Erfolgreich abgeworben

Aus der Klinik in die Landarztpraxis

Nachwuchsmangel? Das Team der Sauerlandpraxis ist aktiv dagegen vorgegangen – indem es junge Kollegen aus der Klinik abgeworben hat. So geht Praxischef Henning Förster (65) beruhigt in den Ruhestand.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

Den ersten Kontakt mit der Sauerlandpraxis hatte Michael Wessing als Patient. Der Mediziner, der in einer Klinik im hessischen Frankenberg arbeitete, suchte einen Hausarzt und stieß auf die Gemeinschaftspraxis von Dr. Henning Förster und seinem Sohn Tim-Henning im nahegelegenen Medebach im Hochsauerlandkreis.

Bei mehreren Besuchen in der Praxis kam Wessing mit Tim-Henning Förster ins Gespräch, sie tauschten sich auch über die Arbeit als Arzt aus. "Mir war sofort klar, dass Michael gut zu uns passen würde", berichtet Förster. Bis auch Wessing das so sah, dauerte es aber noch ein Weilchen. Der heute 39-Jährige hatte gar nicht vor, als Hausarzt tätig zu werden. "Ich habe auf der Inneren Station in der Klinik gearbeitet, und es war eigentlich mein Ziel, dort auch zu bleiben."

Tim-Henning Förster (40) blieb am Ball und versuchte immer wieder, den Kollegen von den Vorteilen der hausärztlichen Tätigkeit zu überzeugen. Er konnte vor allem mit einem punkten: der geringen Zahl an Notfalldiensten. Sie belasten Hausärzte deutlich weniger, als es Wochenend- und Nachtdienste bei den Kollegen in der Klinik tun. "Die Notfalldienste waren eines der überzeugendsten Argumente", betont Wessing.

Er wurde 2014 Weiterbildungsassistent in der Försterschen Gemeinschaftspraxis, im September 2016 hat er die Prüfung zum Facharzt für Allgemeinmedizin bestanden. Im kommenden Jahr wird Wessing als Nachfolger von Henning Förster Partner. Der 65-Jährige geht in Ruhestand.

Förster hat die Praxis 1984 gegründet, zunächst als Einzelpraxis. Eine Zeit lang hat er mit einem Kollegen zusammengearbeitet, nach dessen Ausscheiden wieder allein. "Ich habe dann auf meinen Sohn gewartet", sagt er. Tim-Henning kam 2009 in die Praxis. "Dass ich Arzt werden wollte, war für mich immer klar – anfangs nur nicht, ob für Mensch oder Tier", erzählt er. Das Leben auf dem Land kennt der Arzt von klein auf, viele der Patienten auch. "Einer meiner ersten Patienten hat mich gefragt: Tim, muss ich Dich jetzt siezen?"

Seit 2012 betreibt die Medebacher Praxis, die sich vor Kurzem den Namen Sauerlandpraxis hat schützen lassen, gemeinsam mit einer weiteren Gemeinschaftspraxis aus Medebach eine Filiale im nahegelegenen Hallenberg. "Dadurch ist die Fallzahl noch einmal um ein Drittel gestiegen", sagt Henning Förster. Mit beiden Standorten kommen die Ärzte auf 3200 Scheine. Der Anteil der Privatpatienten liegt unter fünf Prozent. In der Praxis arbeiten drei medizinische Fachangestellte in Vollzeit, fünf halbtags und eine Auszubildende.

Der Arbeitsaufwand wurde für zwei Ärzte zu viel, Vater und Sohn suchten deshalb nach Mitstreitern. Dabei sind sie nicht nur bei Wessing fündig geworden. Seit Anfang 2016 arbeitet Sven Böttcher (37) als Weiterbildungsassistent in der Gemeinschaftspraxis. "Auch ich bin aktiv aus dem Krankenhaus abgeworben worden", berichtet er. Böttcher und Förster Junior kannten sich von der gemeinsamen Arbeit in einer Klinik. Auch hier ließ der junge Hausarzt nicht locker und versuchte immer wieder, dem Kollegen den Wechsel schmackhaft zu machen. Schließlich hatte er Böttcher so weit, dass er sich die Praxis anschauen wollte. Der junge Mediziner wollte sich ohnehin umorientieren. "Ich war die Arbeit in der Klinik leid." Der Wechsel in ein mikrobiologisches Labor war der erste Schritt. "Dort stellte sich mir aber schnell die Frage, ob ich nicht doch lieber mit Patienten arbeiten möchte."

Das ist offensichtlich der Fall, Böttcher scheint sich in der Sauerlandpraxis wohlzufühlen. Nach einer Hospitation war er erstaunt, dass die Realität in der Hausarztpraxis so gar nichts mit seiner Vorstellung von einer eher "verstaubten Medizin" zu tun hat. "Hier ist vieles fast so wie in der Klinikambulanz, nur ruhiger", sagt er. Die Ärzte haben viel mehr Zeit für die einzelnen Patienten, als die Berichte in der Presse das häufig suggerieren würden, betont Böttcher.

Ihm gefällt der Austausch mit den Kollegen, sie diskutieren regelmäßig medizinische Themen. "Ich kann immer jemanden fragen." Der junge Arzt mag, dass die Tätigkeit in der Hausarztpraxis so abwechslungsreich ist. "Man muss Lust haben, selbst kreativ zu werden und sich nicht mehr mit der Mangelverwaltung im Krankenhaus zu beschäftigen."

Sein Kollege Wessing empfindet den dauerhaften Kontakt mit den Patienten als sehr befriedigend. "Gerade auf dem Land muss man eine gewisse Nähe zu den Patienten aushalten und damit arbeiten können", sagt er. Auch Spaß an der Kommunikation sollte man haben.

Das ist nicht für jeden Arzt etwas, weiß er. Deshalb empfiehlt er jungen Medizinern, sich frühzeitig ein Bild von der Arbeit in Hausarztpraxen zu machen, etwa über Famulaturen oder Hospitationen. Das erfordere natürlich aufgeschlossene Praxisinhaber. "Sie müssen dem Nachwuchs die Türen öffnen", findet Wessing.

Die Ärzte in der Sauerlandpraxis haben damit selbst gute Erfahrungen gemacht. "Wenn man den jungen Kollegen etwas erklärt hat, geht man auch selbst wieder anders an den Patienten heran", sagt Tim-Henning Förster.

Als Böttcher kam, waren die Patienten begeistert, dass schon wieder ein junger Doktor in der Praxis war. Zurzeit ist Medebach noch gut versorgt. "Die Patienten sind sehr dankbar, weil sie wissen, dass der Nachwuchsmangel ein Problem werden könnte", berichtet Wessing. Um die Sauerlandpraxis müssen sie sich jedenfalls keine Sorgen machen: Ab Januar wird eine junge Ärztin das Team an vier Tagen pro Woche komplettieren.

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