Pflege

Köpfe zu zählen genügt nicht

Die Einigung der Universitätskliniken in NRW mit den streikenden Pflegern ändert nichts am Pflegenotstand. Hier werden demnächst andere Faktoren wichtiger werden, so der Ärztliche Direktor in Essen.

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Anne-Christin Gröger

KÖLN. Die Unikliniken Essen und Düsseldorf haben sich dank eines Schlichtungsverfahrens mit der Gewerkschaft Verdi auf eine Vereinbarung geeinigt, um die Pflegekräfte an beiden Häusern zu entlasten. Das ändert allerdings nichts an der grundsätzlichen Problematik, findet Professor Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsklinik Essen. Der Pflegenotstand in Deutschland bleibe weiterhin ein drängendes Problem.

Werner sieht die Ursachen unter anderem im Finanzierungssystem. "Ein Grundproblem beim bundesweiten Pflegenotstand ist der Umstand, dass die Pflege im DRG-System nur unzureichend abgebildet wird", sagte er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Gute oder schlechte, intensive oder nachlässige Pflege findet kein Äquivalent in der Finanzierung der erbrachten Leistung."

Dadurch werde der Pflegeberuf unattraktiv. Eine Folge ist, dass nahezu alle Kliniken in Deutschland unter dem Pflegenotstand leiden. Allerdings sei es nicht so einfach, dieses Problem zu lösen. "Selbst wenn sehr zeitnah eine adäquate Vergütung der Beschäftigten und eine entsprechende Berücksichtigung im DRG-System oder ein Herauslösen der Pflege aus dem DRG-System mit anderer Vergütung erreicht würden, handelt es sich um ein langfristiges und strukturelles Problem im Gesundheitswesen", sagte Werner.

Der Markt für qualifizierte Pflegekräfte sei quasi leer. Es werde lange dauern, das zu korrigieren. "Es muss jedem klar sein, dass lokale, erfolgreiche Besetzungsinitiativen zusätzlicher Pflegekräfte Verschiebungen im Krankenhaussystem zur Folge haben", so Werner. Auch die Altenpflege könnte darunter leiden.

Leute einstellen keine alleinige Lösung

Gleichzeitig bringe es nichts, einfach mehr Leute einzustellen. "Bei aller Notwendigkeit einer Aufstockung des Pflegepersonals greift das ritualisierte Verlangen nach mehr Stellen, also die reine Arithmetik, zu kurz", so Werners These.

"Es nutzt nichts, eine unerreichbar hohe Zahl von Stellen zu fordern, wenn diese nicht sofort und unmittelbar im Gesamtsystem einer Universitätsklinik für Patienten und Mitarbeiter spürbar wird", kommentiert der Mediziner das Vorgehen der Gewerkschaft im Nachhinein.

Grundsätzlich wird sich das Arbeitsumfeld für die Beschäftigten in der Medizin seiner Erwartung nach schon bald stark verändern. "Das digitalisierte Krankenhaus wird tradierte Berufsfelder verändern, bestehende Berufsfelder abschaffen und neue Berufsfelder schaffen", erwartet Werner. Das bringt neue Chancen, aber auch neue Herausforderungen: Beispiele seien die Dokumentation von und der Umgang mit komplexen Datensätzen. Auch der Einsatz künstlicher Intelligenz und der Robotik werde vieles ändern.

Chancen der Digitalisierung sieht Werner in der Einführung von Diensten, die das Pflegepersonal von fachfremden Arbeiten befreien können. "Dazu gehören meiner Ansicht nach die Dokumentation, Transportdienste oder Telefonarbeiten", sagte er. Hier könnten Callcenter, spezielle Mitarbeiter für den Transport und elektronische Patientenakten helfen.

"Eine Pflegekraft mehr auf der Station nützt nichts, wenn die dortigen Prozesse und Strukturen nicht modern, effizient und zukunftsfest sind." (acg)

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