MedTech-Innovationen

Spagat zwischen Kosten und Regulierung

Die Anforderungen an medizintechnische Neuheiten werden immer höher – vor allem die regulatorischen. Der Verein Deutscher Ingenieure sieht aber trotzdem vielversprechende Zukunftstrends für die Branche – eine Prognose.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Augenscanner: In der Ophthalmologie hat die Medizintechnik schon viel zur Kostensenkung beigetragen – durch Ambulantisierung.

Augenscanner: In der Ophthalmologie hat die Medizintechnik schon viel zur Kostensenkung beigetragen – durch Ambulantisierung.

© Jürgen Fälchle/fotolia.com

DÜSSELDORF. Miniatisierung, Computerisierung und Vernetzung, Molekularisierung, Biologisierung, Personalisierung sowie Automatisierung – diese sechs Trends sind aus Sicht des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) maßgeblich für die weitere Entwicklung der Medizintechnik. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten VDI-Papier "Medizintechnik – Trends und Perspektiven" des Fachbeirats Medizintechnik der VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences hervor.

Die Ingenieure widmen sich mit Blick auf die Innovationsfähigkeit der deutschen Medizintechnikbranche indes nicht nur der technischen Entwicklung, sondern finden vor dem Hintergrund des großen Zukunftspotenzials auch mahnende Worte mit Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen. So konzedieren sie zwar, dass umfangreiche, sich ständig anpassende regulatorische Anforderungen – zuletzt verabschiedete die EU die tiefgreifende Novelle der Medizinprodukteverordnung, die am 25. Mai 2017 in Kraft treten wird – zur "Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus in der Medizintechnik" beitragen würden, diese "aber auch Entwicklungsprozesse verzögern oder behindern" können. "Es ist notwendig, das Maß des Notwendigen in der Regulierung der Medizintechnik nicht zu überschreiten", so der Appell der Entwickler.

Rückenwind durch die Demografie

Bedarfsseitig gesehen, sind die Rahmenbedingungen für die Medizintechnikbranche generell gut. So führt, wie der VDI prognostiziert, der demografische Wandel mit einer älter werdenden, multimorbiden Bevölkerung zu einem permanent weiter wachsenden Bedarf an innovativer Medizintechnik. Da die Lösungen der Branche zur erwünschten Lebensverlängerung beitrage, gewinne die Medizintechnik immer mehr an Bedeutung.

"Die Entwicklung der Medizintechnik zielt darauf ab, frühere und sichere Diagnosen zu ermöglichen und eine immer erfolgreichere Behandlung mit einer immer geringeren Belastung des Patienten zu bewirken", konstatiert der VDI. Selbstverständlich müsse aber jede neue Technologie auf ihr Potenzial geprüft werden, auch in der Medizin Einsatz zu finden, wie es heißt.

Prozesse als Stellschraube

Die Ingenieure haben bei ihrer Branchenbetrachtung auch den Kostendruck im Blick, unter dem die meisten Gesundheitssysteme der Welt stehen. "Um die sich ständig erweiternden technischen Möglichkeiten nutzen zu können, muss der Einsatz von Medizintechnik finanzierbar bleiben", mahnen sie. Hier könne zum einen die Technik selbst einen Beitrag zur Kostendämpfung leisten – beispielsweise durch die "Effektivierung von Prozessen". Wie der VDI weiter hinweist, tragen auch heute schon Medizintechniklösungen zur Kostensenkung bei – zum Beispiel durch Lösungen in der Ophthalmologie, die zu einer zunehmenden Ambulantisierung von Op beigetragen haben, die lange – und durch die DRG auch unrentable – Krankenhausaufenthalte vermeiden helfen.

Die sechs Zukunftstrends der Medizintechnik charakterisiert der VDI wie folgt:

» Miniaturisierung: Komponenten, Geräte und Systeme der biomedizinischen Technik werden immer kleiner, leichter und energiedichter bei gleichzeitig steigender Funktionalität. Durch Mikro- und Nanotechnologie werde ein hoher Integrationsgrad von Einzelkomponenten erreicht, wodurch beispielsweise minimalintensive Techniken in der Medizin möglich, Implantate nutzerfreundlicher und Monitoringsysteme für Vitalparameter mobil gestaltet werden könnten.

» Computerisierung und Vernetzung: Biomedizinische Technik benötigt Informations- und Kommunikationstechnik in immer stärkerem Maße für Informationserfassung, -verarbeitung, -sicherung, -präsentation und -austausch in komplexen Systemlösungen wie zur tomografischen Verarbeitung und Präsentation großer multimodal erfasster Bilddatenmengen, in der Telemedizin und für alle mobilen medizintechnischen Lösungen. Hohe Austauschraten von Information, Stoff und Energie über gesicherte, zuverlässige standardisierte Schnittstellen ermöglichen effektive Hot-Plugging-Konzepte (Interoperabilität).

» Molekularisierung: Betrachtungs- wie Handlungsebenen verschieben sich in immer kleinere Bereiche von Organen über Gewebe hin zu Zellen bis hin zu funktionalen Molekülen und Atomen. Gezielt werden signalgebende und therapeutisch wirksame Moleküle in molekularer Bildgebung und beispielsweise zur Tumortherapie lokal und selektiv eingesetzt. Im Gebiet des Tissue Engineering zielt man auf den natürlichen Ersatz für erkrankte Gewebe durch in vitro gezüchtete menschliche Gewebe. Eine Herausforderung stellen in diesem Umfeld die Felder Analytik, Standardisierung und Qualitätsmanagement dar.

» Biologisierung: Biologische Komponenten werden in biomedizintechnische Systeme integriert, wie bei Bioimplantaten (Knorpel- oder Gefäßimplantate), Biosensoren oder gezüchtetem Gewebeersatz.

» Personalisierung: Individualisierte Behandlung mit maßgeschneiderten Mitteln und Methoden basiert auf individualisierter Diagnose und Prognose des konkreten Falls und Krankheitsverlaufs – auch bei multimorbiden Patienten oder Patienten mit seltenen Erkrankungen ("Orphan-Device"-Lösungen).

» Automatisierung: Über verfeinerte Diagnose-, Therapie- und Entscheidungsunterstützungssysteme können fehlende biologische Strukturen oder Funktionen durch adaptive, automatisierte Systeme der Biomedizintechnik ergänzt oder ersetzt werden, sei es beim Home-Monitoring von Herzschrittmacherpatienten, der Nutzung von Robotertechnik zum Treppensteigen oder persönlichen Assistenzsystemen in der Diabetestherapie.

Dadurch werde der biologische Regelkreis entsprechend der medizinischen Zielstellung über technische Komponenten in Routineanwendung erweitert (Closed-Loop-Systeme, Theragnostik, Cybersysteme). Solche Systeme höheren Komplexitätsgrads setzten Interoperabilität aller beteiligten Komponenten voraus, was hohe Anforderungen an die Gestaltung der vielfältigen Schnittstellen stelle. Im weitesten Sinne würden mit diesem Begriff auch alle nicht technischen und nicht medizinischen Wechselwirkungen in den komplexen Netzwerken umfasst, die sich aus der Einbettung medizintechnischer Aufgabenstellungen in die sozialen, ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der heutigen Wissensgesellschaft ergeben.

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