E-Health-Gesetz

Druck kommt vom Volk

Mit dem E-Health-Gesetz treiben die Koalitionspartner die Vernetzung im Gesundheitswesen an - dabei stehen sie selbst unter Druck. Die Wähler machen ihnen Beine.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Vernetzung durch E-Health.

Vernetzung durch E-Health.

© XtravaganT / fotolia.com

BERLIN. Der erste Eindruck kann trügerisch sein. So auch der von Dr. Katja Leikert. "Sie kennen sicher alle die Kampagne ,Deutschland sucht den Impfpass'", hakte die Bundestagsabgeordnete (CDU) auf der Health-IT-Messe conhIT in Berlin nach.

Und fragte gleich etwas ketzerisch hinterher: "Warum suchen wir ihn überhaupt? Warum ist er nicht als App auf dem Smartphone?" Zeitgemäß sei das gelbe Papierbuch nicht mehr.

"Dynamische Abgeordnete, die mit digitalen Themen versucht, junge und jung gebliebene Wählergruppen anzusprechen", könnte man denken. Tatsächlich hat Leikert die Antwort auf die seit Monaten still und leise mitklingende Frage, warum die Bundesregierung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens plötzlich so aufs Tempo drückt, gegeben.

Eine Frage, die zumindest die Beteiligten im Gesundheitswesen beschäftigt, seit die ersten Hinweise zum E-Health-Gesetz Ende 2014 durch die Medien gingen. Sie tut es noch mehr, seit mit dem Referentenentwurf, der im Januar vorgelegt wurde, nun auch feststeht, dass Digitalmuffeln empfindliche Sanktionen drohen.

Die Kassen haben sich nicht umsonst gerade erst wieder bei einer Diskussionsrunde in Berlin beschwert, dass sie durch die Sanktionierung des GKV-Spitzenverbandes "hochgradig erpressbar" würden - und zwar durch die Industrie.

Immerhin sind Haushaltskürzungen vorgesehen, falls die Gesellschafter der gematik die Fristen für den Ausbau der Datenautobahn im Gesundheitswesen, die den sperrigen Namen Telematikinfrastruktur trägt, nicht einhalten.

Die Regierung ist die Blockaden leid

Der Fahrplan im E-Health-Gesetz

Bis Ende Juni 2016 soll die technische Voraussetzung für den Online-Stammdatenabgleich und damit die Grundstruktur der Telematikinfrastruktur (TI) stehen. Schafft die gematik das nicht, werden die Haushalte von GKV-Spitzenverband und KBV ab 2017 auf dem Niveau von 2014 abzüglich einem Prozent so lange eingefroren, bis die TI steht.

Vertragsärzte sind ab Juli 2018 zum Online-Stammdatenabgleich verpflichtet.

Ab Oktober 2016 sollen GKV-Versicherte, die mindestens fünf Medikamente verordnet bekommen, Anspruch auf einen Medikationsplan haben.

Es wurde immer gemutmaßt, dass die Beteiligten Gruppen, zu denen neben den Kassen vorrangig die Ärzte gehören, einfach nur die Geduld der Regierung überstrapaziert haben. Das ist auch nicht ganz falsch. Denn Leikert machte deutlich: "Wir haben 2004 mit dem GKV-Modernisierungsgesetz den Auftrag an die gematik gegeben, eine Telematik-Infrastruktur aufzubauen."

Seither habe die Regierung aber erlebt, dass sich die Selbstverwaltung gegenseitig blockiere. Leikert: "Diese Blockaden gilt es nun mit unserem neuen Gesetz aufzulösen."

Was dabei zusätzlich Grund zum Ärgernis in Regierungskreisen sein dürfte und sich negativ auf das Geduldskonto auswirkt, ist, dass - wie Leikert es formulierte "interessanterweise" - zum staatlichen System Parallelstrukturen aufgebaut wurden.

Diese haben aus Versorgungssicht durchaus ihre Berechtigung, immerhin kann die Telematikinfrastruktur nach wie vor keinen rechten Mehrwert für Ärzte und Patienten bieten - und das nach über zehn Jahren.

Auf der anderen Seite stellen sie aber so manche Blockadehaltung infrage und geben ihr ein gewisses Geschmäckle. Die Frage, die sich unweigerlich auftut, ist: Wollen gewisse Kreise der Selbstverwaltung lieber eigene Vernetzungsstrukturen im Gesundheitsmarkt etablieren?

Dennoch: Der eigentliche Druckmacher sitzt nicht in der Selbstverwaltung, sondern eben doch in den vielen Wahlkreisen der Regierungsmitglieder.

Ihr Wahlkreis sei Hanau, berichtete Leikert. Er umfasst 14 Städte und Gemeinden, alle im westlichen Main-Kinzig-Kreis gelegen und damit mitten in der Rhein-Main-Metropolregion.

Trotzdem sei die Versorgung 50, 60 Kilometer von Frankfurt am Main entfernt schon schwierig. Der Ärztemangel längst zu spüren. Leikert: "Da brauchen wir andere Lösungen."

Es ist also das Versorgungsproblem, das den Politikern langsam vor die Füße fällt. Beim Thema Gesundheit reagiert die Bevölkerung sensibel.

Und so schnell, wie sich in den Praxen nun ein Generationswechsel vollziehen müsste, weil viele Vertragsärzte in den nächsten Jahren das eigentliche Ruhestandsalter erreichen, ist gar kein Nachwuchs aus der Facharztweiterbildung zu bekommen.

Die aktuelle Ärztestatistik der BÄK zeigt, dass jeder dritte Allgemeinarzt inzwischen über 60 Jahre alt ist. Mehr als 2000 Allgemeinärzte scheiden jährlich aus dem Berufsleben aus - aber die Zahl der Facharztanerkennungen stagniert bei etwa 1000 pro Jahr.

Dass viele junge Mediziner nicht aufs Land und lieber in Teilzeit arbeiten wollen, verschärft zusätzlich die Situation. Da steigt der Druck in den Wahlkreisen, und Gesundheit wird schnell zum Thema Nummer eins.

Ohne E-Patientenakte kein Erfolg?

Es geht also nicht mehr nur um Vernetzung der Leistungserbringer, damit die Therapie sicherer wird. Das war schließlich die Ursprungsidee, mit der Ulla Schmidt 2001 - nachdem unsachgemäßer Gebrauch des CSE-Hemmers Cerivastatin zu schweren Nebenwirkungen geführt hatte - als Gesundheitsministerin einen Arzneimittelpass auf einer Chipkarte und somit den ersten Ansatz für die Telematikinfrastruktur ins Rennen gebracht hatte.

Rund 14 Jahre später sehen die Versorgungsprobleme anders aus. Für Leikert ist deshalb die elektronische Patientenakte "Dreh- und Angelpunkt" - und dies mit einem Zugriffsrecht für Patienten.

Denn soll E-Health tatsächlich die Versorgung stärken und Patienten die Möglichkeit geben, in ihrem häuslichen Umfeld versorgt zu werden, müssen wir genau dorthin. Wir müssen es dann aber auch schaffen, die Telemedizin weiter voranzubringen.

Und die wirklich sinnvollen der bislang rund 200 Insellösungen nicht nur auf die Telematik-Plattform heben, sondern endlich die zugehörigen Abrechnungspositionen im EBM schaffen.

Das E-Health-Gesetz vermag den richtigen Impuls zu geben, um die Vernetzung überhaupt in Gang zu bringen. Sicher ist aber: Die Regierung wird nachbessern müssen, wenn sie die Bedürfnisse aus der Versorgungsrealität befriedigen will. Denn "bezeichnenderweise" wird der Medikationsplan erst einmal auf Papier geführt, wie Leikert feststellte.

Die elektronische Patientenakte kommt erst gar nicht im Gesetz vor. Da darf man gespannt sein auf das E-Health-Gesetz 2.0. Die erste Ausgabe soll ja nach Plan 2016 in Kraft treten.

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