Whistleblowing in der Klinik

Ein scharfes Schwert im Kampf gegen Pflegemorde?

Der Fall des wegen Mordes an Patienten verurteilten Krankenpflegers Niels H. legt Defizite im Klinikmanagement offen. Zur Täterprävention in den Reihen des Personals setzen Kliniken nun auf anonyme Hinweissysteme. Ein Selbstläufer ist das aber nicht.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Der verurteilte Krankenpfleger Niels H. Hätten Whistleblower seine Taten verhindern können?

Der verurteilte Krankenpfleger Niels H. Hätten Whistleblower seine Taten verhindern können?

© picture alliance / AP Photo

Wir müssen aus den damaligen Ereignissen lernen". So kommentierte das Klinikum Oldenburg die jüngsten Erkenntnisse über die Morde des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. in dem Oldenburger Haus und dem Klinikum Delmenhorst (heute Josef-Hospital).

Am Montag hat die Sonderkommission "Kardio" der Oldenburger Polizei und der Oldenburger Staatsanwaltschaft mitgeteilt: Nachdem Niels H. bereits für sechs Gewalttaten, darunter zwei Morde, lebenslang im Gefängnis sitzt, könnte ihm die Staatsanwaltschaft Oldenburg bald 84 weitere Patiententötungen zur Last legen.

Das wäre die größte Serie an Klinikmorden in der Bundesrepublik Deutschland – und sie sollte es auch bleiben!

Täter im Personal finden

Der Fokus aller Kliniken in Deutschland muss nun auf der Täterprävention in den Reihen des eigenen Personals liegen – ohne die eng getakteten Arbeitsabläufe im medizinischen und pflegerischen Versorgungsalltag zu gefährden. In den beiden Krankenhäusern in Oldenburg und Delmenhorst zum Beispiel haben die Klinikleitungen Whistleblowersysteme installiert.

Darunter sind anonyme Hinweissysteme – oft unter Einbindung externer Rechtsanwaltskanzleien – zu verstehen, die den Mitarbeitern und Kräften von Fremdfirmen die Möglichkeit an die Hand geben, unter Umgehung ihres Vorgesetzten auf mögliche Missstände – im Falle des Niels H. das nicht indizierte Injizieren des Wirkstoffs Ajmalin – im Unternehmen aufmerksam zu machen, die dann auch diskret verfolgt werden. Der Informant bleibt also – nicht zuletzt zu seinem persönlichen Schutz – unbekannt.

Akzeptanzschwelle erhöhen

Funktionieren diese Informationssysteme im Prinzip, lastet auf dem Whistleblowing die schwere Hypothek der pejorativen Konnotation des Wortes. Denn die Systeme haben bei vielen einen schlechten Ruf als Unterstützung von Spitzelei und Denunziation am Arbeitsplatz.

Viele Klinikmitarbeiter fürchten, dass sie mit anonymen Hinweissystemen unter Generalverdacht gestellt werden – sie nehmen zuerst die Perspektive des potenziell Betroffenen und nicht die des aktiven Detektives ein. Zu Unrecht.

Die Whistleblower-Systeme postulieren ja nicht nur einen Generalverdacht, sondern auch eine Kultur des Hinsehens und der Verantwortlichkeit der Kolleginnen und Kollegen. Vielleicht hätte Niels H. so noch vor seiner ersten Tat gestoppt werden können. Denn er war, wie die Sonderkommission bestätigt, alkohol- und medikamentenabhängig, als er seine Taten beging.

Wie anders hätte die Geschichte um Niels H. verlaufen können, wenn Kollegen ihrem Misstrauen anonym Ausdruck hätten geben können! Tatsächlich könnten Meldesysteme den Zusammenhalt und die Kooperation auf den Stationen schulen und das Hinsehen kultivieren. Denn genau daran scheint es in Oldenburg und Delmenhorst gefehlt zu haben.

Ausmaß des Verbrechens unvorstellbar

Warum wurde niemand seiner Kollegen misstrauisch? Und wenn doch, warum wurde nicht gehandelt? Immer wieder hören wir die Begründung, niemand der Kolleginnen und Kollegen konnte sich solche Untaten von einem Krankenpfleger vorstellen, schon gar nicht das Ausmaß der Verbrechen.

Das ist nachvollziehbar. "Es sind die Taten eines fehlgeleiteten Menschen", kommentiert denn auch das Klinikum Oldenburg. Trotzdem, dieser harten Erkenntnis muss man sich stellen: Es geschah unter aller Augen – und wurde gleichwohl nicht gesehen. Eben hier können Meldesysteme helfen.

Viele Argumente sprechen also dafür, besser hinzusehen und Verdachtsmomenten nachzugehen. Aber ob ein anonymes Meldesystem als Instrument des Klinikmanagements tatsächlich funktioniert, ist noch völlig offen.

In Oldenburg ist die Einrichtung erst seit anderthalb Jahren in Betrieb. Ab und zu werde etwas eingestellt, heißt es in Oldenburg. Welche Folgen das neue Instrument aber für die Zusammenarbeit, die Patientensicherheit und die Fehlerkultur am Arbeitsplatz hat, ist völlig offen.

Im Fokus steht das Abschreckungspotenzial

Das gemeinsame Ziel von Klinikleitung und Belegschaft muss es sein, Whistleblowing-Systeme im Versorgungsalltag so zu integrieren, dass das Abschreckungspotenzial für mögliche Täter hoch genug ist.

Dass Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt nun anonyme Fehlermeldesysteme in den Kliniken des Landes fordert, geschieht zu Recht, wenn auch zu spät. Die Änderung soll im Zuge der Novellierung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes greifen.

Auch die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Ingrid Fischbach (CDU), fordert ein besseres vertrauliches Meldesystem in Krankenhäusern. Die vorhandenen Fehlermeldesysteme, müssten konsequent umgesetzt werden, sagte sie.

Man kann also hoffen, dass bald viele Krankenhäuser den guten Erfahrungen zum Beispiel in Oldenburg folgen und selber entsprechendes initiieren – Meldesysteme plus Fehlerkultur. So könnten viele Krankenhausstationen viele Daten liefern, um die Meldesysteme und ihre Folgen zuverlässig beurteilen zu können und so tatsächlich aus den Ereignissen in Oldenburg und Delmenhorst lernen.

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