass wir Tag und Nacht vor dem Bildschirm sitzen und die Werte kontrollieren", berichtet Janssen. Das ist aber weder möglich noch nötig.

Rotes Warndreieck zeigt Krisen an

Janssen geht in der Regel einmal am Tag auf das Portal. Ein rotes Warndreieck zeigt an, ob es bei einem Patienten kritische Veränderungen gibt. Zum Teil schlägt das System schon bei kleinen Schwankungen an, ohne dass medizinischer Handlungsbedarf besteht.

Das kann Janssen schnell erkennen. Die Werte der einzelnen Patienten kontrolliert die Diabetesassistentin einmal pro Woche. "Wenn die Teilnehmer Fragen haben oder ihnen etwas komisch vorkommt, dann rufen sie an", berichtet sie.

Die Patienten können über das Portal auch Rezepte in der Praxis bestellen. Sie fotografieren dafür den Barcode des Arzneimittels ab - Fehler, die bei telefonischen Angaben leicht passieren können, werden auf diesem Weg vermieden.

Die Studien-Teilnehmer kommen einmal pro Quartal in die Praxis. Zudem erhalten sie neun Schulungen. Das ist etwas Besonderes. "In der Diabetes-Prävention gibt es sonst keine Schulungen", sagt Janssen.

"Die Patienten sollen so unabhängig wie möglich sein", betont Arens. Deshalb sei die Integration telemedizinischer Komponenten in das Programm so wichtig.

Telemedizin gegen Ärztemangel

Seine Rolle als Arzt sieht er durch die Unabhängigkeit nicht in Frage gestellt. "Wenn wir künftig weniger Ärzte haben, müssen wir nach anderen Lösungen suchen." Außerdem hat sich das althergebrachte paternalistische Arzt-Patienten-Verhältnis nach seiner Einschätzung ohnehin überlebt.

"Ich denke, dass solche Programme mit telemedizinischen Komponenten ganz schnell in die Breite gelangen werden."

Die Teilnehmer messen einmal pro Quartal den Blutzucker. "So kann ich sehen, ob sich die Werte verbessern oder verschlechtern." Arens geht davon aus, dass im Hausarztzentrum Brüggen, wo er tätig ist, bis zu 900 Patienten mit einem metabolischen Syndrom sind. Es sei wichtig, ihnen langfristig adäquate Versorgungsangebote machen zu können.

Die Studie ist auf ein Jahr angelegt und wird von der Universität St. Gallen wissenschaftlich begleitet. Die Evaluation soll zeigen, ob es mit Hilfe des Programms gelingt, bei Risikopatienten das Auftreten von Diabetes zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern.

Das wäre eine wichtige Voraussetzung, um die Krankenkassen langfristig mit ins Boot zu holen. "Wenn es wirklich gelingt, Spätfolgen des Diabetes zu vermeiden, dann rechnet sich das Programm", glaubt Arens. Auch das Hinauszögern des Ausbruches der Erkrankung könnte positiv zu Buche schlagen.

Für den Allgemeinmediziner ist das Wichtigste, die Patienten zu einer Veränderung ihres Lebensstils zu motivieren. "Es ist gut, dass ich ihnen neben der klassischen ärztlichen Beratung mit Hilfe der Telemedizin eine weitere Option bieten kann."

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