"Safewards"

Deeskalation in der geschlossenen Anstalt

Viele Patienten psychiatrischer Kliniken werden gegen ihren erklärten Willen stationär behandelt — da bleiben Konflikte nicht aus. In Berlin wird ein neues Modell erprobt, um Gewalt zu verhindern.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Zwangsmaßnahmen wie Handfesseln rufen schnell neue Aggressionen hervor. Das „Safewards“-Modell will dies verhindern.

Zwangsmaßnahmen wie Handfesseln rufen schnell neue Aggressionen hervor. Das „Safewards“-Modell will dies verhindern.

© Hans Wiedl / dpa / ZB

BERLIN. Weniger Gewalt und Zwangsmaßnahmen in der geschlossenen Akutpsychiatrie – darauf zielt das Modellprojekt "Safewards". Am Berliner Vivantes Klinikum am Urban wird es seit kurzem umgesetzt.

"Safewards" ist eigens für psychiatrische Stationen entwickelt worden. Es soll helfen, in Krisensituationen Gewaltausbrüche und Selbstverletzung zu verhindern und damit auch dazu beitragen, dass weniger Zwangsmaßnahmen nötig sind. Dabei geht das Modell auch davon aus, dass Zwangsmaßnahmen neue Aggressionen verursachen können.

Nach Angaben des Berliner Klinikriesen Vivantes werden zwischen ein und fünf Prozent der Patienten psychiatrischer Kliniken gegen ihren erklärten Willen stationär behandelt. Deeskalation und die Reduzierung von Zwang seien dort eine große Herausforderung, so der Klinikkonzern.

Das "Safewards"-Modell beschreibt Einflussfaktoren, die Gewaltakte verhindern können. Einfache Gesten, ein Wort der Empathie oder eine zugewandte Körperhaltung können demnach bereits genügen, um eine hoch emotionale Situation nicht weiter eskalieren zu lassen, so die Erfahrungen mit "Safewards" in anderen Ländern.

In Deutschland ist die Station 32 des Vivantes Klinikums am Urban mit 21 Betten und jährlich rund 3000 Patienten die erste psychiatrische Station, die das Konzept eingeführt hat. "Safewards ist eine der ganz wenigen wissenschaftlich evaluierten Strategien, die die Anzahl der Zwangsmaßnahmen auf psychiatrischen Stationen maßgeblich reduzieren: Um bis zu 20 Prozent", so Chefarzt Professor Andreas Bechdolf.

"Alle profitieren letztendlich"

Er betonte, dass bei diesem Projekt das ganze Team an einem Strang gezogen habe. "Von den positiven Veränderungen im Umgang miteinander profitieren aber letztlich alle – Patienten und Mitarbeitende", so Bechdolf.

Das "Safewards"-Modell setzt darauf, die Klinikstation zu einer sicheren Umgebung für Patienten und Mitarbeiter zu machen. Das geschieht anhand von zehn Interventionen. Dazu zählen unter anderem eine verständnisvolle, positive Kommunikation, die Klärung gegenseitiger Erwartungen, deeskalierende Gesprächsführung, Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten und Methoden zur Beruhigung.

Die zehn Interventionen wurden an der Berliner Klinik Schritt für Schritt eingeführt. Jeden Monat kam eine neue Intervention hinzu. Vermittelt werden sie nicht durch externe Trainer, sondern durch einzelne Teammitglieder, die sich ein Thema aneignen.

Grundvoraussetzung ist eine Bereitschaft, das eigene Handeln zu überdenken: "Die Einführung der Interventionen erfordert vom gesamten Team ein Umdenken in der Haltung den Patienten gegenüber sowie ein hohes Maß an Reflektion, Kritikfähigkeit und Engagement", so Vivantes.

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