Medizintechnik

Digitale Helfer im Kampf gegen Krebs

Digitale Lösungen sollen Ärzte bei Diagnostik und Therapie unterstützen. Welches Potenzial die Digitalisierung für die onkologische Versorgung verspricht, zeigen die beiden Forschungsprojekte "OP 4.1" und "RaVeNNA 4pi".

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Die konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens eröffnet Ärzten für die onkologische Versorgung völlig neue Perspektiven.

Die konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens eröffnet Ärzten für die onkologische Versorgung völlig neue Perspektiven.

© kentoh - stock.adobe.com

HEIDELBERG/FREIBURG. Mit der Entwicklung eines neuen Endoskopiesystems und einer digitalen Befund-Plattform soll die Diagnose und Verlaufskontrolle bei Blasenkrebs deutlich verbessert werden.

Das ist das Ziel des Forschungskonsortiums "RaVeNNa 4pi", das vom Universitätsklinikum Freiburg geleitet wird und dem acht weitere Partner aus Hochschule und Industrie angehören.

Das modifizierte Endoskop ermöglicht es Ärzten nach Uniangaben, bei einer Blasenspiegelung automatisiert Fotos zu machen, aus denen der Computer sofort eine 360-Grad-Aufnahme der Blaseninnenwand erstellt.

Die so erstellten Bilder sollen deutlich einheitlicher sein als die bisher notwendigen Einzelaufnahmen und sollen dann allen behandelnden Ärzten und den Patienten in einer digitalen Datenbank zur Verfügung stehen.

Das im Februar gestartete, 4,5 Millionen Euro schwere Projekt wird bis 2021 mit 2,8 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium gefördert. Weitere 1,7 Millionen Euro kommen von den Industriepartnern.

Nachsorge einfacher und sicherer

"Mit dem neuen System werden die Aufnahmen einer Blasenspiegelung leichter vergleichbar und es entfällt viel Arbeitsaufwand. Zusätzlich wollen wir die Kommunikation im gesamten Behandlungsprozess verbessern und vereinheitlichen.

Das macht die Nachsorge für die Patienten und für die Ärzte sicherer und einfacher", resümiert Professor Arkadiusz Miernik, Sprecher des Konsortiums und Leiter der Sektion Urotechnologie an der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg.

Rund 28.000 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an Harnblasenkrebs. Männer sind fast dreimal so häufig betroffen wie Frauen.

"Weil der Krebs nach einer Therapie oft zurückkehrt, sind regelmäßige endoskopische Blasenspiegelungen notwendig, oft über mehrere Jahre", betont der stellvertretende Leiter des Projektes Dr. Simon Hein.

Bisher erstelle ein behandelnder Urologe bei jeder Spiegelung mehrere Bilder, setze daraus von Hand ein Bild der Gesamtblase zusammen und vergleiche es mit früheren Aufnahmen. Würden die Bilder von unterschiedlichen Ärzten angefertigt, könne deren Vergleichbarkeit sehr erschwert sein.

Mehr Sicherheit für Patienten schaffen

Die aufwändige Nachsorge von Blasenkrebspatienten trage wesentlich dazu bei, dass diese Erkrankung die höchsten krebsspezifischen Kosten aller menschlichen Tumoren verursache.

"Mit dem neuen System wollen wir mehr Sicherheit für die Patienten schaffen und den Ärzten die Arbeit erleichtern", bilanziert Rodrigo Suarez Ibarrola, wissenschaftlicher Koordinator des Projektes.

In der Tumorchirurgie werden bereits viele hochpräzise Geräte eingesetzt wie beispielsweise minimalinvasive Instrumente, hochauflösende Kameras oder Medizinroboter. Bisher fungieren viele Geräte nur als herstellerspezifische Insellösungen.

Es obliegt also allein der Erfahrung des Operateurs, die unterschiedlichen Informationsquellen im Blick zu haben und die technischen Geräte im OP möglichst schnell, sicher und passend einzusetzen.

Im OP der Zukunft soll dies anders aussehen: Eine intelligente und benutzerorientierte Plattform wird alle wichtigen Funktionen und Daten bündeln und diese übersichtlich und einheitlich unter anderem auf einem Bildschirm darstellen.

Während des Eingriffs informiert ein digitaler Assistent den Tumorchirurgen, damit dieser die bestmögliche Behandlung für seinen Patienten einsetzen kann. Dies erhöht die Patientensicherheit und sorgt für verbesserte Abläufe im OP.

Krebsforschungszentrum mit an Bord

Damit aus dieser Vision Wirklichkeit wird, hat die Urologische Universitätsklinik Heidelberg das Projekt "OP 4.1" ins Leben gerufen. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und SAP, Siemens Healthineers, Karl Storz sowie mbits entwickeln die Ärzte in Anlehnung an die Industrie 4.0 nach Uniangaben in den kommenden zwei Jahren einen Prototypen für das digitale System des OP der Zukunft.

Die Anforderungen an die neue Plattform werden seit dem Projektstart im vergangenen Jahr von den Heidelberger Urologen in Kooperation mit den Verbundpartnern gesammelt.

Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Konsortialprojekt bis zum Jahr 2020 im Rahmen des Technologieprogramms Smart Service Welt II. Als Basis für OP 4.1 und integraler Bestandteil der Plattform diene die "SAP Cloud Platform", die unter anderem Kernfunktionen wie die sichere Authentifizierung und das Single-Sign-On (Einmalanmeldung) ermögliche.

Im Rahmen der weiteren Forschung sollen vier Starter-Apps entwickelt werden, auf die durch verschiedene Interaktionsformen wie zum Beispiel die Spracheingabe im OP aus einem sterilen Umfeld heraus zugegriffen werden kann.

"Der Prototyp ‚OP 4.1‘ wird auch eine Business-Plattform beinhalten, so dass zukünftige, Software-basierte Lösungen schnell auf freigegebene Gerätedaten zugreifen können und diese Nutzung auch entsprechend abgerechnet werden kann.

Dadurch können auch neue und innovative Geschäftsmodelle rasch ihren Weg in den Markt finden", erläutert Michael Byczkowski, Vice President Customer Design Engagement bei SAP Design.

Erweiterbarer Prototyp

Der Plattform-Prototyp werde offen und technisch erweiterbar sein und die Integration weiterer medizintechnischer Funktionen ermöglichen, ergänzt Byczkowski.

Dies alles werde auch die Markteintrittshürde für große und kleine innovative Unternehmen aus der Medizintechnik senken, die mit ihren Produkten bisher noch keinen Zugang in den klinischen Alltag gefunden hatten.

So werde es in einigen Jahren für Tumorchirurgen möglich sein, das Op-Gebiet auf einem Bildschirm mit einer dreidimensionalen Grafik aus dem CT virtuell zu verknüpfen oder noch während der Op die Belastbarkeit der betroffenen Gewebe zu berechnen, lautet die Prognose des Forscherteams.

Durch diese Darstellung von Patientendaten und möglichen Risikostrukturen in Echtzeit während des chirurgischen Eingriffs solle bei minimalinvasiven Op wie beispielsweise Nierenteilresektionen eine optimale Therapie erreicht werden.

"Als Chirurg trägt man eine enorme Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem Patienten. Die neue Plattform ‚OP 4.1‘ soll vor allem den Chirurgen dabei unterstützen können, unter Berücksichtigung der verfügbaren Informationen zum richtigen Zeitpunkt die bestmögliche Entscheidung zu treffen", verdeutlicht der Initiator, Professor Markus Hohenfellner, Ärztlicher Direktor der Urologischen Universitätsklinik Heidelberg.

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