Kommunale MVZ

Oft Gedankenspiel, selten Realität

Kommunale Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als Allheilmittel gegen Unterversorgung? Fehlanzeige! Die Scheu vor Finanz- und Haftungsrisiken ist groß, und auch das Hauptproblem bleibt ungelöst: Wie kommen junge Ärzte aufs Land?

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:

BERLIN. Das Land mag zum Urlauben schön sein - doch zum Arbeiten und Wohnen? Nein, danke, sagen viele junge Menschen.

Städte mit 50.000 bis 500.000 Einwohnern stellen sie sich als künftige Wohnorte vor - nicht zu klein, auch nicht zu groß, aber mit allem, was man sich wünscht: Kino, Schwimmbad, Kindergärten.

Dort jedoch, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, will niemand mehr freiwillig hin. Gemeinden mit bis zu 5000 Einwohnern gelten Umfragen zufolge unter Medizinstudenten als unattraktiv.

Das Problem verfolgt auch die Samtgemeinde Sögel im Emsland, die aus acht Ortsteilen besteht und insgesamt 16.000 Einwohner hat. "Wir sind eine kleine Stadt, wo keiner hin will", sagt Samtgemeindebürgermeister Günter Wigbers.

Vor sechs Jahren schrillten bei den Gemeinderäten deshalb die Alarmglocken. Zwar praktizierten damals noch elf Hausärzte in der Gemeinde. 2016, so lautete die Prognose, würden von ihnen aber nur noch vier übrig sein.

Umfassendes Förderpaket

Die Gemeinde entwickelte ein umfassendes Förderpaket, um Vertragsärzte ins Emsland zu holen. Vorerst mit Erfolg: Derzeit hat Sögel wieder zwölf Hausärzte, "drei von ihnen werden wir aber bald verlieren, so dass wir sehen müssen, wie wir diese nachbesetzen", sagt Wigbers.

Einfach wird das trotz aller Förderung nicht, das weiß er. Sogar mit Headhunting hat er schon versucht, Ärzte zu gewinnen. "35.000 Euro haben wir dafür ausgegeben, gebracht hat es nichts."

Die Gemeinde tut viel für die Gesundheitsversorgung ihrer Bürger - und liebäugelte dafür sogar schon zweimal damit, ein MVZ zu gründen.

Ob ein solches Engagement in der ambulanten Versorgung tatsächlich hilft, Ärztemangel zu beseitigen, wurde auf einer Fachtagung des Bundesverbands Managed Care zum Thema "Kommunen als Gesundheitsversorger" zwar bezweifelt.

Fest steht aber: Den Gedanken an ein kommunales MVZ gibt es nicht nur in Sögel.

Viele Ärzte wollen die Anstellung

Die Möglichkeit für Ärzte, als Angestellte zu arbeiten, spiele zwar eine immer größere Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Genauso wichtig sei aber auch, dass der Partner in der Region einen Arbeitsplatz finde, die Kinderbetreuung und das Schulangebot stimmen.

Wenn Letzteres nicht passe, dann spiele auch das Finanzielle keine große Rolle - dann wollten die jungen Ärzte schlicht nicht aufs Land, sagte Medizinrechtler Horst Bitter von der Kanzlei Ehlers, Ehlers und Partner auf der Tagung in Berlin.

Zwar gibt es einige Gemeinden, die sich mit der Möglichkeit der Gründung eines MVZ beschäftigen - doch das einzige real existierende Kommunal-MVZ steht derzeit in Büsum. Und eine Schwemme an MVZ in kommunaler Trägerschaft ist auch in naher Zukunft nicht zu erwarten.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass die ambulante Gesundheitsversorgung für Kommunen Neuland ist. Und dass die Gemeinden und Landkreise Angst vor wirtschaftlichem Fiasko, vor Haftungsfällen, aber auch vor der Kommunalaufsicht haben. Letztere könnte das wirtschaftliche Engagement verbieten mit dem Hinweis, dass die Sicherstellung immer noch bei den KVen liege.

Große Vorbehalte gegen die Gründung eines eigenen MVZ bestätigt eine Umfrage der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), die unter den Bürgermeistern und Landräten in Niedersachsen vorgenommen wurde.

Großteil der Kommunen wollen stärker eingebunden werden

Den Ergebnissen zufolge wünschen sich zwar 86 Prozent der Kommunen eine stärkere Einbeziehung in die Sicherstellung, doch halten zwei Drittel die Gründung eines kommunalen MVZ nicht für ein geeignetes Mittel.

Vor allem Finanzprobleme und die Ansicht, dass dies keine öffentliche Aufgabe, sondern besser der Privatwirtschaft zu überlassen sei, wurden als Gründe genannt - aber auch fehlende Kompetenz.

Die Gemeinden sehen ihre Rolle eher darin, Ärzte und KVen zu unterstützen, indem sie Grundstücke zur Verfügung stellen, Kitaplätze ausbauen oder über Fördermöglichkeiten informieren.

Allerdings: Kostenlose Praxisräume bereitstellen, dazu sehen sich die meisten Bürgermeister - zumindest in Niedersachsen - nicht in der Lage.

Mit dem fortschreitenden Ärztemangel kann sich die Situation freilich ändern. Der Leidensdruck für eine MVZ-Gründung sei vielerorts, so Holger Pressel von der AOK Baden-Württemberg, sicher einfach noch nicht hoch genug.

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