Nachhaltigkeit

Wird ein Grünes Gewissen erste Investoren-Pflicht?

Die EU-Kommission will Aktienfonds zwingen, von 2020 an auch in grüne Unternehmen zu investieren. Das könnte die Kurse etlicher Gesellschaften in die Höhe treiben. Experten warnen jedoch vor übereilten Käufen, denn noch ist nicht klar, welche Kriterien die Werte erfüllen müssen.

Von Richard Haimann Veröffentlicht:
Grüne Geldanlage – noch ist das nur ein zartes Pflänzchen in der Börsenlandschaft.

Grüne Geldanlage – noch ist das nur ein zartes Pflänzchen in der Börsenlandschaft.

© amphotora / Getty Images / iS

NEU-ISENBURG. Fonds sollen grüner werden: Die EU-Kommission will Kapitalanlagegesellschaften vom nächsten Jahr an zwingen, dass sämtliche Aktienfonds einen Teil des ihnen anvertrauten Kapitals in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen investieren.

Das sei „zur Bekämpfung des Klimawandels“ nötig, sagt Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission für Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion. „Die durch extreme Wetterereignisse verursachten wirtschaftlichen Schäden haben zwischen 2007 und 2016 um 86 Prozent zugenommen.“

Zwar wird in der EU-Kommission noch diskutiert, in welchem Umfang Fonds künftig in Aktien sogenannter ESG-konformer Unternehmen investierten müssen. Das Kürzel steht für Environmental, Social and Governance und meint Gesellschaften, die nach ethischen, sozialen und umweltverträglichen Kriterien wirtschaften.

Doch egal, ob später nur fünf oder gar 20 Prozent des Anlagevermögens in solche Aktien fließen müssen: Die Börsennotierungen solcher Unternehmen dürften durch die geplante neue Regulierung steigen.

Branche bringt neue Anlagevehikel

Etliche Fondsgesellschaften haben bereits begonnen, neue Anlagevehikel aufzulegen, die ausschließlich in Aktien solcher ESG-konformen Gesellschaften investieren. Darunter ist auch Schroders Investment Management in Frankfurt am Main, die gerade einen Europa- und einen Global-Fonds gestartet hat, der in Aktien nachhaltig wirtschaftender Unternehmen investiert.

Ökologisch ausgerichtete Strategien würden immer wichtiger für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, sagt Schroders-Geschäftsführer Achim Küssner. „Die Berücksichtigung sozialer und Umweltkriterien ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für nachhaltige Erträge.“

Allerdings ist noch nicht klar, welche börsennotierten Unternehmen von der EU am Ende als „nachhaltig“ eingestuft werden. Dazu soll erst in den kommenden Monaten ein harmonisiertes Klassifikationssystem geschaffen werden.

Experten warnen Anleger deshalb davor, jetzt überstürzt in Aktien vermeintlich nachhaltig wirtschaftender Unternehmen zu investieren in der Hoffnung, dass deren Kurse bald steigen werden. Denn nicht jedes scheinbar grüne Unternehmen muss am Ende den EU-Kriterien entsprechen.

„Der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ ist so dehnbar, wie die Bezeichnung ‚Bio‘ in der Lebensmittelindustrie“, meint Ralph Rickassel, Stratege beim Düsseldorfer Vermögensmanager PMP.

So werde etwa der börsennotierte finnische Mineralölkonzern Neste von diversen Anlagegesellschaften als nachhaltiges Unternehmen eingeschätzt, weil er Biodiesel aus Palmöl produziert. Das kanadische Fachmagazin Corporate Knights hat der Gesellschaft in ihrer jüngsten globalen Bewertung nachhaltiger Unternehmen sogar den zweiten Rang verliehen.

Hingegen kritisieren Umweltschutzorganisationen, dass zur Palmölgewinnung Tropenwälder gerodet werden. „Auch die Funktion als Hauptsponsor im Motorsport bei der Rallye Finnland scheint keinen negativen Einfluss auf die Topplatzierung von Neste im Ranking zu haben“, wundert sich Rickassel.

Einheitliche Definitionen fehlen

Der deutsche Fondsverband BVI verweist in seiner Stellungnahme an die EU-Kommission ebenfalls darauf, dass es schwierig sei, verbindliche Nachhaltigkeitskriterien festzulegen. „Einschätzungen zum ESG hängen von der individuellen Meinung zu ethischen und sozialen Kriterien ab“, heißt es darin.

So würden manche Investoren die Atomkraft als nachhaltige Form der Energiegewinnung sehen, weil dabei keine Kohlendioxidemissionen anfallen. Für andere hingegen käme die Branche wegen der radioaktiven Abfälle nicht als Anlageklasse in Frage.

„Grundsätzlich ist der Gedanke, Investments unter ethischen, sozialen oder umweltverträglichen Aspekten auszuwählen, richtig“, so Rickassel. „Unternehmen, die sich diesen Anforderungen nicht stellen, werden es langfristig sowohl bei Verbrauchern, Arbeitnehmern und Investoren schwer haben.“

Allerdings sollten Anleger nicht überstürzt in vermeintliche ESG-Werte investieren, bevor die EU-Kriterien klar definiert sind. Rickassel: „Für den nachhaltigen Vermögensaufbau bedarf es mehr als nur eines grünen Labels.“

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