Medizintechnik

Der Traum vom komplett vernetzten Universum

Vernetzung ist für die Medizintechnikbranche das Lebenselixier für die Zukunft, so eine Studie. Dabei geht es um die smarte Nutzung von Daten, die von Millionen vernetzter medizinischer Geräte generiert werden – und deren Schutz vor Hackern.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Vernetzte Systemlösungen und daraus generierte Smart Data sind der Treibstoff für das Internet of Medical Things.

Vernetzte Systemlösungen und daraus generierte Smart Data sind der Treibstoff für das Internet of Medical Things.

© metamorworks/Getty Images/iStoc

NEU-ISENBURG. Smart ist in – die Digitalisierung schreitet schnell und unaufhaltsam in allen Lebensbereichen voran und gewinnt auch in Deutschland immer mehr an Akzeptanz in der Bevölkerung.

Das Internet der Dinge (Internet of Things/IOT) – und damit die Vernetzung und ständige Erreichbarkeit von allerlei elektronischen Geräten und Equipment – soll Menschen in ihrem Alltag entlasten.

So könnte zum Beispiel in Zukunft ein smarter Kühlschrank Milch beim vernetzten Discounter ordern, sobald er via Sensor feststellt, dass die letzte Tüte leer ist – wenn ein entsprechendes Programm gewählt wird.

Die Kehrseite der Medaille ist die Anfälligkeit solcher digitalen Lösungen für Attacken durch Cyberkriminelle. Schlimmstenfalls, so warnen IT-Sicherheitsexperten, könnten Hacker die Wasser- oder Stromversorgung ganzer Städte oder Regionen lahmlegen.

Potenzielle Cyberangriffe sind auch der Albtraum für die Medizintechnikindustrie. Denn die Branche bastelt gerade an ihrem eigenen digitalen Universum, dem Internet of Medical Things (IoMT) – eine vernetzte Infrastruktur aus Medizingeräten, Software-Anwendungen, Gesundheitssystemen und -dienstleistungen.

"Es gibt auch bei vernetzten Medizinprodukten kein System ohne Sicherheitslücken!": Diese ernüchternde Bilanz zog der Web-Entwickler Hannes Molsen, beim Lübecker Medizin- und Sicherheitstechnikkonzern Dräger Product Security Manager, im vergangenen Jahr in Frankfurt bei einer Veranstaltung des Verbands der Elektrotechnik (VDE) zur Cybersecurity in der Medizin.

Für Aufregung bei Patienten gesorgt hatte zum Beispiel der Fall eines großen US-amerikanischen Medizintechnikanbieters, der vor nicht all zu langer Zeit meldete, in einer seiner Insulinpumpen sei eine Sicherheitslücke entdeckt worden.

Der Chip in der Pumpe könne demnach – auch wenn dies als unwahrscheinlich einzuschätzen sei – von Dritten manipuliert werden.

Hoher Innovationsdruck lastet auf der Branche

Der Druck auf die Branche ist hoch, hier mit innovativen Lösungen für mehr Patientenkomfort, aber auch für Kostensenkungspotenzial in den Gesundheitssystemen weltweit zu sorgen.

Aktuellen Schätzungen zufolge wird das IoMT-Marktvolumen im Jahr 2022 auf 158,1 Milliarden US-Dollar (ca. 1,35 Mrd. Euro) anwachsen, wie es in einer jüngst veröffentlichten Studie der Strategieberatung Deloitte zur Rolle der vernetzten Medizintechniklösungen heißt.

"Die Zukunft der Branche wird maßgeblich von ihrer Fähigkeit bestimmt sein, Anbietern sowie Kostenträgern aufzuzeigen, wie vernetzte Medizingeräte zu einem neuen wertbasierten Vergütungsansatz beitragen", verdeutlicht Michael Dohrmann, bei Deloitte Partner Life Science & Healthcare.

Das IoMT und seine Verknüpfung mit der Medizintechnik tragen für Healthcare-Organisationen wesentlich dazu bei, wie die Studienautoren hervorheben, die Behandlungsergebnisse der Patienten zu verbessern, die steigenden Kosten im Gesundheitswesen zu senken, die Effizienz zu verbessern und neue Wege bei Patientenbindung und -empowerment zu erschließen.

Das Tempo und das Ausmaß der Transformation im Gesundheitswesen werden exponentiell sein, wenn MedTech das Potenzial des IoMT für sich nutzen kann, so die Prognose.

Das IoMT hat damit das Potenzial, einen Teil der Kosten-, Zugangs- und Koordinierungsprobleme im Gesundheitswesen zu verringern.

Allerdings werde das reine Generieren von Datenpunkten durch Millionen vernetzter medizinischer Geräte kaum Auswirkungen haben, wenn aus ihnen keine verwertbaren Erkenntnisse gewonnen werden, mahnen die Berater.

Hier könnte für die Branche das Thema Künstliche Intelligenz immer wichtiger werden, die – basierend auf Big Data – die erforderlichen Smart Data generieren kann.

MedTech-Unternehmen müssten demnach neue Strategien entwickeln, um die Daten ihrer digital vernetzten Produkte zu nutzen und so ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle wettbewerbsfähig zu gestalten. Für einige Medizintechnikunternehmen bedeute dies einen Paradigmenwechsel – weg von einem produktbasierten Modell, hin zu einem wertorientierten System.

Schub für die Telemedizin erwartet

Die Studie verweist auch auf die anhaltende Miniaturisierung, das kabellose Internet sowie zunehmende Rechnerkapazitäten, die der MedTech-Branche in die Hände spielten – und so der Telemedizin einen Schub geben könnten.

Je niedrigschwelliger die Zugangshürden dafür sind, desto flächendeckender könnten telemedizinische Ansätze verfolgt werden. Zumindest für Deutschland gibt es hier allerdings noch Hindernisse.

Denn: Um hierzulande bis in den letzten Winkel Telemedizin anbieten zu können, bedarf es eines entsprechenden Ausbaus des Glasfaserkabels – hier ist die Finanzierung strittig.

Deutschland könnte also in puncto IoMT eher im Stau als auf der Überholspur zu finden sein.

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