Praxisbericht

Ambulante Schmerzzentren fühlen sich als "das ungeliebte Kind"

Auf der Suche nach Linderung laufen Milllionen von Schmerzpatienten oft von Pontius zu Pilatus. Dabei gibt es Zentren, die Betreuung aus einem Guss anbieten. Ein Praxisbeispiel aus Frankfurt am Main.

Von Sandra Trauner Veröffentlicht:
Schmerzzentren bieten auch Physiotherapie an.

Schmerzzentren bieten auch Physiotherapie an.

© contrastwerkstatt / stock.ado

FRANKFURT/MAIN. Nach fünf Wochen Dauerschmerz war Silvia Gaul nervlich am Ende. Ausgerechnet über Ostern bekam sie schlimmste Schmerzen im unteren Rücken – "als wäre man permanent in den Wehen", sagt die Mutter dreier Kinder. Die Hausärztin tippte auf Hexenschuss und verschrieb Schmerzmittel, die aber kaum wirkten.

Physiotherapie scheiterte daran, dass sie wochenlang auf den ersten Termin wartete. Ein Termin beim Orthopäden war erst recht nicht zu bekommen. Ins Krankenhaus wollte sie nicht, weil sie fürchtete, dass sie dort sofort operiert würde.

Erst nach fünf Wochen bekam sie beim Radiologen eine Diagnose: Ihre Beschwerden kamen vom Iliosakralgelenk. Nachdem sie fünf Wochen krankgeschrieben war, rief ihre Krankenkasse an und fragte, ob sie am Intensivprogramm eines Schmerzzentrums teilnehmen wolle. Gaul sagte zu.

Schon nach einer Woche Besserung

Drei Wochen lang besuchte sie vier Tage die Woche mehrere Stunden täglich das "Schmerz- und Palliativzentrum Rhein-Main" in der Frankfurter Innenstadt. Dort bekam Gaul nicht nur Infusionen mit Schmerzmitteln, sondern auch alternative Heilmethoden wie Akupunktur oder Schröpfen angeboten.

Sie hatte Physiotherapie, lernte Entspannungsverfahren und wurde psychologisch begleitet. "Nach einer Woche war es schlagartig besser", sagt Gaul.

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) wird nicht müde, solche Modelle zu loben und mehr davon zu fordern. "Patienten mit chronischen Schmerzen benötigen eine intensive, spezialisierte und durch verschiedene Disziplinen aufeinander abgestimmte Behandlung", heißt es in einem Maßnahmenkatalog, der auf dem "Nationalen Versorgungsforum Schmerz" verabschiedet wurde.

Doch genau das würde einem Großteil der Schmerzpatienten aufgrund "struktureller Versorgungsdefizite" vorenthalten. 23 Millionen Menschen leiden nach Angaben der Gesellschaft in Deutschland unter chronischen Schmerzen.

Gabriele Müller, die das Schmerzzentrum Rhein-Main in Frankfurt leitet, macht die Gesundheitspolitik, die Krankenkassen und Futterneid unter Medizinern dafür verantwortlich. "Das System hat ein Problem", sagt sie, "wir sind das ungeliebte Kind."

1500 Patienten im Quartal

1500 Patienten kommen pro Quartal in das Zentrum, nur rund 200 pro Jahr schaffen es in das Intensivprogramm. "Für die einen gibt es Behandlung nach Sinn, für die anderen nach Vorschrift", sagt Müller.

In der "Regelversorgung" dürfe nur gemacht werden, was als Kassenleistung abgerechnet werden könne, "und das ist Schmalspur". Anti-Stress- Training, Naturheilverfahren oder Vorträge – zum Beispiel über das "Schmerzgedächtnis" – bleiben außen vor.

Ob man wie Silvia Gaul ins Intensivprogramm kommt oder nicht, hängt Müller zufolge davon ab, wo man versichert ist. Eine gesetzliche Kasse bewerbe das Programm sogar von sich aus, "bei anderen hab ich noch nie eine Zusage gekriegt". Dabei sei die Alternativen – ein Krankenhausaufenthalt oder eine Operation - viel teurer.

"Eine Operation wird sofort bewilligt, aber eine ambulante konservative Behandlung darf nichts kosten", kritisiert Müller. Berufspolitisch werden hier aus ihrer Sicht "die falschen Anreize gesetzt".

30 Schmerzzentren in Deutschland

Rund 30 solcher Schmerzzentren gibt es in Deutschland, neben Frankfurt drei weitere in Hessen (Wiesbaden, Marburg und Kassel). Unterstützt werden sie von der Techniker Krankenkasse. Sie rät Patienten, vor einer Operation eine zweite Meinung einzuholen. In einem Schmerzzentrum werden Op-Kandidaten von einem Dreier-Team aus Physio-, Psycho- und Schmerztherapeut untersucht.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass in circa neun von zehn Fällen eine geplante Operation vermieden werden kann", sagt Barbara Voß, Leiterin der TK in Hessen. Eine Möglichkeit sei eine fachübergreifende Versorgung, "die sowohl körperliche als auch mentale Aspekte bei der Therapie berücksichtigt" – also ein Intensivprogramm wie bei Gaul.

Zurückhaltend ist die AOK. "Es handelt sich einfach nicht um Kassenleistungen", sagt der Sprecher der AOK Hessen, Riyad Salhi. "Insofern ist eine Übernahme dieser Leistungen rechtlich gar nicht möglich". Dass die TK die Kosten trotzdem übernimmt, liegt daran, dass sie mit den Schmerzzentren "Vereinbarungen zur "Besonderen Versorgung"" geschlossen hat.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen kann zu der Problematik nichts sagen: Er ist nur für den "Kollektivvertrag" zuständig – also jene Leistungen, die jedem gesetzlich Versicherten zustehen. Einzelne regionale Kassen können aber darüber hinaus besondere Leistungen anbieten, wie Sprecherin Ann Marini erklärt, zum Beispiel im Rahmen von Einzelverträgen zur Zweitmeinung. (dpa)

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