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Landarztquote produziert unglückliche Ärzte

Medizinstudent Marcel Schwinger lehnt die Landarztquote ab: Sie bringt nichts Gutes. Dabei gäbe es so viele Alternativen, um mehr Ärzte für eine Tätigkeit auf dem Land zu interessieren, schreibt er in einem Blogbeitrag

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Im Laufe des Medizinstudiums tun sich viele Berufsoptionen auf – sich zu früh auf "Hausarzt" fixieren zu müssen, birgt dabei ein späteres Frustrationsrisiko.

Im Laufe des Medizinstudiums tun sich viele Berufsoptionen auf – sich zu früh auf "Hausarzt" fixieren zu müssen, birgt dabei ein späteres Frustrationsrisiko.

© Drobot Dean / stock.adobe.com

Ich habe gerade meine Hausarzt-Famulatur hinter mir. Wunden verschiedenster Art versorgen, Patienten impfen, Fäden ziehen, Infekte auskurieren, Magenverstimmungen bekämpfen – ich glaube, es fehlte kaum etwas von der umfangreichen Palette an Arbeiten, die in einer hausärztlichen Praxis so anfallen.

Ich fühlte mich im Praxisteam gut aufgehoben und konnte eine Menge dazulernen. Beeindruckt hat mich die Unterschiedlichkeit der Krankheitsbilder, die man zu sehen bekommt. Und die Tatsache, dass so eine Praxis auf dem Land mehr ist als ein Durchlaufbetrieb für Patienten. Sondern ein Ort, an dem Menschen ganz umfassend geholfen wird, und sei es durch ein aufmunterndes Wort, einen Rat, ein Hilfsangebot.

Kurzum: Die vier Wochen Famulatur haben nicht nur Spaß gemacht, sondern sie haben mir wirklich etwas gebracht. Und meinen Respekt vor der hausärztlichen Tätigkeit noch einmal gesteigert.

Marcel, der Sonderfall

Und dennoch: Ein Allgemeinmediziner wird aus mir nicht werden. Das ist keine Entscheidung gegen dieses Fach, sondern für die Urologie, der ich mich nach dem Studium unbedingt verschreiben möchte. Dass ich das schon jetzt so genau weiß, macht mich unter meinen Mitstudenten fast zu einem Sonderfall.

Wir haben gerade das sechste Semester hinter uns – Halbzeit also. Was ich so höre, hat sich nicht mal jeder Fünfte in der jetzigen Phase schon entschieden, welche Richtung er nach dem Studium einschlägt, weniger als 20 Prozent also. Das ist auch völlig normal, schon aus dem Grund, da die meisten Medizinstudenten ohne jegliche praktische Vorerfahrungen ihr Studium beginnen.

Was sie mitbringen, ist das unbändige Interesse an der Medizin – nicht mehr, nicht weniger. Im Lauf des Studiums tut sich eine schier unendlich große Welt vor ihnen auf. Da braucht die Entscheidung Zeit. Ich kann heute nicht mehr "Chirurg" oder "Internist" schlechthin werden. Allein in den zwei großen Fächern stecken für junge Ärzte jede Menge sehr unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten. Von den weiteren Fachgebieten ganz zu schweigen.

Die Idee ist eine Zumutung!

Eingedenk dessen empfinde ich es als Zumutung, einem Abiturienten im Alter von 18 Jahren die Festlegung abzuverlangen, sich elf Jahre später als Hausarzt auf dem Land niederzulassen. Denn er verfügt zu diesem Zeitpunkt nicht ansatzweise über die nötigen Entscheidungsgrundlagen.

Er weiß nichts – außer dass er den Studienwunsch Medizin hat. Und dass er ihn angesichts der Knappheit der Studienplätze möglicherweise zeitiger oder überhaupt erst bekommt, wenn das Wirklichkeit wird, was im Masterplan Medizinstudium 2020 steht, nämlich die Hausarztquote. Zehn Prozent der Studienplätze sollen an Bewerber, die sich entsprechend verpflichten, bevorzugt vergeben werden.

Der Mangel ist heute akut

Ich halte das auch aus vielen weiteren Gründen für einen Irrweg. Denn die Maßnahme führt frühestens nach 2030 zu irgendwelchen Ergebnissen – wahrscheinlich nicht mal zu den richtigen –, obwohl der Mangel heute akut ist und dieser mit anderen, wirksameren Maßnahmen bekämpft werden könnte und müsste. In Deutschland fehlen nach Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer aktuell mehr als 2500 Hausärzte. Auf dem Land wird das Problem noch dadurch verstärkt, dass sich die existierenden Hausärzte lieber in Städten niederlassen.

Soll dieser Mangel mit Verweis auf den Masterplan tatsächlich einfach so in die Zukunft verschoben werden? Keine gute Idee.

Zur Person: Im urologischen OP der Uniklinik, wo Marcel Schwinger auch heute noch neben dem Medizinstudium arbeitet, hat er schon viele unterschiedliche Eingriffe aus Sicht des Pflegers miterlebt. Für seine medizinische Ausbildung hat er sich das Motto gesetzt: „Tue, was du kannst – und könne, was du tust.“

Es gibt doch Alternativen

Es ist durchaus möglich, den Hausarztberuf auf dem Land schon heute so attraktiv zu machen, dass sich mehr junge Ärzte dafür entscheiden. In einigen Bundesländern existieren bereits Förderprogramme und Hilfen, wenn es darum geht, geeignete Praxisräume zu finden und diese auszustatten.

Doch ich denke, das allein wird nicht reichen. Ein junger Arzt wird sich dann auf dem Land niederlassen, wenn auch das Führen der Praxis halbwegs attraktiv ist. Eine goldene Nase, so glaube ich, will und kann sich hier ohnehin keiner verdienen.

Aber die streng reglementierte Budgetierung und die schlechten Behandlungspauschalen können in bestimmten Regionen für den Arzt auch schon mal ins wirtschaftliche Abseits führen. Die Ärztin, bei der ich meine Famulatur machte, bekam beispielsweise ein Regressverfahren an den Hals, weil sie zu viele Arbeiten abrechnete, die an Wochenenden angefallen waren.

Dabei ist der Grund absolut nachvollziehbar: Die Ärztin wohnt selbst auf dem Dorf, und wenn am Wochenende außerhalb der Behandlungszeit jemand bei ihr klingelt, dann wird er nicht weggeschickt. Wäre die Alternative – der Patient begibt sich auf die überfüllte Notaufnahme des Krankenhauses – etwa kostengünstiger für die Kasse? Wohl kaum.

Gängelei spricht sich rum

Solcherart Gängelei spricht sich herum unter Ärzten. Die Frage ist: Wer geht dann noch freiwillig aufs Land, wo er viel arbeitet und außer Ärger wenig davon hat?

Es wäre wirklich mal ein Beitrag, wenn die Politik Maßnahmen ergriffe, den Betrieb von Hausarztpraxen attraktiver zu machen. Das heißt zuallererst: den Ärzten mehr Luft lassen, mehr Spielräume geben, Budgets erhöhen. Dann würden sich auch ohne Hausarztquote mehr Interessenten finden, da bin ich mir ganz sicher.

Furchtbare Fehlanreize

Stattdessen wird eine Quote in einen Masterplan geschrieben, die furchtbare Fehlanreize und Fehlsteuerungen schaffen wird. Denn sie wird auch unglückliche Ärzte hervorbringen, die im Laufe von Studium oder Facharzt-Weiterbildung merken, dass sie in der falschen Disziplin gelandet sind, nur weil sie sich viele Jahre vorher, als sie noch grün hinter den Ohren waren, dazu verpflichtet haben.

Und unglückliche Ärzte sind dann wahrscheinlich auch die schlechteren Ärzte. Das kann nicht im Interesse der Patienten sein. Der Masterplan versagt an dieser Stelle völlig: Falsche Therapie nach einer an sich richtigen Diagnose. In der ärztlichen Praxis würde man von einem Kunstfehler sprechen.

Der Volksmund kennt ein Sprichwort: Wer die Wahl hat, der hat die Qual. So ist das auch bei der Facharztwahl. Die kann angesichts der vielen Möglichkeiten tatsächlich sehr schwer fallen. Noch schlimmer aber ist es, überhaupt keine Wahl zu haben. Und genau das ist bei der Landarztquote der Fall. Ein später Sieg der Planwirtschaft.

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