Gastbeitrag

Fernbehandlungsverbot: "Es ist für Ärzte Zeit, alte Zöpfe abzuschneiden"

Wird der Deutsche Ärztetag das Fernbehandlungsverbot lockern oder nicht? Professor Christian Dierks, Rechtsanwalt, Arzt und Telemedizinexperte, sieht in seinem engagierten Gastbeitrag vor allem Argumente für die Lockerung.

Von Christian Dierks Veröffentlicht:
Noch ist es nicht entschieden: Votiert der Ärztetag in Erfurt für die Lockerung des Fernbehandlungsverbots?

Noch ist es nicht entschieden: Votiert der Ärztetag in Erfurt für die Lockerung des Fernbehandlungsverbots?

© APOPS / stock.adobe.com

Nach den meisten Berufsordnungen ist es den Mitgliedern der deutschen Ärztekammern untersagt, einen Patienten ausschließlich aus der Ferne zu behandeln. Ausschließlich meint nach der gegenwärtigen Lesart eine Behandlung ohne persönlichen Erstkontakt. Doch wieso ist das verboten?

Die Regelung entstammt dem Geschlechtskrankheitengesetz von 1927. Im Nachfolgegesetz, dem Infektionsschutzgesetz, ist sie schon nicht mehr vorhanden. Die ärztlichen Berufsordnungen haben sie als alten Zopf in das Dritte Jahrtausend mitgeschleppt. Es ist ein Dogma, das dem Arzt verbietet, im Rahmen eines digitalen Erstkontakts seine Kenntnisse und Fähigkeiten einzusetzen, das den Patienten Reisen und Aufenthalte in Wartezimmern zumutet und das verhindert, dass Expertenwissen zum Patienten reist, wenn dieser das doch dringend braucht.

Eine Aufhebung dieses Dogmas führt jedenfalls nicht dazu, dass die Patienten nur noch aus der Ferne behandelt werden können, dass sie von gewissenlosen Geschäftemachern fehlbehandelt werden, dass die Wartezimmer leer werden und der Arzt/Patienten-Kontakt zu einer digitalen Schnittstelle verkommt.

Professor Dr. Dr. Christian Dierks ist Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht, Facharzt für Allgemeinmedizin und Gründer der Dierks+Company Rechtsanwaltsgesellschaft und Operations sowie des HELIX_hub Berlin.

Professor Dr. Dr. Christian Dierks ist Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht, Facharzt für Allgemeinmedizin und Gründer der Dierks+Company Rechtsanwaltsgesellschaft und Operations sowie des HELIX_hub Berlin.

© privat

Sondern: Eine Aufhebung des Verbots der ausschließlichen Fernbehandlung gibt dem Arzt die Souveränität, sich selbst grundsätzlich gegen, teilweise oder fallbezogen für eine Fernbehandlung zu entscheiden.

Nur mit Aufklärung und Einwilligung

Natürlich setzt dies eine entsprechend angemessene Aufklärung und Einwilligung des Patienten voraus. Der Patient erhält die Möglichkeit, kurzfristig ärztlichen Rat einzuholen, auch und gerade von dem Spezialisten, für den er sonst zwei Tage Urlaub hätte machen müssen, um ihn in dessen Praxis aufzusuchen.

Die Entscheidungsbasis der fernbehandelnden Ärzte wird verbreitert, da die Patienten zunehmend in der Lage sind, ihre Daten dem Arzt zu übermitteln. Die Verbreitung entsprechender Applikationen nimmt zu, und deren Nutzen wird durch die Fernbehandlung noch verstärkt.

Die Einzelfallentscheidungen werden in jedem Fachgebiet anders zu treffen sein. Disziplinen, die ohnehin einen Schwerpunkt in der Bewertung optischer Korrelate des Patienten haben, wie etwa die Dermatologie, können den Rahmen weiter stecken, als beispielsweise die Orthopädie. Die Entscheidung für oder gegen eine Fernbehandlung ist auch eine, die in Ansehung möglicher Haftung getroffen werden muss. Die Risiken unterscheiden sich im Einzelfall von einer Fernbehandlung nach persönlichem Erstkontakt. Gute Dokumentation ist auch hier die Lösung für Rechtssicherheit.

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Wir rühmen uns viel der Digitalisierung im Gesundheitswesen, doch wo stehen wir eigentlich wirklich? Das elektronische Rezept fehlt seit zwölf Jahren, elektronische Patientenakten schaffen es nicht vom ambulanten in den stationären Sektor oder zurück, der Patient ist immer noch nicht Herr seiner Daten, und die Erkenntnisse aus Wissenschaft, klinischer Forschung, Krankenversicherung und den Wearables existieren in getrennten Welten.

Dem Arzt die Freiheit zu geben, telematisch zu diagnostizieren und zu behandeln, gibt auch zugleich dem Patienten die Motivation, sich um die Bündelung der zu ihm und seinen Gesundheitszustand vorliegenden Daten zu kümmern.

Der Einwand, der Patient sei hierzu nicht in der Lage, greift nicht durch: Wer dies jetzt noch nicht kann, wird jedes Jahr mehr Vorteile darin sehen, sich die inhaltlichen und technischen Kenntnisse dafür anzueignen. Der Fortschritt macht dies zudem fortlaufend leichter, und die Interoperabilität der Systeme wächst.

Entscheidung auf des Messers Schneide

Der Deutsche Ärztetag steht nun vor einer wichtigen Entscheidung. Er hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und die Diskussionen im Vorfeld lassen erahnen, dass es auch diesmal nicht leicht sein wird, die Zweifler zu überzeugen.

Nun gibt es allerdings bereits in Baden-Württemberg eine Pilotregelung und die Entscheidungsfreiheit des Arztes steht in Schleswig-Holstein vor der Tür. Damit ist klar, dass Patienten in allen anderen Bundesländern von den Ärzten im Norden fernbehandelt werden dürfen. Soll die Lage der Praxis darüber entscheiden, ob das Dogma, das sich die deutsche Ärzteschaft in grauer Vorzeit auferlegt hat, noch gilt? Oder holen sich die Ärzte ihre Freiheit zurück, um in der sich digitalisierenden Gesundheitswelt in Ansehung des Patienten, seines Leidens und der übermittelten Befunde selbst zu entscheiden, ob eine Fernbehandlung angemessen ist oder unvertretbare Risiken in sich birgt? Ich meine, es ist an der Zeit den alten Zopf abzuschneiden und die Fernbehandlung unter folgenden Voraussetzungen zuzulassen:

Der Patient muss sich wie in der unmittelbaren Arzt-Patient-Beziehung identifizieren. Er ist über mögliche Nachteile der Fernbehandlung aufzuklären und muss in diese einwilligen. Der Arzt entscheidet im Einzelfall, ob unter Berücksichtigung des Facharztstandards eine Fernbehandlung gemacht werden darf. Das Vorgehen ist nachvollziehbar zu dokumentieren.

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