Marburger Ärzte hadern mit Klinik-MVZ

Niedergelassene Ärzte in Mittelhessen fürchten, von MVZ privater Klinikbetreiber, wie der Rhön Klinikum AG, verdrängt zu werden. Bei einer Podiumsdiskussion sprachen Ärzte und Rhön-Mitarbeiter über die angespannte Situation.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Die Rhön Klinikum AG, hier die von ihr betriebene Uniklinik in Marburg, im Kreuzfeuer der niederglassenen Ärzteschaft - sie fürchten einen Verdrängungswettbewerb.

Die Rhön Klinikum AG, hier die von ihr betriebene Uniklinik in Marburg, im Kreuzfeuer der niederglassenen Ärzteschaft - sie fürchten einen Verdrängungswettbewerb.

© imagobroker / imago

MARBURG. Die Mehrheit der Ärzte und Besucher im Saal des Marburger Technologiezentrums war sich einig: Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die unter der Ägide von privaten Klinikbetreibern wie der Rhön Klinikum AG stehen, müssen verhindert werden.

Ihre zentrale Sorge: Sie verdrängen freie Haus- und Fachärzte. Hoch emotional ging es teilweise zu bei der unter dem Titel "Der Patient als Ware" initiierten Podiumsdiskussion der Marburger Ärzteinitiative "Notruf 113".

MVZ erinnern an Polikliniken der ehemaligen DDR

Eigentlich erinnerten die MVZ an die Polikliniken der ehemaligen DDR, so Medizinsoziologe Professor Hans-Ulrich Deppe. Tatsächlich hatte sie die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) 2004 eingeführt, um ländliche Räume besser versorgen zu können. Doch sie können auch missbraucht werden, "um die Interessen der Aktionäre zu bedienen", postulierte Deppe.

Genau das fürchten in der Initiative "Notruf 113" zusammengeschlossenen niedergelassenen Ärzte in Mittelhessen. Die Rhön Klinikum AG als Betreiber des privatisierten Uni-Klinikums Marburg und Gießen baue mehrere Versorgungszentren, so die Lesart der Versammelten, "um dem Unternehmen weitere Gewinne zu bringen" sowie Haus- und Fachärzte aus der Nachbarschaft zu ersetzen.

"Ein Interessenkonflikt zwischen Klein- und Großkapital", ordnete Deppe die Situation ein. Doch wenn Rhön dahinter stehe, seien auch die in MVZ angestellten Ärzte diesem Interesse verpflichtet, so Dr. Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte. "Die MVZ sind das Einfallstor in die ambulante Versorgung", folgerte Rakowitz für sich in der emotionsgeladenen Debatte.

Patientenströme könnte in die Klinik geleitet werden

Der ehemalige Klinikarzt Dr. Eike Schäfer fürchtet, dass private Betreiber die Patientenströme kontrollieren und nach Bedarf in die Klinik ziehen könnten: "Dann gibt es keine externe Qualitätskontrolle mehr", lautete seine Schlussfolgerung.

Die Diskussion zeigte auch, wie tief die Wunden bei manchen Ärzten noch sind, die die Privatisierung der Uniklinik Gießen/Marburg geschlagen hat. Die Veranstaltung glich zeitweise einem Grabenkampf: Ehemalige Uni-Ärzte hier, Rhön dort. So war Schäfer elf Jahre an der Uniklinik, zuletzt als Oberarzt, bevor er sich, wie er bekundete, aus Unzufriedenheit mit den neuen Betreibern in Marburg niederließ.

Das Land habe, betonte Schäfer, die marode Gießener Uniklinik und das gut laufende Marburger Pendant zu einem "Spottpreis" von 112 Millionen verkauft, obgleich der Verkehrswert bei 1,6 Milliarden gelegen habe.

Seitdem sei Personal abgebaut, die laufenden Kosten seien durch die Gründung von Tochtergesellschaften verbilligt worden. Doch die Mitarbeiter aus diesen Gesellschaften seien schlechter bezahlt, weniger qualifiziert und weniger motiviert. Dies habe vor allem das Pflegepersonal und den Service getroffen: "Ich kann als Chirurg so gut operieren wie ich möchte. Wenn die Nachversorgung nicht stimmt, nützt das nichts." Zudem gebe es deutlich mehr Patienten, also auch mehr Arbeit.

Dagegen argumentierte Professor Rainer Moosdorf, Ärztlicher Direktor der Marburger Uniklinik, dass die Arbeitsverdichtung ein generelles Problem in ganz Deutschland sei. In Marburg gebe es genauso viele zufriedene Patienten wie vor der Privatisierung. Moosdorf ging verbal in die Offensive: "Die Ärzte sind keine Handlanger von Rhön, sondern machen immer noch einen ziemlich guten Job."

Auch der Leiter eines von Rhön betriebenen MVZ aus dem Publikum sagte: "Ich war in meinen ärztlichen Entscheidungen immer vollkommen frei." Hier konterte Deppe, dass die Einflussnahme "viel subtiler" laufe. Der niedergelassene Marburger Kinderarzt Dr. Stephan Nolte berichtete, dass er bereits jetzt oft einen Umweg über ein MVZ machen müsse, wenn er Patienten an die Kinderklinik überweisen wolle.

Allerdings habe Rhön erst drei MVZ mit 13 Ärzten in Mittelhessen, betonte Sprecher Frank Steibli. Und bei den Arztsitzen stünden etwa 1000 selbstständigen Vertragsarztpraxen in Gießen und Marburg nur elf Sitze unter der Leitung von Rhön gegenüber.

Über die Zukunft sagte er: "Wir wollen den Niedergelassenen Angebote machen - von eher loseren Kooperationen bis zur Übernahme von Vertragsarztpraxen und der Einbringung dieser Praxen in ein MVZ." Der SPD-Landtagsabgeordnete und ehemalige Klinikarzt Dr. Thomas Spies plädierte indes dafür, MVZ zur Gemeinnützigkeit zu verpflichten. Zudem müssten endlich Personalmindeststandards für die Kliniken festgelegt werden.

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