Hintergrund

Ärzte bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Schweigepflicht und Kindeswohl

Melden oder nicht? Wenn Ärzte sich bei Verdacht auf Kindesmisshandlung an die Jugendämter wenden, begeben sie sich auf dünnes Eis. In Bremen wurde jetzt die Gratwanderung zwischen Kindeswohl und Schweigepflicht diskutiert.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Wann dürfen, wann müssen Ärzte ihre Schweigepflicht brechen und den Verdacht auf Kindesmisshandlung den Behörden melden?

Wann dürfen, wann müssen Ärzte ihre Schweigepflicht brechen und den Verdacht auf Kindesmisshandlung den Behörden melden?

© Foto: imago

Seit dem Tod des Buben Kevin in Bremen ist man an der Weser besonders für Fragen der Kindeswohlgefährdung sensibilisiert. Zum zweiten Mal lud darum die KV Bremen zu einer Veranstaltung zum Thema - diesmal, um juristische Fragen zu klären. Wann darf der Arzt seine Schweigepflicht brechen und seinen Verdacht auf Kindesmisshandlung den Behörden melden?

Die juristische Regelung macht es den Medizinern nicht leicht. Dem häufig geäußerten Bedürfnis von Ärzten, einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung lieber zu früh als zu spät zu melden, hielt der Medizinrechtler Professor Knut Hinrichs aus Hamburg die hohe Bedeutung der Schweigepflicht entgegen, die außer im Standesrecht auch im Strafgesetzbuch festgeschrieben ist (Paragraf 203 StGB).

"Das Bundesverfassungsgericht hat 1972 unterstrichen, dass es bei der Schweigepflicht um das Vertrauen geht, das die Gesundungschancen erhöht und eine leistungsfähige Gesundheitsfürsorge erhält", erklärte Hinrichs. Der Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, "Kindeswohl geht vor Datenschutz" stimmte Hinrichs nicht zu. "So eine Äußerung halte ich für problematisch. Man kann nicht alle Fälle des Kindesmissbrauchs verhindern", sagte Hinrichs.

Die Kindeswohlgefährdung liege "auf einer Skala von der idealen Familie bis zur Katastrophe irgendwo zwischen dem Angebot der Erziehungshilfe durch die Jugendämter und der akuten Soforthilfe durch Inobhutnahme", so Hinrichs. Aber wie soll der Arzt entscheiden, in welcher Situation das Kind sich befindet und ob er infolgedessen einen Verdacht melden darf?

Feste Vorgaben fehlen. Den Ärzten bleibt deshalb nichts anderes übrig, als zwischen dem Kindeswohl und der Schweigepflicht abzuwägen. Sie müssen sich auf ihr Gewissen verlassen, sagte Hinrichs: "Sie stehen zwischen Kindesschutz einerseits und Vertrauens- und Datenschutz andererseits."

Wenn sich wirklich ein Verdacht auf Kindeswohlgefährdung aufdrängt, rät Hinrichs den Ärzten:

  • Zunächst die Einwilligung der Eltern des Kindes einholen.
  • Immer schriftlich und mit Unterschrift melden, um späteren Missverständnissen vorzubeugen.
  • Wenn die Eltern nicht zustimmen, "niemals heimlich melden!" Den betroffenen Eltern sollte man auf jeden Fall mitteilen: "Auch wenn Sie nicht einverstanden sind, muss ich jetzt meiner Verantwortung gerecht werden und meinen Verdacht den Behörden melden", so Hinrichs.

Diese Schritte seien nur erlaubt, wenn wirklich der dringende Verdacht einer Kindeswohlgefährdung vorliegt, so Hinrichs. Ansonsten darf ein Arzt sich nicht gegen den Willen der Eltern mit dem Jugendamt in Verbindung setzen.

So steht es im Strafgesetzbuch

Paragraf 203 Absatz 1 Nummer 1: Verletzung von Privatgeheimnissen:

"Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs (...) anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

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