Spielekonsolen werden hoffähig: Auf der Medizinmesse Medica präsentieren Aussteller digitale Fitness-Programme.

Von Philipp Grätzel von Grätz

Das ist unstrittig: Exzessiv genossen stellen Computerspiele ein Risiko für Gesundheit und psychische Entwicklung dar. Neuerdings geht der Trend bei Computerspielen allerdings in die andere Richtung - sie werden therapeutisch wertvoll. Wohldosiert und unter therapeutischer Aufsicht lassen sich damit auch einige medizinisch ausgesprochen nützliche Dinge tun.

PC-Spiel kann Ergänzung zu Verhaltenstherapien sein

So haben Psychologen vom Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Zürich im Sommer das Computerspiel "Schatzsuche" vorgestellt, das verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Psychotherapien sinnvoll ergänzen kann. Durch "Schatzsuche" lernen ängstliche und depressive Kinder, aber auch Kinder mit aggressivem Verhalten, wie sie ihre Gedanken, Gefühle und Impulse besser kontrollieren und kanalisieren können.

Das Spiel findet auf einem alten Segelboot statt. Der Kapitän benötigt die Hilfe des Kindes bei einer Schatzsuche. Das Kind muss dazu Aufgaben lösen, die auf den ersten Blick denen in herkömmlichen PC-Spielen ähneln. Tatsächlich aber kann das Kind unter Anleitung eines geschulten Therapeuten aus diesen Aufgaben fürs Leben lernen: Es nimmt zum Beispiel wenig hilfreiche Gedanken gegenüber anderen Spielfiguren wahr und erkennt, wie sich ein Problem anders besser lösen lässt als zum Beispiel durch Aggressivität.

"Schatzsuche ist das erste professionelle Computerspiel, das auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltensmodifikation basiert", betont die Psychologin Monika Brezinka, die das Spiel mit entwickelt hat. Sie legt aber auch Wert darauf, dass das Spiel weder den Therapeuten ersetzen noch von Eltern zur Eigentherapie eingesetzt werden kann. "Zauberei in Form eines Computerspiels, das kindliche Probleme einfach so zum Verschwinden bringt, gibt es nicht", so Brezinka.

Wii-Konsole unterstützt motorische Steuersysteme

Weniger auf die Psyche als auf die motorischen Steuersysteme ihrer Patienten zielen Ärzte, die die Spielkonsole Wii des Anbieters Nintendo für therapeutische Zwecke einsetzen - beispielsweise in der Schlaganfallrehabilitation. Wii ist eine Spielkonsole, die den Markt vor zwei Jahren durch eine höchst innovative Steuerung aufgemischt hat. Der Spieler hält einen so genannten Controller in der Hand, dessen Position im Raum durch Bewegungssensoren registriert wird. Die Spiele werden also über Körperbewegungen gesteuert und nicht über Knöpfe oder über einen Joystick. Das ist vor allem für Sportspiele sehr geeignet. Denn die Spieler können vor ihrem Fernseher genau die Bewegungen machen, die sie auch machen würden, wenn sie die Sportart real ausüben würden.

Es liegt auf der Hand, dass sich ein solches Werkzeug therapeutisch nutzen lässt. Und so hat es nach der Einführung von Wii auch nicht lange gedauert, bis sich Rehabilitationsmediziner dem neuen Werkzeug angenommen haben. Für diverse Kliniken in den USA sind Wii-Spiele mittlerweile Alltag. Einige sprechen sogar schon von "Wiihabilitation".

Wer die internationale medizinische Datenbank PubMed konsultiert, findet derzeit immerhin zehn wissenschaftliche Publikationen zu Wii. Ähnlich wie bei dem Spiel Schatzsuche wird die "Wiihabilitation" von ihren Anhängern als ergänzende Maßnahme gesehen: " Wii kann die konventionelle Physiotherapie nicht ersetzen", sagt etwa Susan Hecht vom St.-Francis-Krankenhaus im US-Bundesstaat New York, "aber sie hilft, die oft relativ eintönigen Therapiesitzungen zu beleben. Es macht eben einfach mehr Spaß."

Chirurgen übten am PC für Laparoskopie

Spaß hatten auch Chirurgen der Banner-Health-Klinik im US-Bundesstaat Arizona. Sie nahmen eine Wii mit zugehörigem Golf-Controller, ein golfschlägerähnliches Werkzeug, das Wii-Anhänger für diverse Golf-Spiele nutzen. Diesen Controller sägten die Chirurgen ab und bauten stattdessen eine Zange daran, wie sie für minimalinvasive Eingriffe an der Gallenblase genutzt wird. Mit diesem chirurgisch aufgemotzten Controller spielten die Operateure dann nicht etwa eine Gallenblasenoperationen durch, sondern das Spiel "Marble Mania", bei dem Murmeln über einen Hindernisparcours gesteuert werden müssen. Das Ergebnis: Am echten Laparoskopiesimulator waren die Wii-trainierten Chirurgen nachher schneller und machten weniger Fehler als ihre Kollegen, die nur das ganz normale Operationstraining absolviert hatten.

Natürlich sind PC-Spiele vom medizinischen Blickwinkel aus betrachtet nicht nur segenbringend. Das belegt schon ein Blick in die besagten zehn wissenschaftlichen Publikationen zur Wii. Zwar beschäftigt sich die Hälfte davon mit einem therapeutischen Einsatz des Geräts. Die andere Hälfte freilich behandelt Gesundheitsschäden, darunter ein "Wii-Knie" und eine "Wii-Schulter" nach jeweils etwas zu exzessivem Bildschirmsport ohne adäquates Aufwärmen.

Psychische Schäden bleiben weiterhin eine Bedrohung

Dass zumindest bei einigen Menschen auch die Psyche Schaden nehmen kann, wenn zu viel gespielt wird, daran dürfte kaum jemand mehr ernsthaft zweifeln. Jüngster Beleg dafür war die Eröffnung der ersten deutschen Ambulanz zur Behandlung der Computerspielsucht an der Universitätsklinik Mainz. "Wir gehen davon aus, dass etwa sechs bis neun Prozent der Kinder und Jugendlichen, die aktiv am Computer spielen, die Kriterien einer Abhängigkeit erfüllen", betonte Diplom-Psychologe Klaus Wölfling.

Digitale Fitness auf der Medica

Computerspiele können zu medizinischen Zwecken genutzt werden. Aber moderne IT kann eine gesunde Lebensweise auch viel direkter unterstützen - und dabei Spaß machen, wie mehrere Aussteller auf der Medica beweisen. So hat das Unternehmen T-Systems (Halle 15, A31) im Juni mit der Barmer Ersatzkasse das Programm "Mobile Fitness" gestartet. Jogger, Radfahrer oder Walker legen sich dabei während des Sports einen Brustgurt um, der fitnessrelevante Parameter über das Handy in eine internetbasierte Akte funkt. Zu Hause können die Parameter am Computer ausgewertet werden - in Abhängigkeit von der absolvierten Strecke, denn dank GPS weiß die Website genau Bescheid, wo der Sportler unterwegs war. Je nach Fitness erstellt die Software dann einen individuellen Trainingsplan. Außerdem soll sie in Zukunft mit Hilfe der GPS-Daten ganz konkrete Streckenvorschläge machen.

Auch die elektronische Gesundheitsakte LifeSensor von ICW (Halle 15, E48) kann zur Fitnessakte werden: So nutzt der Allgemeinmediziner und Mannschaftsarzt des FC Astoria Walldorf, Dr. Rainer Janzten, die Akte zur Betreuung seiner Sportler: "Die kontinuierliche Dokumentation der Leistungsdaten liefert uns wichtige Eckdaten für die gesundheitlichen Probleme", so Janzten. Richtig schick ist es schließlich, das iPhone als persönlichen Fitnesstrainer einzusetzen. So gibt es mittlerweile mehrere Anbieter, die das "Sportband" des Sportartikelherstellers Nike mit dem iPhone oder dem iPod koppeln und den Sportler auf diese Weise zum Teil einer mobilen Online-Fitness-Welt werden lassen. Auch ICWs Gesundheitsakte ist iPhone-kompatibel. (gvg)

Lesen Sie dazu auch: Psychologen entdecken Computerspiele

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