Roboter-Hilfe

Humanoide Begleiter stärken jungen Diabetikern den Rücken

Das Diabetes-Selbstmanagement ist gerade für sehr junge und heranwachsende Typ1-Diabetiker eine große Herausforderung. Ein EU-Projekt setzt nun auf humanoide Diabetesberater.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Der humanoide Roboter „Pepper“ kann die Emotionen seines Gegenübers wahrnehmen und situationsgerecht agieren – zum Beispiel als Coach für Typ1-Diabetiker.

Der humanoide Roboter „Pepper“ kann die Emotionen seines Gegenübers wahrnehmen und situationsgerecht agieren – zum Beispiel als Coach für Typ1-Diabetiker.

© Andrej Sokolow/dpa

SOESTERBERG. Pädiater sollen in Zukunft humanoide Roboter individuell für ihre Typ1-Diabetes-Patienten programmieren und ihnen so einen Lebensabschnittsbegleiter an die Seite stellen, der sie bei ihrem Krankheitsmanagement aktiv unterstützt. Das ist zumindest die Vision des von der Europäischen Union unter dem Dach ihres Rahmenforschungsprogramms "Horizon 2020" mit mehr als viereinhalb Millionen Euro geförderten Projekts Personal Assistant for healthy Lifestyle (PAL).

Die Federführung des Projekts liegt bei der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO), beteiligt sind unter anderem auch das Imperial College of Science Technology and Medicine in London, die Technische Universität Delft, die niederländische Diabetesvereinigung, die Fondazione Centro San Raffaele in Mailand sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken.

Transitionsmedizinische Aspekte

Wie es in der EU-Projektbeschreibung heißt, soll PAL ein System sein, das Kindern und Jugendlichen mit Typ1-Diabetes im Alter zwischen sieben und 14 Jahren mit interaktiven Lernprogrammen hilft, ihre Krankheit zu verstehen und sie auch selbst zu managen. Darüber hinaus soll die Roboterlösung eine Scharnierfunktion zwischen dem Patienten, seinen Eltern, Pflegekräften, Ärzten und anderen einnehmen. So sollen sie auch fit werden für den wichtigen Übergang vom Pädiater zum Hausarzt und Diabetologen – ein zentrales transitionsmedizinisches Anliegen, das auch in Deutschland Defizite aufweist.

Aufgesetzt haben die Forscher den humanoiden Diabetes-Coach zunächst auf der NAO-Serie, jetzt soll auch Pepper zum Einsatz kommen – nach Angaben des japanischen Herstellers Softbank Robotics ist es der weltweit erste humanoide Roboter, der bei seinem Gegenüber Emotionen wahrnehmen und situationsgerecht reagieren kann.

Wie sich das PAL-System in der Realität bewähren könnte, zeigt ein Erfahrungsbericht zweier junger Typ1-Diabetiker auf der Website des EU-Projekts. Dort geht es um die Geschwister Arjan (13) und Tatum (11), die in der Nähe von Amsterdam wohnen. "Ihre Schule ist eine halbe Fahrradstunde entfernt. Jeden Morgen müssen die Kinder überlegen, was sie den Tag über essen sollen und wie viel Insulin sie brauchen. Sie müssen das den ganzen Tag über im Hinterkopf behalten, um sicher und ohne Hypoglykämien unterwegs wieder nach Hause zu kommen", erläutert ihre Mutter Ilona Geurts.

Als Teilnehmer des PAL-Projektes bekommen Arjan und Tatum spezielle Apps auf ihren Tablets installiert, mit denen sie trainieren sollen, wie sie die richtige Essensauswahl treffen, Kalorien zählen und ihre Aktivitäten im Blick haben – und das alles auf eine lustigere Art und Weise als dies ein Buch je zu vermitteln mag. "Kinder lesen nicht mehr wirklich gerne Bücher, wir bevorzugen es, mit unseren Smartphones zu spielen", erläutert Tatum. "Bücher sind ein bisschen langweilig, Tablets machen viel mehr Spaß", ergänzt Arjan im Web.

Während ihrer Krankenhausbesuche in den teilnehmenden Projektkliniken können die Kinder wie Tatum und Arjan dann mit dem Roboter spielen, der nicht nur ein Trainer, sondern auch ein Freund sein soll, wie es von PAL-Seite heißt. "Die Leute neigen dazu, Roboter zu vermenschlichen, das hilft uns bei der Bindung zwischen Kindern und Robotern", erklärt PAL-Projektkoordinatorin Rosemarijn Looije, die sich für die TNO mit dem Themenkomplex Human-Machine-Teaming beschäftigt.

Mit weniger Unlust zum Check-up

Wie die pädiatrische Diabetologin Roos Nuborer vom Meander Medical Center betont, haben Wissenschaftler inzwischen herausgefunden, dass junge Typ1-Diabetiker, die von ihrem Pädiater in die PAL-Lösung eingebunden wurden, mit weniger Unlust zu den regelmäßigen Check-ups in die Kliniken gehen als die Kinder der Vergleichsgruppe. "Kinder lieben diesen Roboter. Normalerweise gehen sie nicht gerne in die Klinik, sondern bevorzugen lustigere Dinge wie das Spielen mit ihren Freunden. Aber dieser Roboter veranlasst sie, hierherzukommen. Sie machen Selfies mit dem Roboter und zeigen ihren Freunden so, dass Diabetes für sie keine Belastung ist", resümiert Nuborer.

Der Roboter setzt auf Interaktion: In einem Frage-Antwort-Spiel bietet er zum Beispiel einem Kind eine Auswahl alltäglicher Lebenssituationen an wie zum Beispiel die Einladung zu einer Geburtstagsfeier oder eine Dessertauswahl. Das Kind muss die gesündeste Auswahl treffen. Dann gibt es einen Rollenwechsel und der Roboter stellt sich den Fragen.

Obwohl der Roboter keine Medikationsratschläge gibt, hilft er, so das Projektzwischenfazit, Symptome diabetesrelevanter Erkrankungen zu verstehen. Übrigens halte er auch den Datenschutz ein: Die persönlichen Informationen werden nicht mit anderen Kindern geteilt.

PAL-Projekt

» Koordinator: Niederländische Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung

» EU-Förderung: Rund 4,5 Millionen Euro unter dem Dach des Rahmenforschungsprogramms Horizon 2020

» Laufzeit: 01. März 2015 bis 28. Februar 2019

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