Bremen

Lärm auf der Intensivstation – laut wie an Durchgangsstraßen

Im Bremer Klinikum Links der Weser haben Ärzte dem Lärm den Kampf angesagt. Sie analysieren die Gründe und haben Schutzkonzepte entwickelt. Endlich Ruhe?

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Kopfhörer als Lärmschutz für Patienten – das wirkt.

Kopfhörer als Lärmschutz für Patienten – das wirkt.

© Gesundheit Nord

BREMEN. Seit Kurzem regelt eine Ampel auf der Intensivstation des Bremer Klinikums Links der Weser (LdW) den Lärmpegel. "Wenn sie auf "rot" springt, wissen die Kolleginnen und Kollegen: Es ist zu laut", sagt der Fachkrankenpfleger Andreas Schneider. Er hat sich in seiner Facharbeit mit dem Lärm auf der Intensivstation befasst und mit Wegen, wie man ihn reduzieren kann. Dazu maß er Geräuschpegel und interviewte 30 Patienten.

92 Dezibel

erreicht der Lärm auf einer Intensivstation. Das entspricht dem Geräuschpegel an belebten Straßen.

Dem Krach in den Kliniken mehr Aufmerksamkeit zu schenken ist bitter nötig, wie die Messungen Schneiders ergaben. Denn manchmal ist es auf den Intensivstationen fast so laut wie auf einer viel befahrenen Straße: 80 Dezibel. "Dabei muss man bedenken, dass unsere Patienten schwer krank sind und deshalb besonders lärmempfindlich", sagt Schneider der "Ärzte Zeitung".

Kein Wunder also, dass es die Patienten stört, wenn die Klappe des mobilen Röntgengerätes zufällt (84 bis 92 Dezibel), wenn die Absaugkatheter auseinandergerissen werden (78 bis 80 Dezibel), Urinflaschen laut scheppern und Schränke zuklappen (bis zu 76 Dezibel) oder der Sekretabsauger mit mehr als 59 Dezibel lärmt und die Geschirrspülmaschine mit 70 Dezibel ausgeräumt wird. Dazu piepen die Monitore, der Kühlschrank, und die Reinigung der Zimmer macht Lärm. Alle diese Werte hat Schneider zu verschiedenen Tageszeiten am Ohr der Patienten gemessen. Im Zweifel seien die Patienten schutzlos ausgeliefert, sagt er.

Er befragte 2015 auch über zwei Monate lang insgesamt 30 Patienten nach ihrem Lärmempfinden auf der Intensivstation. Die Befragung ergab, dass sich die Patienten vor allem morgens am Lärm stören. Indessen – mit vielen dieser Geräusche konnten Patienten leben. Manchen galt die Geräuschkulisse sogar als Zeichen der geschäftigen Fürsorge. Anderer Lärm störte permanent. Überraschenderweise nervte es Patienten am meisten, wenn das Personal vom Patientenzimmer aus telefonierte, oder laute Unterhaltungen in den Fluren führte, hat Schneider festgestellt. "18 der 30 befragten Patienten fanden diese Gespräche zu laut."

Ob die Geräuschkulisse auf der Intensivstation gesundheitsschädlich ist oder die Genesung verschleppt, lässt sich nicht eindeutig belegen. Dass es das Befinden beeinflusst, ist wohl unstreitig, meint Schneider. So können alte Patienten kaum mehr einschlafen, wenn sie einmal durch laute Geräusche erwacht sind. Auch seien Nervosität oder Orientierungslosigkeit mögliche Folgen des Lärms. Als einmal ein Sauerstoffgerät blubberte, fragte der eben reanimierte Patient verwirrt: "Regnet es?" Schneider berichtet, dass der Lärm einen eben aufgewachten orientierungslosen Patienten sogar ängstigte.

Gesetzlich festgelegte Werte zum Lärm (und Patienten-)schutz im Krankenhaus indessen gibt es nicht, so Schneider. Aber er hat festgestellt: Die von ihm gemessenen Werte übersteigen deutlich die Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung für den Neu- und Umbau von Krankenhäusern. So sollen im OP und in Fluren 45 Dezibel nicht überschritten werden, in sonstigen medizinisch genutzten Räumen keine 35 Dezibel.

Was tun? Gewiss, Gespräche können bei geschlossenen Türen geführt werden, ein Monitor kann bei nicht lebensbedrohlich Erkrankten aus dem Zimmer genommen werden. Auch wurden im LdW zwei Patientenzimmer zu Lagerräumen umfunktioniert, weil sie neben der Spüle und dem Aufzug lagen. Die Lärmampel tut ein Übriges. Aber dass so dem Lärm auf Station die große Stille folgt, dürfte ausgeschlossen sein.

Auf der Intensivstation im LdW greift man deshalb zu Kopfhörern für die Patienten. Die Geräte verfügen über so genannte Noise Cancelling-Systeme, die eigentlich für Musikliebhaber Umgebungsgeräusche aus dem Hörgenuss herausfiltern sollen. Auf den Intensivstationen sind sie ein perfektes Mittel, um das Klappern des Geschirrs, das Piepen der Monitore und das Blubbern des Sauerstoffgerätes zu reduzieren. Besonders für frisch operierte Herzpatienten hat sich die Lösung als hilfreich herausgestellt. Sie brauchten deutlich weniger Schlafmittel, so Schneider.

"Viele Kollegen waren wohl selbst genervt vom Lärm hier", sagt Schneider. Sein Kollege Nils Weseloh, Oberarzt Dr. Jörg Ahrens und er treffen sich inzwischen in ihrer Freizeit zu dem Thema Lärm. "Wir haben ein eigenes Interesse und unsere Ideen finden großen Anklang im Team", berichtet Schneider.

Tatsächlich dient die Lärmreduktion auch dem Personal. Ein Patient habe sich zum Beispiel immer wieder die Beatmungsmaske vom Gesicht gerissen. "Stress für die Kollegen", sagt Schneider. Wir haben ihm dann einen Kopfhörer aufgesetzt – und die Maske blieb, wo sie war. Am nächsten Tag konnte der Patient auf die Normalstation." Sogar die Laborkollegen profitieren. Denn auch sie bekommen von rauschenden und brummenden Geräte täglich einiges zu hören. Schneider: "Als die Kollegen die Kopfhörer ausprobierten, sagten sie: Herrlich – endlich Ruhe!"

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