Kommunale Kliniken in Hessen

Im Reich der Einzelkämpfer

Der hessische Rechnungshof hat öffentliche Kliniken unter die Lupe genommen - und lässt kein gutes Haar an ihnen. Ein Problem: Die Häuser sehen sich gegenseitig als Konkurrenten.

Von Monika Peichl Veröffentlicht:
Rote Zahlen: In Hessen ist so manche Klinik im Defizit.

Rote Zahlen: In Hessen ist so manche Klinik im Defizit.

© Eisenhans / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Regionaler Verbund statt Einzelkämpfertum, Zentralisierung, Bettenabbau: Das empfiehlt der hessische Rechnungshof für defizitäre kommunale Kliniken.

2010 haben 40 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser in Hessen rote Zahlen vorgelegt. Der Landesrechnungshof hat nun in einer "Vergleichenden Prüfung" acht kommunale und Kreisklinika analysiert und Auswege aus der "Fehlentwicklung" aufgezeigt, die die finanziell klammen Städte und Kreise belaste.

Einbezogen waren die Häuser der Städte Kassel, Fulda, Wiesbaden, Frankfurt, Offenbach und Darmstadt sowie des Hochtaunuskreises und Main-Taunus-Kreises. Die Verluste der sieben Klinika (ohne Wiesbaden) addierten sich 2011 auf rund 79 Millionen Euro, wobei eines schwarze Zahlen geschrieben hatte.

Für Wiesbaden standen Daten nur sehr begrenzt zur Verfügung, da der neue Minderheitseigentümer der teilprivatisierten Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken den Fortbestand der Unterrichtungsrechte ablehnte.

Prüfer kritisieren mangelnde Abstimmung der Häuser

Wie zuvor schon andere Beobachter der Krankenhausszene Hessens stellten die Prüfer fest, dass die Klinika ihr Leistungsangebot nicht oder nur unzureichend untereinander abstimmen. Häuser in geografischer Nähe verstünden sich sogar als Wettbewerber.

"Der halb regulierte - dennoch in Teilen wettbewerbliche - Markt im Gesundheitswesen führt ohne eine geordnete Struktur der Leistungserbringung zu einer ‚Kannibalisierung‘ von benachbarten Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft", heißt es in dem Bericht.

Der hessische Verdi-Experte Georg Schulze-Ziehaus etwa kritisiert seit Jahren, dass die kommunalen Kliniken im Rhein-Main-Gebiet allesamt die gleiche Strategie verfolgen und sich Konkurrenz machen um Patienten in lukrativen Abteilungen, etwa in der Onkologie, aber auch um Fachkräfte.

Zugleich versuchen alle, durch Investitionen in Neubauten und Technik ihre Effizienz zu verbessern.

Die Prüfer empfehlen, dass die Klinika ihr medizinisches Leistungsangebot stärker als bisher miteinander abstimmen. Unter Berücksichtigung der bedarfsgerechten und wohnortnahen Versorgung sollte eine Konzentration einzelner Leistungsbereiche erwogen werden, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern.

Das diene zudem der Behandlungsqualität, die neben theoretischen Kenntnissen auch auf Routine und Expertise, also hohen Fallzahlen beruhe.

Fallzahlen differieren beträchtlich innerhalb ausgesuchter Leistungsgruppen

Laut Prüfbericht bestehen in ausgewählten Leistungsgruppen erhebliche Unterschiede bei den Fallzahlen. Das reichte zum Beispiel in der Gruppe Neurologie-Apoplexie von 193 Fällen in einem der Klinika bis zu 1302 Fällen in einem anderen, in der Gruppe chirurgische Therapie der Lunge von 20 bis zu 244 Fällen, in der Gruppe Ortho/Unfall-Wirbelsäule von 373 bis 1209 Fällen und in der Gruppe Leukämie von zwei bis zu 180 Fällen.

Es sei zu prüfen, ob es zielführend sei, Leistungsgruppen mit geringen Fallzahlen weiterhin an den Standorten zu erbringen. Dies müsse aber unter Versorgungsaspekten einzeln betrachtet werden. So könne etwa die Schlaganfallversorgung in einem solitär gelegenen Haus nicht aufgegeben werden.

Zu optimieren ist nach Ansicht der Prüfer außerdem der Einsatz öffentlicher Fördermittel für die bauliche und technische Infrastruktur. In den Kliniken des Main-Taunus-Kreises, des Hochtaunuskreises und in Frankfurt-Höchst, die bis zu 25 Kilometer voneinander entfernt liegen, seien Investitionen in Höhe von 470 Millionen Euro genehmigt oder in der Ausführung.

Es sei den Prüfern nicht erkennbar gewesen, dass sich die Krankenhäuser dabei untereinander abgestimmt hätten. Bauplanung müsse klinikübergreifend an Kapazitätsplanungen und Leistungskonzepten ausgerichtet werden.

Frankfurt und der Main-Taunus-Kreis hätten seither erste Gespräche über eine mögliche Kooperation oder Fusion aufgenommen.

Drei Zukunftsszenarien werden druchgerechnet

In drei Szenarien zeigen die Prüfer auf, wie die Zukunft der sieben öffentlichen Klinika (ohne Wiesbaden) aussehen könnte. Im ersten Szenario bleibt alles, wie es ist, die Verluste steigen mittelfristig auf 89 Millionen Euro pro Jahr.

Im zweiten zentralisieren die Häuser sekundäre und tertiäre Leistungsbereiche, zum Beispiel Apotheke, Sterilisation, Hygiene - in Form eines zentralen Instituts -, Medizintechnik, Labor sowie Administration. Dazu bedürfe es einer strategischen Entscheidung der Träger.

Empfohlen wird die Organisation in regionalen Verbünden. Mittelfristig ließe sich damit das jährliche Defizit auf zwei Millionen Euro verringern. Das dritte Szenario sieht zusätzlich zur Zentralisierung gemäß der zweiten Option vor, Überkapazitäten abzubauen, und zwar durch Optimierung der Verweildauer und Abbau von 500 Betten.

Das soll mittelfristig ein positives Ergebnis in Höhe von rund zwölf Millionen Euro bescheren.

Zu den Trägern der untersuchten sieben Klinika merken die Prüfer an, dass sie von den Geschäftsführungen in der Regel nur mit Globaldaten ausgestattet würden, etwa Gewinn-und-Verlust-Rechnung.

Eine betriebswirtschaftliche Analyse mit differenzierter Betrachtung der medizinischen Leistungsbereiche habe keiner der Verwaltungen vorgelegen.

In mehreren Kommunen sei die Personalausstattung für die Beteiligungsverwaltung unangemessen niedrig, nur vereinzelt würden die Aufsichtsratsmitglieder für ihre Mandate vorbereitet.

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