Kassen-Studie unterstellt Ärzten Korruption

Zum Auftakt des 115. Deutschen Ärztetages erhitzt eine Studie der Kassen die Gemüter: Jede vierte Klinik zahlt offenbar Zuweiserprämien an niedergelassene Ärzte. Die Politik spricht von Mafia-Verhältnissen, der BÄK-Chef von Stimmungsmache.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Geld für den zuweisenden Doktor: Offenbar noch immer keine Seltenheit.

Geld für den zuweisenden Doktor: Offenbar noch immer keine Seltenheit.

© Natalia Demidchick / fotolia.com

BERLIN. Im Gesundheitswesen dreht sich ein Geldkreislauf der besonderen Art. Niedergelassene Ärzte und leitende Mitarbeiter von stationären Einrichtungen bestechen sich untereinander und lassen sich bestechen.

Die Inhaber von Dentallaboren, Apotheken, Orthopädiehäusern und anderen nichtärztlichen Einrichtungen müssen blechen, um für Ärzte und Kliniken arbeiten zu dürfen.

Diesen Eindruck erwecken zumindest die Ergebnisse einer Studie des Economy & Crime Centers der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Statt medizinischer Argumente entschieden oft Prämiengeld oder Sachleistungen, zu welchem Arzt, zu welcher Klinik oder zu welchem nichtärztlichen Leistungserbringer die Patienten gelenkt würden, heißt es in der am Dienstag bei der Vorstellung einer Kurzfassung der Studie vom GKV-Spitzenverband verbreiteten Presseerklärung. Der Kassenverband ist Auftraggeber der Untersuchung und hat sie bezahlt.

Erstellt hat sie Professor Kai-D. Bussmann. "Das ist keine investigative Studie", sagte der Strafrechtler am Dienstag in Berlin.

Abgefragt haben Telefoninterviewer die Wahrnehmungen und Erfahrungen von Ärzten, leitenden Klinikmitarbeitern und nichtärztlichen Leistungserbringern. 1141 Angehörige der Heilberufe hätten sich den rund fünfzehnminütigen Interviews gestellt.

Was kam zuerst: Henne oder Ei?

Alle drei Gruppen kennen die unzulässige Zuweisung gegen Entgelt. Eine deutliche Mehrheit hält sie für unvereinbar mit dem Berufsethos der Heilberufe. Allerdings gaben 19 Prozent der befragten Ärzte zu verstehen, dass sie die berufs- und strafrechtlichen Regelungen zur Zuweisung gegen Entgelt nicht kennen.

Etwa ein Viertel der niedergelassenen Ärzte gab an, dass selten bis gelegentlich Geld oder eine Sachleistung für die Zuweisung von Patienten erwartet worden seien. Die Klinikmitarbeiter wiederum berichten von einer Erwartungshaltung bei den niedergelassenen Ärzten, die sie erfüllen müssten.

Von rund 600 befragten niedergelassenen Ärzten schätzen 14 Prozent die Situation so ein, dass "Fangprämien" üblich seien. Dass sich Leistungserbringer in allen Sektoren wirtschaftliche Vorteile verschafften, bestätigten auch 24 Prozent der leitenden Mitarbeiter von 180 stationären Einrichtungen, auch Rehakliniken und Pflegeheimen.

Dass manche im Gesundheitswesen die Hand aufhalten, bezeichneten sogar 46 Prozent der befragten 361 nichtärztlichen Leistungserbringer als gängige Praxis.

Außerdem hätten 29 Prozent der befragten stationären Einrichtungen in den vergangenen beiden Jahren, dem Untersuchungszeitraum, wirtschaftliche Vorteile für die Beteiligung an der Arznei- und Hilfsmittelversorgung angeboten bekommen.

Beide Gruppen wiederum, vor allem aber die niedergelassenen Ärzte, erwarteten von den nichtärztlichen Leistungserbringern Zuwendungen für die Zuweisung von Patienten.

Die Sanitätshäuser und Hörgeräteakustiker sind denn auch diejenigen, die angaben, dass ihnen in den vergangenen beiden Jahren ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.

Montgomery: Skandalisierung der Ärzteschaft

Wieviele Ärzte und Leistungserbringer tatsächlich schwach geworden sind und sich zu Zahlungen hinreißen ließen oder sie angenommen haben, sagt die Studie nicht.

Elf Prozent der befragten niedergelassenen Ärzte haben sich an die Ärztekammern gewandt, drei Prozent an die 2009 geschaffenen Clearingstellen. 36 Prozent der nichtärztlichen Leistungserbringer haben ihre Berufsverbände von konkreten Fällen unterrichtet.

Die Gesetzeslage sei klar. "Wenn ein Arzt gegen Entgelt in Kliniken zuweist, muss das geahndet werden", reagierte Gesundheitsminister Daniel Bahr beim Ärztetag in Nürnberg.

Die Kassen hätten dazu die Möglichkeit. Daten über einen Anstieg anonymer Meldungen solcher Fälle lägen nicht vor, sagte Bahr.

Als platt und populistisch geißelte Ärztepräsident Dr. Frank Ulrich Montgomery den "Versuch der Krankenkasse, eine Skandalisierung des ärztlichen Berufsstandes zu initiieren." Es erstaune, dass die Kassen niemals die Berufsgerichte bemühten, sondern stattdessen pauschale Verdächtigungen ausstreuten.

"Wir fordern die Kassen auf, Ross und Reiter gegenüber den Kammern und den Kassenärztlichen Vereinigungen zu nennen", forderte Dr. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Kassen kündigen Konsequenzen an

Die Chance dazu hätten sie bisher jedoch nicht ergriffen. Sollte es nachweislich zu derart unlauteren Praktiken gekommen sein, würden die Verantwortlichen selbstverständlich zur Rechenschaft gezogen, sagte Köhler.

Ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) wies die Studienergebnisse zurück. In der Studie seo lediglich die Rede davon gewesen, dass die befragten Mitarbeiter eingeräumt hatten, dass es sich bei den Prämien um eine gängige Praxis handele.

Die Datenbasis sei unseriös, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. "Die Zahlen zu den befragten Krankenhäusern sind statistisch irrelevant", sagte er.

Baum: "Die Krankenkassen beschädigen das vom Gesetzgeber zum Wohle des Patienten geförderte Miteinander von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten auf der Basis gesetzlich vorgegebener Kooperationsvereinbarungen, bei denen Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen."

Der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, forderte Konsequenzen aus den Studienergebnissen. So sollten alle Ärzte die geltenden berufsrechtlichen Vorschriften kennen.

Kiefer kündigte an, dass die Kassen die Möglichkeiten des Versorgungsstrukturgesetzes ausspielen würden. Ärzte, die an der Praxis Zuweisung gegen Entgelt festhielten, müssten mehr denn je damit rechnen ihre Zulassung verlieren.

Auch aus dem Bundestag drangen erste Reaktionen. "Die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems und knallharter Wettbewerb um Patienten und Geld haben ihre Schattenseiten", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Martina Bunge

Dies ließe sich jedoch nicht mit Verboten verhindern. Bunge: "An dieser Misere wird sich nichts ändern, solange Ärztinnen und Ärzte benachteiligt sind, die allein aus medizinischen Gründen handeln und gute Leistungen erbringen."

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