Neuer Lehrstuhl

"Großartige Chance für München"

Zwei Jahre Aufbauarbeit: Der neue Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin soll die Abteilung in die Zukunft führen. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" spricht Professor Jochen Gensichen über die anstehenden Herausforderungen.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Professor Schelling, Sie haben zwei Jahre Vorarbeit für den Aufbau des neuen Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Universität München (LMU) geleistet. Wie ist der Plan? Wird es in Bayern künftig ein Kompetenzzentrum geben wie in Baden-Württemberg und Hessen?

Professor Jörg Schelling: Das wird es hier auch geben. Derzeit sind die Lehrstühle in Erlangen, an TU und LMU besetzt. Würzburg, Regensburg und Augsburg stehen noch aus. Aber die bestehenden Standorte treffen sich schon regelmäßig. Die Lehrstühle, die Koordinierungsstelle für Allgemeinmedizin (KOSTA), die Kammer (BLÄK) und die KV Bayerns entwickeln ein gemeinsames Konzept für das Kompetenzzentrum.

Professor Jochen Gensichen

"Großartige Chance für München"

© Christina Bauer

Facharzt für Allgemeinmedizin, Master of Public Health (MPH) und Diplom-Pädagoge.

Seit Oktober 2016 Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.

Welche Schwerpunkte konnten Sie als kommissarischer Leiter beim Aufbau des Instituts für Allgemeinmedizin an der LMU setzen?

Schelling: Das Wichtigste war, grundsätzliche Strukturen zu schaffen. Mit der Institutionalisierung spielen sich auch ganz simple formale Dinge ab. Man sitzt in bestimmten Gremien, nimmt an Sitzungen teil, ist näher an universitären Abläufen beteiligt. Es ging außerdem darum, in Lehre und Forschung als Teil des Ganzen aufzutreten, erste Dissertationen zu betreuen und Drittmittel zu beantragen.

Professor Gensichen, wo setzen Sie als neuer Lehrstuhlinhaber Akzente?

Professor Jochen Gensichen: Mein Schwerpunkt ist die psychische Gesundheit in der hausärztlichen Versorgung, Jörg Schelling hat den Bereich Prävention. Nur durch Akzente können wir auf Augenhöhe mit der internationalen Forschung agieren. München hat derzeit eine großartige Chance. Bald forschen fünf Professoren in der Allgemeinmedizin, zwei an der TU, drei hier an der LMU. Wir arbeiten eng zusammen. Es entsteht ein Zentrum für Primary Care-Forschung in Deutschland.

Gibt es Aspekte, die gerade an der LMU besonders sind?

Gensichen: Die LMU wird ein Sonderprogramm Strukturierte Weiterbildung für Allgemeinmedizin anbieten. Es ist für junge Ärzte, die zusätzlich zur klinischen Weiterbildung Führungskompetenz aufbauen wollen. Sie sollen später als Führungskräfte in Landesärztekammer, Forschung und Lehre arbeiten. Die Teilnehmer rotieren durchs Klinikum. So können sie klinische Erfahrungen auf die hausärztliche Praxis anwenden, und umgekehrt. Das Programm startet in diesem Jahr mit fünf Stellen.

Intensivieren Sie das Zusammenwirken von Lehre und Praxis?

Gensichen: Derzeit kooperieren wir mit 260 Lehrpraxen, und das werden mehr. Wir können die Kollegen bei ihrer Arbeit, wenn sie die Studierenden ausbilden, stärker begleiten. Wir werden Curriculumsarbeit und Train-the-Trainer-Arbeit machen. Junge Ärzte sollen von LMU-Lehrärzten eine Top-Ausbildung bekommen.

Inwiefern bauen Sie den Austausch zwischen Forschung und Praxis aus?

Professor Jörg Schelling

"Großartige Chance für München"

© Christina Bauer

Facharzt für Allgemeinmedizin , Ärztlicher Mitarbeiter des Instituts für Allgemeinmedizin der LMU.

2014 bis 2016 Gründungsdirektor des Instituts für Allgemeinmedizin an der LMU.

Gensichen: Die Allgemeinmedizin muss ihre Arbeit wissenschaftlich belegen, wie jedes andere Fach. Also feststellen, ob etwas wirksam, sicher, und kosteneffektiv ist. Dazu müssen wir gute Forschung machen. Das ermöglicht uns aber auch, dass unser Fach sichtbarer und verständlicher wird. Dass es nicht mehr nur die diffuse Blackbox des netten Hausarztes gibt, sondern ein ganz spezifisches Know-how.

Ist eine Campus-Praxis vorstellbar?

Gensichen: Inwiefern es eine Campus-Praxis geben soll, ist derzeit in der Diskussion – oder ein MVZ, oder ob wir externe Akteure dazuholen. Das kommt auch darauf an, welche ärztlichen Kollegen noch dazukommen. Es kann nicht nur um hausärztliche Fragen gehen, das betrifft beispielsweise Geriater und Psychiater genauso.

Inwiefern setzen Sie Interdisziplinarität in Lehre und Forschung um?

Schelling: An jedem Praxistag ist die Physiotherapie mit im Raum, die Pflege, die MFAs, der mitbehandelnde Urologe oder Kardiologe. Allgemeinmedizin ist ohne Interdisziplinarität gar nicht denkbar. Das gilt für die Lehre genauso. Dort müssen wir die Schnittstellen noch weiter ausbauen und definieren.

Gensichen: Nach dem SteppedCare-Modell gibt es klare Bereiche, für die wir verantwortlich sind. Dann gibt es Grenzen, wo zeitnahe Überweisung wichtig ist. Das wird Thema sein in unserer neuen Professur für klinische Versorgungsforschung, die in etwa einem Jahr startet. Sie beschäftigt sich mit der allgemeinmedizinischen Geriatrie. Gerade bei Senioren sind multidisziplinäre Ansätze wichtig. Wir drei zusammen, also Geriatrie, psychische Gesundheit und Prävention, können dann, denke ich, an einem ganz stimmigen Bild der Allgemeinmedizin arbeiten.

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