BMC-Kongress

Prävention vor Therapie – Digitale Lösungen im Kommen

Von einer digitalen Vernetzung erhoffen sich Kostenträger und Ärzte nicht nur eine bessere Versorgung, sondern auch Rückenwind für die vor sich hin dümpelnde Prävention. Besonders die Diabetesprävention gilt als vielversprechend.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bietet Chancen für ein modernes Krankheitsmanagement – inklusive Coaching.

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bietet Chancen für ein modernes Krankheitsmanagement – inklusive Coaching.

© Syda Productions / Fotolia

BERLIN. Die Studie war ein echter Knaller. Professor Stephan Martin vom Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum (WDGZ) nannte sie sogar "nobelpreisverdächtig". Britische Diabetesexperten berichteten im Dezember 2017 in der Zeitschrift "Lancet" über ein forciertes Managed Care-Programm bei 300 übergewichtigen Typ-2-Diabetikern aus 49 Hausarztpraxen.

Ergebnis: Durch Lebensstilmaßnahmen inklusive massiver Gewichtsabnahme gelang es bei 46 Prozent der Teilnehmer, eine klinische Remission des Typ-2-Diabetes, definiert als HbA1c-Wert <6,5 Prozent, zu erreichen. (The Lancet; 5. Dezember). Mit anderen Worten: Der Diabetes war weg.

Die DiRECT-Studie ist nur eine von mehreren Studien, die zeigen, dass sich intensives Krankheitsmanagement beim Typ-2-Diabetes auszahlen kann. Viele der neueren Studien setzen dabei (auch) auf digitale Lösungen.

So konnte das WDGZ gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG) zeigen, dass ein intensives, durch ein telemedizinisches Service-Center unterstütztes Coaching-Programm relevante Parameter wie HbA1c, BMI, systolischen Blutdruck, Essverhalten und körperliche Aktivität im Vergleich zum Selbstmanagement klar verbessert (Diabetes Care 2017; 40:863-71).

Intrinsische Motivation fehlt oft

Prävention beim BMC-Kongress

  • Die Veranstaltung Managed Care im Digitalen Zeitalter: Potenziale für Prävention startet am Mittwoch, 24. Januar, um 15.30 Uhr.
  • Veranstaltungsort: Hörsaal im Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin

"Selbstmanagement alleine reicht bei den meisten Patienten nicht aus", betont DITG-Geschäftsführer Bernd Altpeter. "Projekte, die allein auf Selbstmanagement setzen, erreichen in den ersten Monaten oft gute Erfolge, doch das nimmt rasch wieder ab. Die intrinsische Motivation zu einer Lebensstilveränderung fehlt oft."

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass digital unterstützten Managed-Care-Szenarien auch im Bereich Diabetesprävention zuletzt wieder verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet wird – zumal der Übergang zwischen Prädiabetes und Diabetes ohnehin fließend ist.

Explizit präventiv ausgerichtet ist beispielsweise das in der zweiten Welle des Innovationsfonds geförderte Dimini-Projekt der KV Schleswig-Holstein mit mehreren Krankenkassen. "Dimini" steht für "Diabetes mellitus? – Ich nicht!" und verbindet Ansätze des Population Health Managements mit telemedizinisch unterstützten Lebensstilinterventionen.

Im Rahmen dieses Projekts sollen mit Hilfe eines flächendeckenden Populations-Screenings 5000 Versicherte mit erhöhtem Risiko für Typ-2-Diabetes identifiziert werden. In einer randomisierten Studie wird dann die Lebensstilintervention "aha!" evaluiert, die auf mehr Bewegung und bessere Ernährung abzielt.

Zum Einsatz kommt unter anderem eine vom DITG für die Deutsche Diabetes-Stiftung entwickelte Coaching-App, wobei in diesem Fall der Arzt selbst die Coaching-Funktion übernimmt. Die App wird also zu einer zusätzlichen, digitalen Schnittstelle zwischen Hausarzt und seinem in Sachen Prävention (hoffentlich) motivierten Patienten.

Digitale Bonusprogramme

Außerhalb von Konsortialprojekten setzt auch die AOK Nordost auf präventiv ausgerichtete Apps. So wurde mit der FitMit AOK-App ein digitales Bonusprogramm entwickelt, das erste derartige Programm in der GKV.

 Die App lässt sich über Apple Health oder Google Fit mit Wearables und Fitness-Apps verbinden. Sie erlaubt es auch, Fotos und andere Dokumente zum Nachweis von körperlicher Aktivität hochzuladen.

Natürlich ist ein digitales Bonusprogramm noch kein präventiv ausgerichtetes Managed-Care-Szenario. Christian Klose, Chief Digital Officer bei der AOK Nordost, denkt aber in diese Richtung: "Künftig gilt es, digitale Elemente des gesundheitsbewussten Verhaltens mit jenen der Versorgung zusammenzubringen, um die Daten bei Bedarf und unter freier Entscheidung der Nutzer auch einem Arzt zugänglich machen zu können."

Von technischer Seite dürften dabei jene Strukturen zu einer zentralen Drehscheibe werden, die die einen "elektronische Patientenakten" und die anderen "digitale Versorgungsplattformen" nennen. Die AOK Nordost, die unter anderem mit Sana, Helios und der KV Mecklenburg-Vorpommern an so einer Plattform arbeitet, ist einer der führenden Akteure.

Der Schwerpunkt der derzeitigen Projektarbeit liegt auf der Etablierung einheitlicher technischer Standards: "Ziel muss es sein, dabei nicht nur Befunde oder Laborwerte, sondern auch Aspekte der präventiven Gesundheitsmaßnahmen zu berücksichtigen", so Klose.

Ein vorstellbarer Weg "von der Präventiv-App in die Arztpraxen" könnte über ein digitales Versichertenportal gehen, von manchen auch als elektronische Gesundheitsakte bezeichnet. Entscheidend dabei sei, dass der Patient die volle Entscheidungshoheit über die Verwendung seiner Daten behalte, so Klose.

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