E-Health

Der große Sprung für die Telemedizin?

Im Mai fällt voraussichtlich das Fernbehandlungsverbot. Das könnte den Wettbewerb um Videosprechstunden befeuern.

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Behandlung aus der Ferne ohne persönlichen Erstkontakt? Der Deutsche Ärztetag soll in diesem Jahr darüber entscheiden.

Behandlung aus der Ferne ohne persönlichen Erstkontakt? Der Deutsche Ärztetag soll in diesem Jahr darüber entscheiden.

© adam121 / stock.adobe.com

MÜNCHEN. 2018 könnte ein entscheidendes Jahr für die Telemedizin werden: Der Deutsche Ärztetag wird im Mai nämlich über das Fernbehandlungsverbot entscheiden. Der Vorstand der Bundesärztekammer werde den Delegierten in Erfurt "eine Öffnung" vorschlagen, sagte Franz Bartmann, Vorsitzender des Ausschusses Telemedizin der Bundesärztekammer. Das könnte auch den Wettbewerb zwischen Start-ups und großen IT-Konzernen wie Google befeuern.

Einen entsprechenden Arbeitsauftrag hatte der Ärztetag – mit einer deutlichen Mehrheit von 214 gegen zwölf Stimmen – im vergangenen Jahr erteilt. Das Fernbehandlungsverbot besagt, dass Ärzte neue Patienten nur nach persönlichem Gespräch – also im Erstkontakt nicht rein über Videosprechstunde – behandeln dürfen.

Vorbild für eine Lockerung ist Baden-Württemberg. Dort hat die Landesärztekammer zwei Modellprojekte genehmigt, mit denen Ärzte auch unbekannte Patienten online beraten dürfen. Eines davon ist DocDirect, das von der Kassenärztlichen Vereinigung aufgelegt wurde und bundesweit erstmals die ausschließliche Fernbehandlung für gesetzlich Krankenversicherte anbietet.

Beteiligt an dem Modellversuch ist das Münchner Start-up Teleclinic, das über seine gleichnamige App Videoberatung vermittelt. "Das ist ein wahnsinnig umkämpfter Markt", sagte Teleclinic-Mitgründer Patrick Palacin kürzlich bei einem Pressegespräch des US-Konzerns IBM. "Deutschland ist so ein bisschen hinten dran."

"Wir sind nicht blauäugig"

Die Blicke richten sich vor allem auf die Vereinigten Staaten: "In den USA sitzen mit Doctor on demand und MDLive zwei IT-gesponsorte Mitbewerber von uns. In Doctor on Demand ist Google Ventures mit drin, bei MDLive ist Microsoft mit drin", sagte Palacin.

 "Wir sind nicht blauäugig, wir schätzen: Drei bis fünf Jahre, und Google kommt hier rein." Allerdings gibt es auch Hindernisse für Google & Co. "Die Einzigartigkeit und Komplexität des deutschen Gesundheitswesens stellt eine hohe Eintrittshürde dar", so Felix Schirmann, Mediziner und Leiter des operativen Geschäfts beim Berliner Start-up Patientus, einem Portal für Online-Sprechstunden.

Schirmanns Antwort auf die Frage, ob ausländische Unternehmen in der Telemedizin auf den deutschen Markt vorstoßen werden: "ein klares Jein." Abgesehen von der Komplexität des hiesigen Gesundheitswesens seien es die Patienten in den USA anders als in Deutschland gewohnt, für die Behandlung zu zahlen. "Ich glaube aber, dass die großen ausländischen Technologiekonzerne durchaus interessiert sind. Am Ende werden die Patienten buchstäblich mit dem Smartphone abstimmen."

Eine offene Frage ist, ob und inwieweit die Patienten in Deutschland willig sind, Krankheits- und Gesundheitsdaten mit großen IT-Konzernen zu teilen: "Ein wichtiger Aspekt wird ferner sein, wie die Patienten bei Plattformen von Internet-Anbietern das Thema Datenschutz in diesem besonders sensiblen Bereich beurteilen", sagte Bartmann.

Schirmann geht fest davon aus, dass das Fernbehandlungsverbot gelockert wird, erwartet aber nicht, dass es künftig reine Online-Ärzte geben wird: "Videosprechstunden werden den traditionellen Arztbesuch ergänzen, aber nicht ersetzen." Eine Einschätzung, die Bartmann teilt: "Die Einschränkung der Fernbehandlung gilt ausschließlich für Patienten, die zuvor keinen physischen Kontakt mit einem Arzt hatten." Deshalb sei auch kein sprunghafter Anstieg für Videosprechstunden nach Änderung der Berufsordnung zu erwarten. "Wichtiger als die abschließende Behandlung ist ohnehin die orientierende Beratung für Patienten."

Neben dem Fernbehandlungsverbot gibt es ein zweites Hemmnis für die deutsche Telemedizin: Ärzte können zwar seit vergangenem Jahr Bestandspatienten auch per Videosprechstunde beraten, aber diese Möglichkeit hat wegen niedriger Vergütung bislang keinen großen Widerhall in der Ärzteschaft gefunden.

"Seit Juli 2017 gibt es die Videosprechstunde als Kassenleistung, aber die Regelung hierzu bietet keinen Anreiz, sondern wirkt eher abschreckend", sagte Bartmann. Patientus-Manager Schirmann spricht sogar von einem "äußerst negativen Signal für die Telemedizin in Deutschland". (dpa/eb)

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