Institut Allgemeinmedizin in Halle

"Verstehen, wie umfassend die hausärztliche Tätigkeit ist"

Die bundesweit erste "Klasse für Allgemeinmedizin" (KAM) an der Uni Halle ist seit 2011 auf Erfolgskurs. Etwa 40 Studenten pro Jahrgang lernen hier vom ersten Semester an, was sie als Hausarzt wissen müssen. Ein Gespräch mit Institutsdirektor Professor Thomas Frese.

Von Petra Zieler Veröffentlicht:
Wurde Hausarzt wie zuvor seine Mutter: Professor Thomas Frese, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Halle.

Wurde Hausarzt wie zuvor seine Mutter: Professor Thomas Frese, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Halle.

© zie

Ärzte Zeitung: Die KAM läuft seit 2017 erstmals zweizügig. Damit wurde die Zahl der Studierenden nahezu verdoppelt. War Hintergrund der drohende Ärztemangel in Sachsen-Anhalt?

Prof. Dr. Thomas Frese: Obwohl in manchen Regionen der Versorgungsbedarf sinken wird, ist damit zu rechnen, dass sich das Problem Hausärztemangel in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Grund sind viele ältere Ärzte, die in Rente gehen.

Grund sind aber auch viele junge Ärzte, die lieber in Teilzeit arbeiten möchten. Hausärztenachwuchs ist also wichtig. Voraussetzung dafür ist eine bedarfsdeckende Ausbildung. Und die bieten wir an.

Dies wiederum setzt voraus, dass alle ihre Zöglinge in Sachsen-Anhalt bleiben …

Professor Thomas Frese

Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Halle seit Herbst 2016, 37 Jahre alt

Medizinstudium Uni Halle, 2000 - 2007

Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis vor Beginn seiner wissenschaftlichen Arbeit an der Uni Halle, Sohn einer Hausärztin.

Frese: Das sehe ich nicht so, und das wäre auch illusorisch. Fakt aber ist, wenn jede medizinische Fakultät der allgemeinmedizinischen Ausbildung so viel Gewicht beimessen würde wie wir, hätten wir bundesweit keine, zumindest aber deutlich weniger Nachwuchsprobleme. Ungeachtet dessen denke ich aber schon, dass sich immer mehr Absolventen für Sachsen-Anhalt entscheiden.

Das liegt zum einen an den vielfältigen und großzügigen Förderungen im Bundesland – vom Stipendium bis zu Startgeldern bei Praxisgründungen beziehungsweise -übernahmen –, das liegt aber auch und vor allem an den über 100 hoch engagierten und motivierten Mentoren in 94 Lehrarztpraxen, deren Vorbild allein ein Garant für eine erfolgreiche Nachwuchsgewinnung ist. Unsere KAM-Studierenden absolvieren während jeder Semesterferien zwei Praxistage bei ihrem ärztlichen Mentor.

Worauf kommt es Ihnen in der Ausbildung besonders an?

Frese: Den Praxisbezug habe ich bereits angesprochen. Mir ist sehr wichtig, dass alle Studierenden verstehen lernen, warum die Allgemeinmedizin ein ganz spezifisches Fach ist, dass sie verstehen lernen, wie umfassend die hausärztliche Tätigkeit ist und wie Hausärzte denken müssen.

Neben den Praxistagen sind Seminare für integrierte Medizin sowie hausärztliche Fertigkeiten- und Kommunikationstrainings feste Bestandteile des Curriculums.

Was könnte Ihre Arbeit in Bezug auf Nachwuchsförderung unterstützen?

Frese: Auch die Bundespolitik scheint den Ernst der Lage unterdessen erkannt zu haben. Einiges wurde in Gang gesetzt, wenn auch mindestens 15 Jahre zu spät.

Unverändert dagegen sind die Weiterbildungsrichtlinien, die verhindern, dass angehende Hausärzte während der gesamten Weiterbildungszeit lediglich an einen Arbeitgeber gebunden sind und nicht wechselnde Arbeitgeber und mehrere Arbeitsverträge haben müssen. Das ist ein deutliches Manko gegenüber den Ärzten, die sich für andere Fachrichtungen entscheiden. Hier hoffen wir auf Veränderungen.

Ein "Rucksack"-Modell wie in England würde die Position der Allgemeinmediziner in Weiterbildung stärken. Darüber hinaus brauchen wir noch besser funktionierende Netzwerke und auch Aufklärung. Viele Studierende glauben nach wie vor, dass es auf dem Lande deutlich weniger zu verdienen gibt und dass das ländliche Leben schwieriger ist.

Ersteres lässt sich relativ leicht entkräften. Beim zweiten Punkt wird es schon schwierig, wenn nicht alle mitziehen – bis hin zu den Kommunen. Es geht ja nicht nur um die Praxis allein, sondern auch um die Arbeit für den Partner, Kinderbetreuung und vieles mehr.

Genau dieses Ziel verfolgt in Sachsen-Anhalt die Allianz für Allgemeinmedizin, die ja auch die Kompetenzzentren auf den Weg gebracht hat …

Frese: Sachsen-Anhalt gehört wirklich zu den Vorreitern bei der Förderung angehender Hausärzte, die hier vielfältige Unterstützungen und Förderungen in Anspruch nehmen können und individuell betreut werden. Auch die Kompetenzzentren Allgemeinmedizin in Halle und Magdeburg haben einen sehr hohen Anspruch an ihre Arbeit zur Verbesserung der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Ich bin optimistisch, dass das alles weiter Früchte tragen wird.

Inwiefern wird die Telemedizin die Arbeit der Haus-/Landärzte verändern?

Frese: Wir sollten das Potenzial telemedizinischer Möglichkeiten nutzen, aber nicht überbewerten. Die Allgemeinmedizin ist ein sehr komplexes Fach. Viele Patienten kommen nicht nur mit einem Problem, sie haben meist mehrere Anliegen. Fernbehandlungen werden deshalb weder jetzt noch später ein Allheilmittel sein können.

Über Schnupfen oder Blutdruck kann ich mich via Internet unterhalten. Es lässt sich aber nur ein überschaubarer Anteil allgemeinmedizinischer Konsultationen ohne körperliche Untersuchung lösen. Ungeachtet dessen werden wir aber auch dahingehend neue Akzente in Lehre und Weiterbildung setzen sowie mit E-Learning innovativere Angebote aufnehmen.

Lesen Sie dazu auch: Scharf auf Allgemeinmedizin: Die Klasse mit Hausärzten von morgen

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