Schweiz

Ärztliches Arbeiten ohne "sinnlosen Regelwahnsinn"

Bis 2016 geht die Hälfte der Hausärzte in der Schweiz in Pension. Auch in Kliniken werden Ärzte gesucht. Das ist eine Option für Ärzte aus Deutschland, die sich umorientieren wollen. Die Erfahrungen, die Kollegen vorher gemacht haben, sind überwiegend positiv.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Natur pur: Nicht nur das Matterhorn zieht naturliebende Ärzte in die Schweiz.

Natur pur: Nicht nur das Matterhorn zieht naturliebende Ärzte in die Schweiz.

© Simon/fotolia.com

BERN. In der Schweiz arbeiten derzeit so viele ausländische Ärzte wie noch nie. Die meisten kommen aus Deutschland. Das Leben in der Schweiz hat viele Vorteile: Die Lebensqualität ist hoch, die Landschaft ist schön, das Gehalt meist deutlich höher. "Gerade für junge Ärzte ist die Schweiz ein attraktiver Ort", sagt etwa Dr. Daniel Ketteler. Der 32 Jahre alte Arzt lebt seit viereinhalb Jahren in Zürich - und würde den Schritt jederzeit wieder tun.

Gleiche Arbeitszeit, aber bessere Freizeitoptionen

"Die Arbeitszeiten sind sicher mit deutschen Häusern vergleichbar, aber die Arbeitsbedingungen und das Freizeitangebot scheinen mir sehr verlockend", so Ketteler.

Insgesamt haben, nach einer Statistik der Schweizer Medizinalberufekommission in Bern, im vergangenen Jahr knapp 2000 Ärzte und Apotheker aus dem Ausland ihr Diplom bei der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) anerkennen lassen. Das sind knapp 20 Prozent mehr als im Vorjahr. 45 Prozent der bewilligten Zulassungen stammen von deutschen, je zwölf Prozent von französischen und italienischen Ärzten und Apothekern.

Ketteler gefällt es in der Schweiz aus vielerlei Gründen: "Natur, Freizeit, Nachtleben, Kulturangebot. Das alles findet sich in Zürich verdichtet", erzählt er. Die Schweiz sei pluralistisch und offen.

Allerdings gebe es durch den massiven Zuzug, gerade von Deutschen, in den vergangenen Jahren einige Ressentiments. Diese sind aus seiner Sicht nicht immer einfach zu ertragen, teilweise seien sie aber auch verständlich.

Ein richtiger Schweiz-Fan ist der Facharzt für Innere Medizin und Angiologie Dr. Christoph Thalhammer. Er ist leitender Arzt am Universitätsspital Zürich - und bereut es nicht, in die Schweiz gegangen zu sein. Er mag die Schweizer und kann sich nicht vorstellen, jemals wieder an einem deutschen Krankenhaus zu arbeiten.

Über das Verhältnis von Schweizern und Deutschen sagt er: "Ich glaube, als Deutscher in der Schweiz sollte man zurückhaltend, höflich, interessiert, bescheiden, engagiert sein, wie überall auf der Welt, dann wird man - wie auch ich - in der Schweiz herzlich empfangen und respektiert. Wir hatten zum Beispiel beim Einzug in unser Häuschen eine Flasche Prosecco im Kühlschrank sowie frisches Holz für den Kamin."

Auf die Frage, was junge Ärzte über die Schweizer Mentalität wissen müssen, wenn sie dort arbeiten wollen, sagt Hanriet Tamazian von Federer und Partner, einer Unternehmensberatung in Dottikon, die sich auf das Gesundheitswesen spezialisiert hat: "Die Schweizer sind eher liberal denkend, Kompromiss- und Konsens-orientiert, und sie sind kein Freund von sinnlosem Regelwahnsinn - wer diese Tugenden übernimmt, wird Erfolg haben."

Gesucht seien vor allem Ärzte, die sich niederlassen wollen. Nach einem Bericht des Schweizerischen Bundesrates reicht die Zahl von 600 bis 700 Ärzten, die jedes Jahr in der Schweiz ihr Diplom in Humanmedizin machen, nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Vor allem in ländlichen Gebieten wird es immer schwerer, einen Nachfolger für die Hausarzt-Praxen zu finden. Nach einer Studie der Universität Basel wird bis zum Jahr 2016 die Hälfte der Hausärzte in Pension gehen.

Seminarangebot hilft, sich in Strukturen einzufinden

Auch in diesem Jahr wird die Ärztegewerkschaft Marburger Bund deshalb wieder zusammen mit der Medizinerberatungsstelle ACADEMIX Consult Seminare zum Thema Praxiseröffnung und Praxisübernahme für deutsche Ärzte in der Schweiz anbieten.

Die Interessenten werden sechs Stunden lang über die gesetzlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen aufgeklärt und bekommen Tipps für die Suche nach der eigenen Praxis (www.praxsuisse.ch).

Tipps für den Alltag samt seiner sprachlichen Tücken gibt der Informatiker Jens-Rainer Wiese seit mehr als zehn Jahren in seinem Blog. Unter www.blogwiese.ch bereitet der Neu-Schweizer auf das beeindruckende Sturmgeläut der Kirchenglocken morgens um sechs Uhr früh vor und verrät, dass er vor allem Pommesbuden und Eisdielen in der Schweiz vermisst.

In dem Blog sind auch seine Lieblingswörter aufgelistet: So sagen die Schweizer beispielsweise Stöppler zu Trampern und Nachtesse zu Abendbrot. Ein Fleischteller ist nichts anderes als ein Teller mit Wurstaufschnitt und ein Kaffee Complet beinhaltet Milch und Zucker.

Wieses Tipp für Deutsche in der Schweiz: Geduldig sein. Die sprachlichen Feinheiten des hochalemannischen Dialektes könne man lernen, doch es brauche eben Zeit: Wieses Erfahrung: "Man verschweizert nur langsam."

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