Keine Angst vor dem demografischen Wandel

Die Situation des demografischen Wandels in Deutschland ist nicht so bedrohlich, wie häufig dargestellt. Ist die Angst vor dem "Silver Tsunami" in Deutschland tatsächlich übertrieben?

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Der Anteil der Deutschen, die über 65 Jahre alt sind, nimmt zu. 2010 waren es 20 Prozent.

Der Anteil der Deutschen, die über 65 Jahre alt sind, nimmt zu. 2010 waren es 20 Prozent.

© dresden / fotolia.com

BREMEN. Schlimm, aber nicht so schlimm, wie gedacht? Auf dem dritten Symposium der Bremer Apollon-Hochschule "Demografischer Wandel im Gesundheitswesen - Möglichkeiten und Grenzen" rieten die Experten zur Nüchternheit bei der Einschätzung des demografischen Wandels und seiner Konsequenzen für das Gesundheitssystem.

"Wir sterben immer wieder aus", feixte etwa Professor Ralf Ulrich, von der Uni Bielefeld. Die Alterung der Gesellschaft stand schon oft auf der politischen Agenda, verschwand aber ebenso regelmäßig, so Ulrich.

Heute zeige sich aber, "dass die Diskussion viel intensiver und tiefer in der Gesellschaft verankert ist als zuvor." Vor 100 Jahren waren rund fünf Prozent aller Deutschen älter als 65 und rund 42 Prozent unter 20 Jahre alt, referierte Ulrich die Zahlen des statistischen Bundesamtes.

Kostenexplosion nicht zwangsläufig

2010 zählten die Demoskopen zwanzig Prozent über 65-Jährige und rund 18 Prozent, die 19 Jahre alt oder jünger waren. Projiziert man die Zahlen in die Zukunft und bezieht sie auf das Sozialsystem, so Ulrich, "dann wird im Jahr 2060 jeder Beitragszahler einen Rentner finanzieren müssen."

Das müsse aber nicht unbedingt explodierende Krankheitskosten nach sich ziehen. So könne etwa die schrumpfende Bevölkerung die steigenden Krankheitskosten pro Kopf teilweise ausgleichen. Ulrich: "Die demografische Entwicklung ist nur ein eher kleiner Teil des Kostenproblems im Gesundheitssektor."

Dass der Gesundheitssektor nicht nur Geld kostet, sondern auch welches einbringt, ist die Hoffnung der Gesundheitsökonomen im Hinblick auf die Kostensteigerung im Gesundheitswesen.

Gesundheitsdividende unbekannt

Professor Klaus-Dirk Henke, Wirtschaftswissenschaftler an der TU Berlin, hat dies anhand eines Gesundheitssattelitenkontos für die Gesundheitswirtschaft belegt.

Es belegt erstmals den Anteil der Gesundheitswirtschaft am Gesamtgüteraufkommen, Gesamtproduktionswert, der Gesamtbruttowertschöpfung oder aller Exporte.

So schuf die Gesundheitswirtschaft 2008 allein 10,06 Prozent der Gesamtbruttowertschöpfung, beschäftigte 13,89 Prozent aller Erwerbstätigen und verzeichnete 17,88 Prozent aller Konsumausgaben.

Ob der schiere wirtschaftliche Nutzen auch den Patienten nützt, bezweifelte aber sogar Henke: "Wir kennen nicht die Gesundheitsdividende."

Ethik und Moral berücksichtigen

Zwar sei es wirtschaftlich geboten, das Geld dort auszugeben, wo man damit am meisten Gesundheit kaufen kann. Richte man sich aber danach, dürfte man kein Geld für sehr teure Organtransplantationen ausgeben, so ein Diskussionsbeitrag.

Henke: "Die gesundheitswirtschaftliche Diskussion reicht auch in die ethische und moralische Debatte hinein. Das müssen wir uns genau ansehen."

Dr. Bernhard Braun vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik trieb die Kritik an der Rede von der "Altenrepublik Deutschland" noch weiter.

Situation "gar nicht so bedrohlich"

Die Debatte zum Thema bewege sich zwischen der Angst vor dem "Silver Tsunami" und "Unterversorgungsapokalypse". Man pflege eine "Wir-können-uns-dies-nicht-leisten"-Rhetorik. Dabei sei die Situation in Deutschland gar nicht so bedrohlich.

"Bei uns ist die mögliche Belastung durch Alterungseffekte auch in 40 Jahren nicht so hoch wie etwa in Schweden", sagte Braun.

Schweden zahle für die Langzeitpflege laut OECD 3,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Deutschland zahle gerade mal 2,3 Prozent. Braun: "Unsere Gestaltungsmöglichkeiten sind größer als wir glauben."

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